Eins ist klar: Das neue Jahr 2021 kann nur besser werden, und ein guter Anfang wäre natürlich, das nächste Jahr eine Spur gesünder zu leben (und dabei vielleicht auch gleich das eine oder andere Corona-Speckröllchen abzubauen). Ich weiß, dass das möglich ist. Es kostet ein bisschen Disziplin und, ja, eine gewisse Umstellung. Aber wenn ich so etwas hinbekomme, dann Du erst recht.
Meine Veränderung begann vor ein paar Jahren, an einem noch herrlich frischen Frühlingsabend. Ich joggte los wie üblich, als das für mich total Unerwartete geschah. Damals hielt ich mich für fit wie ein Turnschuh. Nach kaum einem Kilometer aber brach ich abrupt zusammen. Ein Gefühl, als würde ich mit voller Wucht gegen eine Mauer rennen. Als packte eine stählerne Hand mein Herz und presste es fest und ruckartig zusammen.
Es war ein beängstigender Moment, ein schmerzhafter auch. Und doch, der Schmerz war bei Weitem nicht das Schlimmste. Nein, schlimmer war diese vollkommene Machtlosigkeit: Du stehst da, hustend, atmend, und hoffst, dass es vorbeigeht: dass du diesmal noch verschont bleibst und davonkommst. Ich war damals gerade 40 Jahre alt, soeben Vater geworden – und bereits ein körperliches Wrack. Ich bin schon immer gern gejoggt. Und ich habe auch immer gern gegessen. Leider auch ziemlich viel Junkfood: Schokolade zum Frühstück, Pommes, Chips zum Abendessen, runtergespült mit Bier. Und warum auch nicht? Lange Zeit, so schien es mir, konnte ich essen, was ich wollte. Na gut, mit Mitte 30 oder so entwickelte sich ein Bäuchlein, um nicht zu sagen ein hartnäckiger Schwimmring aus Speck.
Aber es gelang mir recht erfolgreich, diese schleichende Metamorphose meines Körpers nach außen hin zu verstecken und nach innen hin zu ignorieren. Bis zu jenem Tag, an dem mein Herz streikte. Damals fing es an. Plötzlich sah ich mich mit einer existenziellen Frage konfrontiert: Hatte ich mit meiner Junkfood-Diät meine Gesundheit ruiniert? Was würde geschehen, würde ich so weitermachen? Ich gebe zu, es war auch eine Portion Ehrgeiz im Spiel: Mein Sohn sollte bald so weit sein, dass er mich zum Fußball herausfordern könnte. Würde ich da noch mithalten können? Und so begann ich, mich schlauzumachen. Begab mich tief in eine Recherche, von der ich nicht ahnte, dass sie mich Jahre in den Bann ziehen würde. Das Ziel war klar: Ich wollte mich selbst heilen. Wieder fit werden. Dem unausweichlichen Altern die Stirn bieten. Damals war mir zwar nicht klar, ob ich damit auch meine Herzprobleme in den Griff bekommen würde – aber wie sich herausstellte, sollte ich in der Hinsicht Glück haben.
Jedenfalls vertiefte ich mich in die Ernährungsmedizin, in die Biochemie des Stoffwechsels, nicht zuletzt auch in die Gerowissenschaften, ein derzeit aufblühendes, interdisziplinäres Fach, das den Alterungsvorgang unter die Lupe nimmt: Warum altern manche Menschen schneller als andere? Was treibt den Alterungsprozess an, was bremst ihn? Was essen besonders langlebige Völker? Was sind die entscheidenden Komponenten einer Kost, mit der sich die typischen Altersleiden – Übergewicht, Herzkreislauferkrankungen, Typ-2-Diabetes, Rheuma bis hin zu Krebs – vermeiden lassen? Die Studien stapelten sich in meinem Arbeitszimmer, im Wohnzimmer, in der Küche. Monate gingen ins Land, ein Jahr verging. Dann noch eins.
