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Feuilleton Musik 6. Dezember 2020

Plattenteller des Monats #Dezember 2020

And now, the end is near… und mit dem (Jahres)ende blickt man zurück. Aber auf was? Erinnerungen an Toilettenpapier, Homeoffice und Spaziergänge? Was wir vermissen sind die Erinnerungen. Die Erinnerungen an die geplante Manifestation unserer Vorfreude von vor einem Jahr. Daraus wurde nichts, und Vorfreude und Pläne wurden gegen Hoffnung eingetauscht.

Doch etwas Hoffnung schwirrte hier letzte Woche durch die Medien und das Internet und stupste die Vorfreude an. Neben Impfstoffnews, gab das Roskilde Festival weitere neue Bookings für 2021 bekannt, darunter The Strokes, Haim, Big Thief und Megan Thee Stallion. Selbstverständlich kamen sofort einige Fragen auf.

Die Leiterin des Roskilde Festivals antwortete: „Es ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, sich zu treffen und ein Teil der großen kulturellen Gemeinschaften zu sein. Wir müssen daran glauben, dass wir wieder in den Freiraum treten können, und uns von den vielen neuen Eindrücken eines Roskilde-Festivals leiten lassen.“

Wie Recht sie hat, doch trotzdem Zukunftsmusik. Damit die Gegenwartsmusik nicht im „Whamageddon“ endet, können wir nur raten, sich an der folgenden, recht dänemarklastigen Liste zu orientieren, die Musik für alle Lebenslagen bietet, und die Anlage ordentlich aufzudrehen.

Kashmir – The Good Life (Sony BMG)

Fangen wir an mit etwas Rockmusik, um den Staub aus den Boxen und den Winterblues aus dem Kopf zu blasen. Kashmir, sowas wie die Radiohead Dänemarks, haben mit jedem neue Album höhere Standards gesetzt, und sich nicht nur in Dänemark eine große und treue Fanbase erarbeitet, sondern ebenso im Ausland und auch Kritiker überzeugt. Der ganz große Durchbruch (á la Radiohead) wurde ihnen verwehrt, aber Leute wie Lou Reed, David Bowie und Tony Visconti arbeiteten gerne mit ihnen zusammen. Trotz längerer Pause, sind Kashmir immer noch eine der größten dänischen Rockbands. The Good Life von 1999 hat offensichtliche Hits wie „Mom in Love, Daddy in Space“ und „Graceland“, etwas verstecktere wie „New Year’s Eve“, dazu verdammt starke Songs.

Kraftvoller Sound, Melancholie und Verletzlichkeit, auch in den Lyrics und der Stimme von Sänger und Schreiber Kasper Eistrup (auch mal seine Malerei auschecken). Die Platte ist top produziert ohne poliert zu sein, sie zieht Aufmerksamkeit auf sich ohne danach zu gieren. Gerade wurde sie und der gesamte Backkatalog der Band neu auf Vinyl herausgegeben, einzeln und in einer sehr schönen und sehr teuren Box: Weihnachtsgeschenke anyone?

Jimi Tenor – Aulas (Philophon)

Alles Tropische ist gerade nicht nur geografisch weit weg. Das Gleiche gilt für das Clubleben. Glücklicherweise hat ein kleiner Plattenladen hier in Kopenhagen, für Jazz, HipHop, Afrobeat etc. einen Recordclub gegründet, und jetzt gibt es monatlich eine vom Fachpersonal ausgewählte Platte: kein Clubersatz, aber ein guter Ersatzclub. Den Anfang macht das neue Album von der finnischen Saxophon und Jazzlegende Jimi Tenor. Der für dieses Aufnahmen u.a. in Ghana unterwegs war, und zusammen mit seinen teilweise deutschen und ghanaischen Mitmusikern, und allerlei Flöten, Percussion und Soul, Tropen und Club vereint. Verspielte Jazz-Afrobeat Songs sorgen für gute Laune, Funk-Rhythmen und Melodien bringen etwas Summer Breeze in die Hütte, in die steifen Hüften und locken bestimmt auch Oma hinter dem Weihnachtsbaum hervor.

