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Feuilleton Musik 4. Oktober 2020

Plattenteller des Monats #Oktober 2020

Da sind wir wieder, und obwohl es wild klingt, hängt die Welt noch in ihren Angeln. Viel haben wir hier jetzt schon geschrieben, über die Kreativität und das Durchhaltevermögen der Menschen mit dieser außergewöhnlichen und sich dauernd verändernden Situation klar zu kommen. Ab wann fängt das „normale“ Leben wieder an, oder ist normal nicht mehr drin, oder ist das hier jetzt das neue normal? Ist Zauberland abgebrannt, brennt es noch – und baut schon jemand wieder auf?

Die Kunst und Kultur hat schon den ersten Verdauungsprozess hinter sich. Die Schaffenden wenigstens, die Branche an sich hat es immer noch schwer…

Doch gibt es nicht bei euch auch schon die ersten Konzerte, Theatervorführungen, die Optimismus versprühen? Wir sollten nicht darüber enttäuscht sein, mit Abstand und sitzend, Dinge zu erleben, sondern sie aufsuchen und unterstützen. Support your local!

Bevor das Weihnachtsgeschäft losgeht und Greatest Hits Compilations und what-not die Regale füllen, gibt es hier noch fünf risikofreie Platten, die euch durch den Oktober und in den Winter hinein begleiten können.

Run The Jewels – 4 (BMG)

Das Album zur Zeit, veröffentlicht mitten in den BLM-Demonstrationen in den USA, und dem Rest der Welt. El-P und Killer Mike waren schon immer eher Kerle der Generation wütend, die sich nicht mit unnötigen Gangsterrapklischees aufgehalten, sondern lieber ihr vorletztes Album aus Katzengeräuschen neu zusammen gesampelt haben, und immer eine politische Fahne und Faust hochhalten. Ebenso hoch ist das Niveau ihrer bisherigen Platten.

Eine Produktion die sich nicht um Trends kümmert, sondern eigenen Standards setzt, es knallen lässt, und den Hörer motiviert in die Welt entlässt, um die nächste Barrikade zu stürmen. Ernsthaftigkeit ist aber nicht gleichbedeutend mit Spaßbremse. Die Beats sprudeln und die Samples funkeln, Bässe drücken, geben den Takt für messerscharfen Protestrap vor und natürlich ist auch Platz für etwas Saxophon und ein Zach De La Rocha Feature – so viel Zeit muss sein. Das Album kommt auf zwei schicken Magentavinyls oder in der Luxusausgabe auf vier Scheiben inklusive Instrumentals.

Sault – 7 (Forever Living Originals)

Letztes Jahr die Band der Stunde, dieses Jahr geht der Hype weiter. Das immer noch leicht mysteriöse Projekt aus England hat in zwei Jahren 4 Platten veröffentlicht, von denen leider alle recht geil sind. Festgelegt wird sich nicht, sondern spielerisch durch Funk, Soul, Disco, Afrobeat, R&B und HipHop, bewegt. Genauso wie RTJ ist Sault stark politisch ausgerichtet, es geht um das WIR, nicht um einzelne Personen, weswegen es nichts zur Sache tut, wer hier jetzt was macht.

Jenseits der Punk-atittude, macht – wer auch immer schreibt, komponiert, produziert – es gut. Und jetzt gibt es die Dinger auch alle auf Vinyl, wir hatten jetzt zufällig 7 in den Fingern, doch auch die diesjährigen Untitled (Black is) und Untitled (Rise) sind fantastisch, abwechslungsreich und experimentierend. Immer wieder hat man das Gefühl, einen alten Hit zu hören, den man von irgendwoher kennt und vergessen hatte, dass er sofort ins Herz geht. Wir geben hiermit den Stempel: Believe the Hype! Er wird eh nicht aufhören.

Phantom/Ghost – Thrown Out of Dramaschool (Kompakt)

Hier mal wieder ein Platte aus der inoffiziellen Plattenteller-Reihe „Zufällig (wieder-)entdeckt“. Phantom/Ghost ist wie der Freund, den man immer etwas aus den Augen verliert, aber plötzlich läuft er einem über den Weg und man verbringt ein paar schönen Stunden, und ist sich einig, man müsste sich doch öfter sehen oder hören. Das haben wir mit Thrown Out… aus dem Jahr 2009 gemacht. Gut passen Thies Münter am Klavier und Elektronik in Verbindung mit Dirk von Lowtzow´s Gesang zusammen. Er singt hier kleine Geschichten auf Englisch, kunstvoll mit deutschem Akzent, und gedämpfter als bei Tocotronic, und so, dass man ihn sich blendend beim Intonieren vorstellen kann. Musikalisch stellt man sich bei Kompakt Veröffentlichungen eher was anderes vor, aber runter kommen sie ja alle mal.

Crucchi Gang – Crucchi Gang (Vertigo Berlin)

Apropos deutscher Akzent: Den kann man auch im Italienischen haben. Manche behaupten Italien wäre gerade ein (musikalisches) Trendland – frag mal Wanda und Roy Bianco & Abbrunzanti Boys. Also wir finden Italien natürlich auch gut, genauso wie Francesco Willking (Tele, Höchste Eisenbahn). Der hat sich zusammen mit Sven Regener und Charlotte Goltermann gedacht, dass es doch voll knorke wäre, ein paar deutschsprachige „Indiehits“ neu einzuspielen (mit Hilfe von Produzent Patrick Reising ) und die Sänger auf Italienisch singen zu lassen.

Und wisst ihr was? Sie hatten recht – fantastico können wir da nur sagen. Sicherlich kann ein Halbitaliener wie Faber, dass smoother als der Vollnordeutsche Thees Uhlmann, aber hey, in Italien wollen sie ja eh lieber Rammstein hören. Hätte kitschig werden können oder scheiße, ist aber charmant und swingt. Sollte man genügend vom Wetter und Corona haben, kann man die Crucchi Gang im Wohnzimmer aufspielen lassen, dazu ein großes Glas Wermut auf Eis trinken, und dann ist alles tutto bene.

Kurt Vile – Speed, Sound, Lonely KV (ep) (Matador)

Wenn man auf diesen Seiten öfters mitliest, merkt man, dass hier zuletzt viel Jazz gehört wurde. Deswegen wird jetzt das eigentliche guilty pleasure verraten: Country. Ist jetzt nicht so guilty, aber wenn man das so ganz casual auf Partys raus lässt, auf denen klassisch Nicolas Jaar, Massive Attack oder Air im Hintergrund laufen, wird erstmal geguckt, gelacht und Howdy gesagt. Gemeint ist selbstredend nicht der Mainstream-Countryrock, dessen Hörer Pick-Up-Trucks fahren und Trump wählen, sondern der andere, der in den Seitenstraßen von Nashville wohnt und vom Staub in den Lungen erzählt, den diese Truckfahrer aufwühlen.

Auf Kurt Vile können sich viele einigen, zu recht – one Slacker to rule them all. Er hat gerade eine Country-EP veröffentlicht, so richtig mit Strohhalm im Mund, Fingerpicking und zwei Coverstücken von John Prine, der Folkmusic-Legende die neulich verstorben ist, und die man man auschecken sollte. Die fünf Songs sind schön, sehnsuchtsvoll und eher optimistisch, und das braucht man doch gerade auch ,oder?

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