Allmählich eröffnete sich mir eine Welt voller erstaunlicher, mitunter spektakulärer Erkenntnisse, die mein Leben verändert haben bis auf den heutigen Tag. Vieles von dem, was ich übers Abnehmen und eine gesunde Ernährung zu wissen meinte, deckte sich nicht mit den Befunden, auf die ich stieß. Mir wurde klar: Da draußen wimmelt es nur so von Ernährungsmythen und Diätweisheiten, die unserem Körper erheblich schaden können. Ich war ausgezogen, um die ultimativ gesunde Kost ausfindig zu machen. Der erste Augenöffner für mich war dabei die Entdeckung, dass es so etwas wie die eine ideale Ernährung (sei es Low-Fat, Low-Carb, vegan, Paläo, glutenfrei …) nicht gibt. Diese hübschen Schlagwörter und Ideologien verblassen angesichts der Komplexität der Daten. Der Komplexität von Nährstoffen. Tatsache ist: Es gibt viele verschiedene Wege zu einem langen, sehr gesunden Leben.
Dies fällt sofort ins Auge, wenn man einen Blick auf die Ernährungsweise diverser Regionen (im Fachjargon: Blue Zones) wirft, in denen Menschen überdurchschnittlich alt werden. Das mit Abstand berühmteste Beispiel ist Okinawa, eine japanische Inselkette, drei Flugstunden südwestlich der Hauptinseln Japans. Die ältere Generation dort gehört zur langlebigsten der Welt schlechthin. (Kurz zur Klarstellung: Es ging und geht mir bei meiner Suche nicht so sehr darum, wie alt ich werde, sondern wie ich alt werde. Auch in dieser Hinsicht haben die älteren okinawischen Japaner es beneidenswert gut. Es ist, als bliebe ihr Körper länger jung. So werden sie erheblich seltener von Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, Krebs und Demenz geplagt als wir in Deutschland.)
Okay, Okinawa-Japaner bewegen sich mehr als wir und sie leiden nicht unter unserem Stadtneurotikerstress. Aber die wichtigste Frage für mich lautete: Was essen sie? Die Antwort: eine extrem fett- und proteinarme Kost. Ganze 85 Prozent der Kalorien kommen traditionell von Kohlenhydraten, vor allem in Gestalt der dort beliebten Süßkartoffel. So viel zum derzeit verbreiteten »Carb-Bashing«. Es ist ja in den letzten Jahren zu einer Art Volkssport geworden, die Kohlenhydrate in Grund und Boden zu verdammen. Dabei sind sie für die meisten von uns nicht das Problem. Umgekehrt könnte man jetzt den voreiligen Schluss ziehen, dass man mit einer Low-Fat-Diät nachweisbar am besten fährt. Viele Organisationen, wie bei uns die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), empfehlen nicht umsonst, sich eher fettarm zu ernähren. Diese Empfehlung ist nicht unbedingt falsch. Sie greift nur entschieden zu kurz.
Bemerkenswert ist nämlich auch, dass gerade zahlreiche Top-Ernährungsforscher, darunter Walter Willett von der Harvard-Universität, eine ganz andere Ernährungsweise loben. Willett und Mitstreiter halten die Mittelmeerdiät für das Nonplusultra. Und wie die meisten von uns wissen, spart man in der mediterranen Küche nicht eben am Fett. Im Gegenteil: So gut wie jede Speise wird mit reichlich Olivenöl zubereitet. Üblicherweise liegt der Fettanteil dieser Kost bei mehr als 40 Prozent der Kalorien. Fettreich und trotzdem gesund? Oh ja! Tatsächlich spricht eine Vielzahl unterschiedlicher Daten für die Mittelmeerkost. Es gibt Tests mit Tausenden von Versuchspersonen, in denen die eine Hälfte – die Kontrollgruppe – dazu angeregt wurde, sich fettarm zu ernähren. Die andere Hälfte sollte eine fettreiche Mittelmeerkost verfolgen. Um das zu unterstützen, bekamen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Gruppe literweise Olivenöl und Woche für Woche fettreiche Nüsse geschenkt.
