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Feuilleton Musik 6. Januar 2021

Plattenteller des Monats #Januar 2021

Dit wars, sagen wir in Gedanken zu unseren imaginären Silvestergästen, haben wir dieses Jahr doch tatsächlich rumgebracht. Ob es auf der anderen Seite tatsächlich besser wird, muss wohl erstmal abgewartet werden müssen.

Gegenwart und nahe Zukunft verbringen wir weiterhin wie bisher unter dem Motto: Comford-Food in Comfort-Cloth. Aber vielleicht scheint ja ab demnächst wieder die Sonne etwas länger durch die Fenster des Home(offices) – immerhin. Die kleinen Dinge und so. Was man auch schon mal machen kann, ist sich überlegen, welche Kulturform man mit seinem neuerdings gesparten Solidaritätszuschlag unterstützen möchte, denn diejenigen die uns mit ihrer künstlerischen Arbeit den Alltag erleichtern, können Solidarität gut gebrauchen, muss der Steuerberater also gar nicht erst umbenennen.

Im vergangenen Plattenteller wurde eine Bestenliste aus den bisherigen Ausgaben versprochen, die kommt auch, aber ein paar Platten, die wir beim Zurückhören vermisst haben, kriegt ihr dennoch.

Top 5 aus 2020

Astrid Engberg – Tulpa (Creak Inc.)

Ein Klavier spielt, elektronische Geräusche wabern und Beats und Schlagzeug pluckern dazu, nehmen Fahrt auf, und erzeugen mit Engbergs Gesang einen schönen Groove, und eine Stimmung, die zugegeben, auch später am Tag funktioniert. Nur Sonnenschein vermitteln Bläser, Rasseln, Congas und ihre geloopte Stimme nicht, aber um diesen zu genießen, braucht es eben auch etwas Dunkelheit. Zusatztitel: Bestes dänisches Album!

Caribou – Suddenly (City Slang)

Musik, die gleichermaßen in der WG-Küche, im HiFi-Kopfhörer sowie im Club funktioniert. Alles ist wohltemperiert, melodisch und grovvy – der perfekte Pop. Gilt im höchsten Maße für Suddenly, auf dem Dan Snaith uns einen wunderprächtigen Genremix präsentiert, der vom funky zweinhalb Minüter bis zum Housebanger alles beinhaltet. Und mit alles meinen wir auch den Rap-Part.

Nubya Garcia – Source (Concord)

Nubya Garcia strahlt eine ruhige, aber enorme Kreativität aus, und eine Lust ihr Saxophon fließen zu lassen, auf eine undominante dominante Art, wenn ihr versteht? Und so ist auch das Album, hier ist etwas Hybrides vorhanden. Verschiedene Genres wie Reggae, R’n‘B und Afro-Beat tauchen in den langen Stücken auf, bei denen man auf besondere Art merkt, was sie ausdrücken sollen.

Shabaka and the Ancestors – We Are Sent Here by History (Impulse)

Sänger und Künstler Siyabonga Mthembu bildet mit seinen Lyrics auf Zulu, Xhosa und English einen Fixpunkt neben King Shabaka Hutchings Tenorsaxofon, das hier nicht so im Vordergrund steht wie üblich. Es verbindet, und führt die anderen Instrumente – und den Jazz, zurück zu seinen Ursprüngen, schafft dabei etwas neues und unbegreiflich mitreißendes. Die Hingabe dieser Musiker ist spürbar, und verdeutlicht wie Musik Emotionen wecken und auch zwischen den Noten zu einem sprechen kann.

Run The Jewels – 4 (BMG)

Eine Produktion, die sich nicht um Trends kümmert, sondern eigenen Standards setzt, es knallen lässt, und den Hörer motiviert in die Welt entlässt, um die nächste Barrikade zu stürmen. Ernsthaftigkeit ist aber nicht gleichbedeutend mit Spaßbremse. Die Beats sprudeln und die Samples funkeln, Bässe drücken, geben den Takt für messerscharfen Protestrap vor und natürlich ist auch Platz für etwas Saxophon und ein Zack de la Rocha Feature – so viel Zeit muss sein.

