Springe zum Inhalt →

Feuilleton Musik 2. November 2020

Plattenteller des Monats #November 2020

Draußen regnet es, drinnen auch. Immerhin geht das Jahr bald zu Ende, doch die Zeit scheint nicht nur langsam, sondern rückwärts zu laufen. Eigentlich ist es fast wieder wie zwischen März und Mai diesen Jahres, nur das man nicht mal mehr an den oder die See fährt. Zum Glück gibt es nur schlechte Kleidung.

Hier in Dänemark zögern wir den Lockdown Light noch hinaus. Wir tragen zwar überall Masken, aber Freizeiteinrichtungen mit sicheren Konzepten und genügend Sitzmöglichkeiten haben noch auf, Gastro ebenso. Damit hat man als urbaner Typ schon mal das nötigste zum Überleben zusammen, und ein Teil der Kulturschaffenden und Kulturszene kann vom Beatmungsgerät genommen werden, verbleibt aber, wie überall, wohl noch etwas auf der Intensivstation.

Ohne Kunst und Kultur wird es still: Also schnell zur Musik, die auf den Plattentellern aller Länder rotieren sollte. Doch was wählt man jetzt gerade, welche Stimmung überwiegt? Was lautes, fetziges mit Beat zum, durch die Wohnung oder barfuß im Regen tanzen, oder was ruhiges, nachdenkliches zum in der Wohnung rumliegen oder dem Regen beim fallen zugucken?

FLOW – Compilation by Mercury KX

Kurze Rückblende zum Record Store Day: Wie schon beschrieben, gibt es da ein paar Sachen, die alle haben wollen, die 100. Ausgabe von The Cure oder Bowie, und Sachen die niemand braucht, Justin Bieber Picture-Discs, und was dazwischen, zum Beispiel diese schöne Compilation vom Label Mercury KX. Da griff irgendwie niemand richtig zu. Obwohl ein Blick auf die Rückseite verrät, dass man hier bezauberndes erwarten kann. Bei Mercury KX erscheinen Künstler wie Olafur Arnalds oder der Hamburger Lambert. Beide sind auch auf FLOW vertreten, Arnalds u.a. mit seinem „For Now I Am a Winter“, im Rework von Nils Frahm.

Schön passend zu Kanzlerin Merkel, die im Bundestag sagte: „Der Winter wird schwer, vier lange, schwere Monate. Aber er wird enden“. Diese Platte wird euch gerne begleiten, mit der stillen Poesie von Arnalds, Frahm und Co. und jetzt auch Angie. Die übrigen Songs sind auch in den ruhigen poetischen Lagen angesiedelt. Besinnlich und mellow zu einem ausgedehnten Sonntagsfrühstück, kann man die Platte aus klarem Vinyl, immer wieder umdrehen und abhören, und wird nach und nach die kleinen Details finden, die gerade in langsamer, klavierlastiger Musik so schön sind. Bonusinfo: Das letzte Stück ist von der Komponistin Isobel Waller-Bridge, Schwester von Phoebe Waller-Bridge as known as „coolest Woman in the Filmgeschäft“.

Robyn – Robyn (Island)

Hier was für die Vinylheads – wir bleiben beim Record Store Day, mit einer einer Platte die „alle“ haben wollten: Robyns selbstbetiteltes Album mit den Evergreen Burnern wie „Be Mine“ und „With Every Heartbeat“. Erschien zum Record Store Day-Drop im August zum ersten Mal auf Vinyl. Die zwei Platten sind rot, haben eine geänderte Reihenfolge, Bonustracks und eine Auflage von 1150 Kopien – da lohnt das Frühauf -und Schlangestehen schon fast, oder? Muss ja jeder selber wissen, wir haben jedenfalls ein Exemplar und tauschen nicht. Denn wie man sie auch dreht und wendet, mit diesem Album hat Robyn damals ihren Ruf zementiert. Doch wer war vor 15 Jahren nicht jemand anderes, und wer hatte nicht Pop-Musik als den natürlichen Feind gewählt, um dann plötzlich von dieser Frau einen Hieb in den Magen zu bekommen, zusammen mit der Aufforderung, nie wieder aufzuhören dazu mit ausgebreiteten Armen im Kreis zu tanzen. Die Antwort muss lauten: einige. Womit sich der nie abebbende Hype von Robyn erklären lassen kann, und Momente wie jener letztes Jahr auf dem Roskilde Festival.