Versuche dieser Art wurden mehrfach frühzeitig abgebrochen. Warum? Nun, die Mittelmeerkost erwies sich als dermaßen gesund, dass Ethikkommissionen es für nicht vertretbar hielten, das Leben der fettarm essenden Kontrollgruppe länger als nötig aufs Spiel zu setzen! Insbesondere senkt die Mittelmeerdiät das Risiko eines Schlaganfalls drastisch. Weitere Analysen zeigen: Je mehr natives Olivenöl eine Frau wöchentlich zu sich nimmt, desto geringer ist ihr Brustkrebsrisiko. Neuere Untersuchungen legen nahe, dass die Mittelmeerdiät sogar vor Depressionen schützen könnte. Kurz gesagt: So wie eine fettarme Ernährung kann auch eine fettreiche Ernährung sehr gesund sein und vor Krankheit schützen. Man beachte, dass fettarm automatisch kohlenhydratreich heißt und umgekehrt – irgendetwas müssen wir schließlich essen.
Aber Moment, da war doch noch etwas? Unsere Ernährung setzt sich nicht nur aus Fetten und Kohlenhydraten zusammen, oder? Richtig. Womit wir uns dem Höhepunkt der Ironie nähern. In der Tat gibt es nicht nur diese Hauptnährstoffe, Fett und Kohlenhydrate. Es existiert darüber hinaus noch ein dritter Hauptstoff, der uns Energie (Kalorien) liefert. Das sind die Proteine oder das Eiweiß. Es gibt Low-Fat und Low-Carb – aber haben Sie schon einmal von einer Low-Protein-Diät gehört? Schon das allein verrät uns, dass die Proteine etwas Besonderes sind. Es ist, als könnte man den Anteil der verzehrten Fette und Kohlenhydrate beliebig hoch- und runterfahren. Nicht so die Proteine. Was also hat es mit den Proteinen auf sich?
Insgesamt genießen sie einen guten Ruf. Neue Erkenntnisse der Altersforschung jedoch werfen ein interessantes und teils erschreckendes Licht auf die Proteine. Hierzu etwas Hintergrund. Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass es ein erstaunlich zuverlässiges Mittel gibt, um das Leben vieler Organismen und Tiere zu verlängern. Das Mittel nennt sich Kalorienrestriktion. Man setze ein Tier – eine Fliege, einen Wurm, eine Labormaus, teils funktioniert es sogar bei Affen – auf eine kalorienreduzierte Kost, schon lebt das Tier deutlich länger. Und gesünder! Sprich, es wird im Alter weitaus weniger von allerlei Leiden geplagt. Es ist, als würde das Tier langsamer altern. Ein entscheidender Grund dafür ist folgender: Sobald die Nahrungsversorgung knapp wird, gehen die Zellen unseres Körpers von einer Art Wachstumsmodus in einen, wie sich herausstellt, äußerst segensreichen Wartungsmodus über. Angesichts des Energiemangels startet die Zelle einen Aufräumvorgang, den man als Autophagie (Selbstverzehrung) bezeichnet. Defekte Zellstrukturen und angesammelter Zellschrott werden abgebaut und recycelt. Unsere Körperzellen reinigen und verjüngen sich damit selbst.