Und außerdem:

Kelly Lee Owens – Inner Song (Smalltown Supersound)

Keiner macht elektronische Musik wie Owens, schon ihr Debütalbum lief hier auf Repeat. Mit Inner Song gibt sie den letzten Monaten einen Klang, unbewusst. Andererseits haben viele Alben aus diesem Jahr, etwas introvertes und etwas exzessives an sich. Hier widergespiegelt in teils Ambient- und teils Techno-Pop. Alles ist schön schwebend gehalten, ihr Gesang öfter im Vordergrund, persönliches berichtend, triggert ihre Musik jene Nerven in uns, die das ganze Spektrum unserer Gefühle steuern.

Svaneborg Kardyb – Haven (Blikflak)

Nikolaj Svaneborg an Wurlitzer, Synth und Piano und Drummer Jonas Kardyd setzen das Konzept Jazzduo besonders angenehm um. Ohne großes Getue, aber mit viel Finesse spielen sie ihre gedämpften Kompositionen, und legen damit eine beruhigende Stimmung in jeden Raum und Geist, ohne zu aufdringlich oder drückend zu sein. Kein Lounge-Jazz oder sowas, sondern intime ausgewogene Stücke, in denen sich die beiden Dänen aus Aarhus die Noten zuspielen und eventuelle dicke Luft im Wohnzimmer auffrischen. Inkl. Wicked Game Zitat und dänischem Provinzdialekt.

James Blake – Covers + Before (Polydor)

Erstaunlich unterhaltend das Jahr hindurch war James Blake, seine Insta-Sessions am Klavier waren überaus sympathisch und zeigten, dass er das Covern seit Limit To Your Love nicht verlernt hat. Einige dieser Coverversionen hat er nun professionell aufgenommen und digital veröffentlicht. Jedes der Stücke zieht er ins Blake Universum. Viel mehr als Stimme und Klavierspiel braucht er nicht, um die Atmosphäre der unterschiedlichen Songs zu verändern. 
Den anderen Blake, den von den ganz frühen EPs, als Sub-Bass und Clubkeller noch im Vordergrund standen, hat er auf seiner anderen EP Before ausgepackt, die neulich auch auf Vinyl erschien. 4 Tracks, dubbig, gradlinig und mit seiner melancholischen Stimme versehen – zum ersten Mal auf technoiden Tracks. Und damit sind wir wieder bei der angesprochenen Dualität der Pandemimusik, und einer gelungenen Vertonung von Welt- und Gefühlslage.

Arctic Monkeys – Live at the Royal Albert Hall (Domino)

Wenn im Dezember Platten erscheinen, haben die entweder was mit Weihnachten (und Michael Bublé) zu tun oder sind Greatest Hits Compilations. Die Arctic Monkeys haben sich für ein Live Album entschieden, ein Format das dieses Jahr nicht auf unserem Plattenteller eine Art Auferstehung gefeiert hat, verschiedene hochwertige Veröffentlichungen sind da erschienen, z.B. von The War on Drugs, und eben dieses AM Konzert von 2018 aus der Royal Albert Hall. Damals gingen die Einnahmen an die Organisation War Child, und das gleiche gilt für die Erlöse aus dem Plattenverkauf.

Inhaltlich ist das hier super, ein reine Demonstration ihres Könnens. Sie haben ihren Sound immer wieder gewandelt, sind technisch besser geworden, aber live behalten sie trotzdem eine gewisse Roheit und Lockerheit – Rock’n’Roll Attitüde wenn man so will. In diesem Sound werden dann auch die älteren Nummern gespielt, was diesen gut tut und die jungen Tage in Erinnerung ruft und man merkt, der fast 20-jährige Backkatalog ist stark und klingt stark auf dieser Bühne. Darum vermissen wir Konzerte.

Sault – Untitled (Rise) (Forever Living Originals)

Wir haben Sault zwar im Oktober schon dabeigehabt, mit 7 aus 2019, aber weil ihre diesjährigen beiden Alben Untitled (Rise) und (Black) auf allen besten Listen auftauchen (werden), und es geniale Alben sind. Das Kollektiv ist immer noch weitestgehend unbekannt, bzw. wurden ihrerseits keine Gerüchte bestätigt. Weiterhin produzieren sie jedoch Musik zum tanzen und revoltieren und benutzen dazu das beste aus der Geschichte schwarzer Musik. HipHop im Sinne Gil Scott-Heron, Jazz inspiriert von Sun-Ra, Soul von Maren Gaye, Disco von MJ und R’n’B von Beyoncé und Frank Ocean. Und Inhaltlich die Politik der Gegenwart, was die Platten von Sault nicht nur mit zu den besten, sondern auch wichtigsten macht.

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