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Feuilleton Musik 7. Dezember 2022

Plattenteller des Monats #Dezember 2022

Wider erwarten steht die Welt noch. Einigermaßen und nicht für alle, und trotz Krieg und Black Friday. So hat jeder sein Päckchen (nach Hause) zu tragen, und es geht langsam aber unstoppable Richtung Weihnachten, das alle Jahre wieder etwas Hohlraum im Wohnzimmer oder im Leben ausfüllt. Je nach Lage.

Zu den Klassikern der letzten Monate des Jahres, also Zeitmangel sowie überflüssige Weihnachtsfeiern, kommen dieses Jahr noch Energiekrise und dessen Unkosten dazu. Außerdem gab es in Kopenhagen noch einen herzerwärmenden Bericht über gestresste Kinder im Dezember, die zwei bis drei Weihnachstsserien sehen müssen (weil die fanden die Eltern auch immer toll), die zwei bis drei Adventskalender leer essen müssen, am besten schon morgens und außerdem an verschiedensten Festen teilnehmen müssen, weil Weihnachten eben auch das Fest  der Kinder ist.

Offensichtlich etwas viel für kleine Menschen. Vielleicht Krise nutzen und mal 2-3 Gänge zurückschalten, was die ganze Perfomance angeht. Okay, zurück zur „Normalität“: Habe es hier schon öfters beschrieben, den Kultur- und Eventverdruss, jetzt auch im Zeit Podcast „Die Sogenannte Gegenwart“ angekommen. Ss wurde sogar das gleiche Tocotronic Beispiel abgesagter Konzerte bemüht. Weiße Männer eben, und Lars heißt auch noch einer. Anyway, der andere, Iljoma Mangold, ist der Überzeugung, dass sich dieser Verdruss unter uns nicht ändern wird, das Glas, sprich die Konzertsäle, also halb leer bleiben. Hoffentlich irrt er sich.

Ansonsten vielleicht einfach schon mal die Festivals für den Sommer planen. Offene Einladung zum Roskilde Festival steht wie immer. Für alle die der abgesagten Tocotronic Tour nachtrauern, bekommen dieses Jahr Blur, und für alle anderen Christine & the Queens (und die of the Stone Age) und Denzel Curry, aber zu dem gleich mehr.

Jedenfalls könnte jetzt die Gelegenheit sein, Karten zu bekommen, könnte auch für alles andere gelten, das sonst immer schnell ausverkauft ist. Also, hier nochmal ein paar neue und alte Platten, um über den kalt geworden Fußboden – weil der Nachbar nicht mehr heizt – zu tänzeln.

Galcher Lustwerk – 100% Galcher 

Seine vorletzte Platte „Information“ stand hier an selber Stelle und hat einen festen Platz auf unserem Plattenteller. Menschen mit dem großen Internetführerschein hatten ihn schon 2013 entdeckt, als er sein Mixtape „100% Galcher“ hochlud, was zu einer berechtigte Dosis Fame für ihn führte. Skizzenhafter Underground House, direkt aus der Fabrik. Man spürte ihn fast noch an den Knöpfen drehen und vor dem Mikro seine assoziativen Textparts singen, rappen, sprechen. Die Stimmung ist Lo-Fi, der Sound warm und cool. Die Tracks zwischen drei und sechs Minuten tippeln zwischen Bar und Floor und sind einfach Housemusik wie sie nicht oft vorkommt, aber sollte. Galcher Lustwerk wollen nicht die Hütte abreißen oder sich irgendwie anders unnötig in den Vordergrund drängen, sie wollen einfach, dass es dir gut geht. Und jetzt gibt es sie zum ersten Mal in voller Länge auf Vinyl. Yes!

Svaneborg Kardyb – Over Tage

Auch ein Wiederkehrer, ihr Album „Haven“ war eine kleine, aber umso stärker schimmernde Perle. Die beiden Dänen haben nicht viel am Konzept geändert. Sie machen immer noch eine Art Ambient Jazz, der aber nicht so ruhig ist, dass es reiner Ambient ist, aber auch nicht über-jazzig. So gemütlich in der Mitte. Klavier und Percussion finden hier zusammen, füllen die gegenseitigen Leerräume und tasten sich vorwärts. Die Kunst ist hier, dass es nie banal wird, nie fahrstuhlmäßig belanglos klingt. Es hat Soul und Atmosphäre, und ist sicherlich über die Maßen harmonisch, aber auch poetisch. Natürlich passt diese Musik zu dieser grauen Jahreszeit. Und es braucht nicht lange, um das gut zu finden.

Cat Power – Covers

Zurück zu blicken gehört zum Ende des Jahres, genauso wie der Sale im Plattenladen am Wochenende. In so einer Kiste fand ich neulich Cat Powers „Covers“, das im Januar diesen Jahres erschienen ist. Ich habe sie im Sommer zum ersten Mal live auf einem Festival gesehen. Wir hatten viel Wein getrunken und alles war schön. Zu „Covers“ kann man hervorragend Wein trinken, aber Tee passt fast besser. Chan Marshall ist extrem gut darin neue Versionen von anderen Songs aufzunehmen und sich diese zu eigen zumachen. Doch manchmal ist Tee eben nur parfümiertes Wasser, und runtergedimmte Coverversionen sind manchmal auch nur parfümierte Musik. Dieses Album kann das sein, dieses nicht-stören im Hintergrund. Aber wenn man genauer hinhört, gibt es die Feinheiten, das Augenzwinkern, die Leidenschaft – und nicht zuletzt die Songauswahl an sich. Da gewinnt diese Platte wieder, und man muss sich und die Ohren auch nicht immer herausfordern. 

Denzel Curry – Melt My Eyes See Your Future (Cold Blooded Soul Version)

Doch es darf auch nicht zu gemütlich werden, so ganz generell. Da passt Denzel Curry ganz gut. Hip Hop gab es hier nicht oft zu hören, obwohl es in meiner Sammlung oft vorkommt. Aber vielleicht eher die Golden Days. Damals als die Basis Jazz und Jazzsampels waren und alles ein bisschen weniger aggressiv war. Curry kann auch aggressiv und irgendwie hat er sich bei mir eingebrannt, ohne das ich genau sagen könnte wieso. Seine neue Platte ist jedenfalls ziemlich jazzy (auf seine Art), tight und lässig. Lyrics sind natürlich wichtig hier, und man sollte da sicher nochmal ins Textbuch gucken. Für mich reicht der Flow und der Vibe, starke Feature-Gäste sorgen für Abwechslung, und auf der neuen, gerade (ein halbes Jahr später) erschienenen Ausgabe mit der The Cold Blooded Soul Band hat er zehn Songs mit einer größeren Band neu aufgenommen, und gibt dem ganzen nochmal eine neue Dynamik und Ebene. Try it! 

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