Die Krankheiten Alzheimer und Parkinson zum Beispiel sind davon gekennzeichnet, dass sich immer mehr toxischer Zellschrott in den Nervenzellen des Gehirns und um sie herum ansammelt, was sie letztlich zugrunde richtet. In einer Hungersnot wird dieser molekulare Müll endlich entsorgt (übrigens auch im Schlaf, was ja auch einer kleinen Fastenperiode gleichkommt. Nicht umsonst sprechen die Angelsachsen vom Breakfast: Am Morgen bricht man mit dem Fasten). Erst in den letzten Jahren hat man herausgefunden, dass derart drastische Hungerkuren gar nicht nötig sind, um den lebensverlängernden Effekt hervorzurufen. Man kann die Verjüngung auch herbeiführen, indem man einfach nur die Proteine in der Ernährung herunterfährt! Wie ist das möglich?
Proteine setzen sich aus Bausteinen zusammen, die man Aminosäuren nennt. Manche davon kann der Körper selbst herstellen („nicht-essenziell“), andere nicht, sie sind „essenziell“, wir müssen sie essen. Wie sich mehr und mehr herauskristallisiert, sind es diese essenziellen Aminosäuren, die den Alterungsprozess in erster Linie vorantreiben. Dies ergibt auch einen biologischen Sinn: Der Körper braucht diese Proteinbausteine unbedingt, um Bau- und Wachstumsprozesse in Gang zu setzen. Reges Wachstum – das klingt zwar erst einmal gut, beschleunigt aber auch die Alterung.
Dazu müssen Sie kurz Bekanntschaft machen mit einem Molekül namens mTOR (mechanistic Target of Rapamycin). Es ist eine Art Bauleiter der Zelle und zugleich ein Generalschalter der Alterung. Und der wird hauptsächlich von essenziellen Aminosäuren angeworfen. Sobald mTOR auf Touren kommt, wird der oben beschriebene heilsame Vorgang der zellulären Selbstreinigung stillgelegt. Stattdessen gibt mTOR der Zelle das Kommando zum Wachsen. Die Zelle wird dicker, vermehrt sich. Auf diese Weise wächst Gewebe, zum Beispiel Muskelgewebe. Daran sieht man schon: Ein gewisses Maß an mTOR-Aktivität und Zellwachstum sind zweifellos wichtig, ja sogar lebensnotwendig (vor allem wenn Schwarzenegger-Muckis Ihr Hauptziel sind).
Für ein gesundes Altern aber ist der Körper auf eine Balance zwischen Baumaßnahmen und Abbaumaßnahmen, also den Aufräumaktionen in Form der eben erklärten Autophagie, angewiesen. Statt ständig zu wachsen und aufzubauen, muss der Körper eben auch mal den ganzen Müll, der dabei anfällt, aus dem Weg räumen. Außerdem tut auch Krebs bekanntlich nichts lieber, als zu wachsen. So fördert gerade eine proteinreiche Ernährung nachweisbar das Krebswachstum sowie den Alterungsprozess. Altersforscher der University of Southern California in Los Angeles haben festgestellt, dass Menschen, die sich eiweißreich ernähren, auffallend oft von allerlei Altersleiden betroffen sind.
Die Wissenschaftler hatten die Ernährungsdaten von knapp 6400 Menschen ab einem Alter von 50 Jahren analysiert. Es zeigte sich: Wer in mittleren Jahren zwischen 50 und 65 ordentlich Protein futtert (20 Prozent der Kalorienaufnahme oder mehr im Vergleich zu weniger als zehn Prozent), dessen Sterblichkeitsrisiko ist um 74 Prozent erhöht. Das Krebsrisiko steigt in diesem Fall sogar um das Vierfache – eine Größenordnung, wie man sie sonst eher vom Rauchen oder Alkoholmissbrauch kennt (ein bisschen Alkohol ist ganz okay, nebenbei gesagt).