Astrid Engberg – Tulpa (Creak Inc.)

Wir bleiben in der Jazzecke, und doch ist das Debütalbum der Dänin Astrid Engberg, Sängerin, Komponistin, Producerin, und DJ, was ganz anderes. Vor „Tulpa“ hat sie schon ein paar EPs veröffentlicht, doch nach einem Fahrradunfall litt sie für längere Zeit unter starken Schmerzen und Konzentrationsstörungen, was Arbeiten für sie lange Zeit unmöglich machte. Doch jetzt hat sie TripHop, Modern Jazz, R’n’B und afrikanische Einflüsse zusammengebracht und zu einem fantastischen Sound verarbeitet, der schön in unser inoffiziellen Unterkategorie „Sonntagmorgensmusik“ passt. Ein Klavier spielt, elektronische Geräusche wabern und Beats und Schlagzeug pluckern dazu, nehmen Fahrt auf, und erzeugen mit Engbergs Gesang einen schönen Groove, und eine Stimmung, die zugegeben, auch später am Tag funktioniert. Nur Sonnenschein vermitteln Bläser, Rasseln, Congas und ihre geloopte Stimme nicht, aber um diesen zu genießen braucht es eben auch etwas Dunkelheit.

Pole – Fading (Mute)

Zum Arbeiten braucht mancher Ruhe, mancher Musik. Den richtigen Sound zu finden ist weder im Großraumbüro noch im Homeoffice immer leicht. Stefan Betke ist als Pole schon länger im Bereich Ambient Dub unterwegs. Eines von vielen Elektro-Genres, das uns bisher unbekannt war, wir aber ab jetzt und in dieser Ausgabe gut finden. Vielleicht könnte man auch Minimal House dazu sagen – oder was anderes. Den Dub in der Sache spürt man jedenfalls, Subbässe pumpen, aber auf ruhige Flussdampferart. Das Ambient sorgt für Melodie und Leichtigkeit. Doch Fahrstuhlmusik oder Yogastudio sind weit weg. Beim ersten Durchlauf kommt es einem recht minimalistisch vor, doch von Track zu Track und nach weiterem Durchhören, entwickelt sich die „Soundlandschaft“ und man hört es aufblühen, kleine Details, sowie die Zusammenhänge zwischen den Stücken, irgendwie ergibt alles Sinn. Pole bremst dich auf sein Tempo herab, und du merkst, es ist genau das Richtige. Die Platte kommt in einer schicken Gatefold Ausgabe mit goldenem Doppelvinyl.

WhoMadeWho – Synchonicity (Kompakt)

Aber irgendwann ist auch der letzte fertig mit Arbeiten und dann darf man auch mal eine Flasche aufmachen und Schluss mit der Ruhe und Stubenhocken. Unsere All-time-Favoriten von WhoMadeWho haben ein neues Album, und, zumindest für uns, ist jedes ihrer Alben ein Fest, und dieses mal haben sie dazu auch alle ihre Freunde eingeladen. Nachdem es auf den vorherigen Platten etwas mehr um Songs und das Albumformat ging, hat das Trio sich jetzt wieder eine neue Prämisse gesucht: Dancefloor! Nicht nur sind sie zurück auf Kompakt, sondern haben sich für jeden Track auf Synchronicity Unterstützung geholt, an den Knöpfen stehen u.a. Perel, Frank Wiedeman, Robag Wruhme oder Mano Le Tough, und so geht’s weiter. Das WhoIsWho der Elektroszene wurde versammelt.

Wenn nicht schon auf Festivals, dann eben auf dieser Platte, die sich aus drei EPs zusammensetzt, die über das Jahr verteilt herauskamen. Es ist mehr House und Club als sonst, weniger organisch, als wäre der Remix des Tracks gleich schon mit eingebaut. Alles treibt, alles ist im Fluss. Das sie in letzter Zeit vor allem mit Live-DJ Sets unterwegs waren, ist in jedem Ton spürbar. Und jeden einzelnen dieser Töne werden wir uns einverleiben, damit niemand sagen kann, wir wären nicht vorbereitet, wenn die Tanzlokale dieser Welt wieder aufmachen.

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