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Feuilleton Musik 20. Oktober 2022

Plattenteller des Monats #September 2022

Jetzt ist die Gelegenheit und man kann auf Konzerte gehen, ins Theater und ins Kino. Herbst ist nämlich nicht nur die beste Zeit für Trüffel im Wald, sondern auch in den Kulturstätten. Jetzt hat man noch Zeit, bevor alle kommen und einem einreden, man hätte keine Zeit mehr, weil irgendwas mit Weihnachten ansteht.

Gehört man zu denen, die nicht mit Gas heizen oder in München Bier trinken waren, hat man vielleicht noch ein bisschen Geld übrig. In Konzert Locations und Kinosesseln ist es warm. Da lässt sich Zuhause die Heizung sparen und gleichzeitig was erleben.

Eventuell hat es dort jemand nötig. Denn die Berichte über ausverkaufte Großveranstaltungen und den leeren und abgesagten Shows haben doch recht viel Spaltenplatz in den Zeitungen das vergangene halbe Jahr eingenommen. Ich meine: Ed Sheeran spielt drei Mal vor 61.000 Zuschauern (alleine in Frankfurt!) und Tocotronic müssen hingegen ihre ganze Oktobertour verschieben, weil der Vorverkauf zu schlecht war? Nichts gegen Ed und seine Fans, aber was geht?

Also: Support your local band, raus gehen, was erleben und die Energie mitnehmen, die beim Erleben mit anderen entsteht. Die kann man gut gebrauchen, wenn richtige Energie knapp und teuer wird, und sie hilft beim Optimismus bewahren. Keine einfache Übung gerade, wenn die deprimierenden News im Feed Schlange stehen. Darf man sich ihnen verwehren, ohne schlechtes Gewissen? Oder sollte man an die Zeiten denken, als Corona ein Bier sowie Inflation und Krieg höchstens im Nahen Osten waren?

Mit diesen Gedanken erstmal auf in die dunkler werdenden Stunden und Tage. Und hey, zuhause rumhängen ist schon ok und schön. Ich war in Bologna, Wien und Hamburg in Plattenläden und folgendes musikalisches Herbstprogramm habe ich neben Parmesan und Pecorino nach Hause geschleppt.

Nu Genea – Bar Mediterraneo

Sollte man zu Napoli noch keine musikalische Verbindung haben, hier ist sie. Die zwei sprudelnden Ragazzi, Massimo Di Lena and Lucio Aquilina packen hier eine ordentliche Portion Dolce Vita auf eine Platte. Italienisch wie sich deine Eltern das vorstellen, ist das nicht, und das ist unbedingt bene. Eher so Whitest Boy Alive Funk mit Bossa Nova, plus etwas Magreb Einflüsse. Aber Sizilien ist ja auch nicht weit. Es blitzt jedenfalls vor lauter infektiöser Spielfreude. Ein Layer kommt auf den nächsten und die Laune steigert sich. Mal geht es mit Apperetivo auf die Tische und mal in die Lounge. Langeweile gibt es nicht, dafür Flöten. Also, wer den Sommer und den Süden schon etwas vermisst, das hier hilft garantiert.

Frantzvaag – Solo Super

Fuck Reality ist ein Sublabel von Smallville und die hauen jetzt mal wieder eine LP heraus. Absender ist Mads Frantsvaag aus Olso. Auf Solo Super findet man angenehm nüchternen House. Nicht so tropical wie einige andere norwegische Kollegen, aber doch mit einem Schuss Wärme, und im raschen Tempo. Elegant auf seine Art, aber nicht oberflächlich und cheesy. Breaks und Vocal Sample hier und da, aber grundsätzlich ein organischer Sound und Melodien, die sich nicht aufdrängen, aber im Ohr bleiben. Tracks denen man mit einem Lächeln und geschlossen Augen auf dem Dancefloor begegnet, oder mit denen man seinen Freitagabend kickstartet. Wer Glück hat, findet noch eine Poster von Stefan Marx in der Platte, der fürs Artwork verantwortlich ist . 

Vieux Farka Touré & Khruangbin – Ali

Selten nimmt man einfach was komplett ungehört mit. Aber der langhaarige Wiener in seinem Plattenladen wirkte überzeugend. Er hatte zwar Kokoroko unter Soul Funk einsortiert, aber aus dieser Diskussion ging dann dieser Tipp hervor. Stand noch hinterm Tresen, sollte wohl erst am nächsten Tag erscheinen. Er war jedenfalls Fan. Ich jetzt auch. Ali Farka Touré ist eine Blues Legende aus Mali, die ich entdeckte, als Vampire Weekend meine Tür für Musik des afrikanischen Kontinents aufstießen. Sein Sohn, ebenfalls respektierter Musiker, hat zusammen mit Khruangbin – auf die sich seit ein paar Jahren sehr viele einigen können – Stücke seines Vaters neu arrangiert und aufgenommen.

Der Satz: Hier kommt zusammen, was zusammen gehört, passt. Der bluesige Klang aus Vieux’s Gitarre und Gesang, mit dem langsamen Funk, Reggae und Soul des US-Trios verschmelzen zu den Körper und Seele umschmiegenden Songs. Ansonsten sind die Texte auf Englisch, Französisch und Songhai oder Bambara abgedruckt.

Dillon – 6abotage

Seit dem ersten Album von Dillon, Fan zu sein ist keine Leistung. Sie war immer genial anders, nie offensiv Pop oder defensiv Avantgarde. Just cool. Mit einer Stimme, die heraussticht und heute an Reife gewonnen hat, die aber auch durch weniger naiv verliebte als durch bedrückt durchdachte Lyrics entsteht, doch Hoffnung und Liebe für ihr Baby berühren. Es sind keine Pianotracks mehr, auch keine Streicher oder so. Dunkel mit aufkommender Bedrohlichkeit. Blade Runner R’n’B-Electronica, nicht  schnell wie Techno, leichtes Tanzen jedoch möglich. Producer Alexis Troy macht sonst HipHop und das fällt natürlich auf, glücklicherweise jedoch ohne die ganz harten Drill und Trap Beats. Dillon ist immer noch speziell, bedient sich keiner Klischees und macht mit 6abotage die perfekte Platte für jetzt. 

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