Ein genauer Blick auf die Daten offenbarte aber auch eine wichtige Ausnahme. Sobald die Forscher die Analyse auf pflanzliche Proteine beschränkten, hob sich der negative Zusammenhang auf. Nicht nur das. Neue Studien der Harvard-Universität legen nahe: Wer vermehrt auf pflanzliche Proteine setzt, etwa in Form von Bohnen, Linsen und Nüssen (statt auf Fleisch), darf sogar mit einem längeren Leben rechnen! Klingt widersprüchlich. Bis zu einem gewissen Grad passt dies jedoch durchaus zu dem, was man über die molekularen Mechanismen weiß, die den Alterungsprozess steuern. Wie gesagt, wird unser Bauleiter mTOR in erster Instanz von essenziellen Aminosäuren angetrieben – von jenen Rohbausteinen, die der Körper unbedingt braucht, um vom Wartungs- in den Wachstumsmodus zu schalten. Und tierisches Protein enthält in der Regel mehr essenzielle Aminosäuren als pflanzliches Protein. Oder, um es auf eine vereinfachte Formel zu bringen: Tierisches Protein regt mTOR an, und das fördert Zellwachstum und Alterung.
Als grobe Faustregel kann man somit schließen: Je mehr pflanzliche und je weniger tierische Lebensmittel man isst, desto gesünder, desto länger das Leben, desto weniger Altersleiden. Der Alterungsprozess als solcher wird verlangsamt. Dies ist genau das, was sich in sämtlichen Langlebigkeitszonen der Welt beobachten lässt. Die Ernährung in diesen Regionen ist ohne Ausnahme stark pflanzenbasiert, obwohl die konkreten Pflanzen, die man dort isst, sehr unterschiedlich sein können. Auch die mediterrane Kost besteht hauptsächlich aus Pflanzen. Und aus Fett. Wobei natürlich auch Olivenöl ein pflanzliches Produkt ist.
Was heißt das nun konkret für mich?
Muss ich für ein langes, gesundes Leben zum Veganer werden? Um es klar zu sagen: Eine vegane Kost kann sehr gesund sein. Kann. Wenn sich die Kost nicht gerade aus Kartoffelchips, Zucker, Cola und Bier zusammensetzt. Die Rede ist also von weitgehend unverarbeiteten Pflanzen. So, wie man sie in der Natur vorfindet. In Form von Gemüse, Obst und insbesondere Hülsenfrüchten, also Linsen, Bohnen und Kichererbsen. Und Nüssen natürlich. Nüsse sind das Nonplusultra! Vertieft man sich weiter in die Daten, durchkämmt man die Studien von der Nachkriegszeit bis heute, ergibt sich jedoch ein Bild, dass differenzierter ist, als sich mit dem Schlagwort „vegan“ erfassen ließe. Es gibt durchaus einige tierische Lebensmittel, die sich als sehr gesund erweisen. Ein Beispiel ist Fisch, und hier vor allem fettiger Fisch (und nicht etwa der bei uns leider recht beliebt gewordene Pangasius, der voller Quecksilber und weiterer Gifte steckt).
Nehmen wir als eindrucksvollen Hinweis, der für den Verzehr von Fisch spricht, die Siebenten-Tags-Adventisten. Diese protestantische Religionsgemeinschaft lebt überall auf der Welt verteilt und wird vor allem in USA akribisch untersucht. Ihre Anhänger betrachten ihren Körper als „Haus Gottes“ und behandeln ihn entsprechend. Adventisten bewegen sich regelmäßig, rauchen oder trinken fast nie, die meisten ernähren sich sehr gesundheitsbewusst. Ein Großteil sind Veganer, die sich also rein pflanzlich ernähren. Interessanterweise jedoch nicht alle.
Siebenten-Tags-Adventisten leben im Schnitt bis zu zehn Jahre länger als der Durchschnittsamerikaner. Unter den Adventisten wiederum lässt sich ein aufschlussreiches Langlebigkeitsranking erstellen. Erneut zeigt sich tendenziell: Je weniger tierische Lebensmittel ein Adventist isst, desto länger lebt er. Einzige Ausnahme: Jene Vegetarier, die ab und zu Fisch essen (sogenannte Pescetarier) – sie werden von allen am ältesten.
Man weiß es nicht genau, aber wahrscheinlich hängt die Sache mit den berühmten Omega-3-Fettsäuren zusammen, die sich eben vor allem in fettigen Fischen wie Lachs, Hering, Makrele und Forelle befinden. So hat man in den letzten Jahren eine sensationelle Entdeckung gemacht: Einige unserer Körperzellen sind eigens mit einem Omega-3-Sensor ausgestattet. Sobald eine Omega-3-Fettsäure an eine solche Zelle andockt, setzt das eine chemische Kaskade in Gang, die zur Steuerung Dutzender Gene führt (manche Gene werden aktiviert, andere stillgelegt). Die Folge: Schädliche Entzündungsprozesse werden heruntergefahren, was übrigens auch beim Abnehmen helfen kann. Anders gesagt: Der Fisch, den wir essen, wird nicht einfach nur „verbrannt“. Er liefert uns nicht bloß Kalorien. Er kommuniziert vielmehr mit unserem Körper und gibt unserem Erbgut Instruktionen. Entdeckungen wie diese werfen ein ganz neues Licht auf Nahrung. Sie ist nicht bloß schiere Energie, nein, Nahrung ist Information. Was erklärt, warum manche Fette uns nicht einfach dick machen, sondern sogar vor Krankheit schützen können.
Ich habe meine Ernährung auf Basis dieser und vieler weiterer Befunde nach und nach grundlegend umgestellt. Ich habe für mein Buch – den Ernährungskompass – Tausende von Studien ausgewertet, die ihrerseits auf Tausenden von Studien aufbauen. Ich habe festgestellt: Ein objektiver Gesamtüberblick über die gesammelten Erkenntnisse weist uns einen Ausweg aus dem derzeitigen Ernährungschaos. Selbst wenn es so etwas wie die eine ideale Ernährung nicht geben mag – die Grundkomponenten einer gesunden, lebensverlängernden Kost lassen sich sehr wohl skizzieren. Ausgehend von diesem Grundgerüst eröffnet sich uns ein großer Spielraum, um unsere eigene Ernährung so zusammenzustellen, dass sie uns auch schmeckt. Was bedeutet: dass wir sie im Alltag auch durchhalten.
Anfangs war die Umstellung gewöhnungsbedürftig. Aber man darf auch mal sündigen. Während des ersten Corona-Lockdowns habe ich mir gelegentlich ein Stück Sachertorte gegönnt! Warum nicht? Die Dosis macht auch hier das Gift.
Gesundheit wird ja oft klischeehaft gegen Genuss ausgespielt. Zurückblickend jedoch frage ich mich: Habe ich meine Chips und Pommes damals wirklich so sehr genossen? Genießt man es, wenn man sich noch einen Hotdog reinhaut, obwohl man schon satt ist? Vielleicht. Manchmal bestimmt. Wie auch immer: Ich genieße nach wie vor. Anders als früher, aber immer noch und vermutlich sogar mehr. Mein Essen ist einfach, pur und oft schlicht herrlich. Ach ja, nebenbei gesagt, auch das bedeutet für mich Genuss: Meine Herzattacken sind verschwunden. Ich jogge wieder so frei und unbeschwert wie früher. In diesem Sinne: Alles Gute zum neuen Jahr!
Zum Autor:
Bas Kast, geboren 1973 in Landau, Pfalz, ging in den Niederlanden, Deutschland und Kalifornien zur Schule, studierte Psychologie und Biologie unter anderem am MIT in Boston. Ursprünglich wollte er Hirnforscher werden oder zumindest etwas Vernünftiges tun, wandte sich dann aber dem Schreiben zu. „Der Ernährungskompass“ wurde ein Weltbestseller, den allein in Deutschland über eine Million Menschen gelesen haben. „Das Buch eines Sommers“ ist sein erster Roman und erschien 2020 im Diogenes Verlag.
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