Goss – Group Therapy (Virgin Music Denmark)

Bleiben wir doch im Norden. Goss an sich ist sicher noch keine ganz große Nummer in Deutschland, doch der Musiker dahinter ist schon aufgefallen. Mads Damsgaard Kristiansen war Teil des Duos Reptile Youth, die mit wilden Liveshows und der Single „Speeddance“ auf sich aufmerksam und Karriere machten. War definitv Teil meiner Sets, als ich noch Indiedisco zu Besten gab. 2015 gingen sie auseinander und Mads tauchte dann 2017 als Goss und mit der „Homeland Security“ EP auf. Sympathisch wie er ist, wurde nicht mit den alten Lorbeeren geworben und die Rockbasis war ausgetauscht gegen einen sensiblen und dezenten R’n’B, in dem seine Stimme deutlich besser zur Geltung kam.

Irgendwo auf dem Weg zu diesem regulären Debüt muss er in einem Saloon hängengeblieben sein, denn auf „Group Therapy“ verbindet er Grundelemente des Country mit seinem sprudelnderen Popsound. Mal hört man das weniger mal mehr, überwiegend immer ist es gut, und unique. Angst haben muss man nicht, es klingt nicht wie diese EDM-Hits, wo der vom Teufel geholte Markus Mumford oder Ed Sheeran über einen stumpfen Beat eine Westerngitarre zupft. So eine akustische Gitarre erklingt hier zwar auch, ebnet aber nur den Weg für eine einvernehmende, gut gelaunte Platte, die kalte Stadt und warmes Land vereint.

Daniel Bortz – Stay (Permanent Vacation)

Unentschieden zwischen anonymer Stadt und familiärem Land ist auch Augsburg, vielleicht ist das auch eher Ansichtssache, je nach persönlicher oder ursprünglicher Herkunft. Mag verschlafen scheinen, trotzdem würde es diesen Artikel (oder gar Blog.Bohème) ohne Augsburg nicht geben. Einer der schon immer in Bayern daheim und in der Welt Zuhause ist, ist Daniel Bortz. Aus seinem Heimstudio in Augsburg sendet er seit einigen Jahren schon Tracks und sich selbst auf die Floors. Gefeiert wird dazu, ob auf der eigenen Partyreihe im City Club oder auf Australientour, House und Techno funktioniert eben grenzübergreifend. Genauso sind auch diese neuen Tracks, die trotz ihrer unterschiedlichen Wurzeln – etwas Acid hier, etwas Breakbeat dort – als ganze housige Platte funktionieren und zusammenarbeiten. Wie es auch in seinen Clubsets der Fall war und wieder sein wird. Zum Überbrücken für uns alle, die da draußen hocken und warten bis man wieder Bass durch die Eingangstür eines dunklen, von Blitzen durchzogenen Raumes fühlen kann, um dann hindurchzugehen und andere Menschen, Wärme und Energie zu spüren. Bis dahin Freunde, hören wir „Stay“.

Gorillaz – Song Machine, Season One: Strange Timez (Parlophone)

„Strange Timez“, indeed – gut, dass da ein neues Album von den Gorillaz kommt. Album eher im Sinne von damals, als sich ein windinger Manager ausdachte, doch die ganzen 7’ die Bands so produzierten, am Ende der Saison auf eine große 12’ Scheibe zu pressen und es Long Player zu nennen. Gorillaz, natürlich aka Damon Albarn and Friendz, a lot of Friendz diesmal. Im Gegensatz zu „The Now Now“ – unterschätzt für seine lockeren, sonnigen Songs – auf dem nur ein paar Gäste vorbei schauten, sind hier auf jedem Track Freunde dabei. Legenden, Gestandene und Rising Stars. Etwas Namedropping muss da erlaubt sein: Beck, Elton John, Peter Hook, Tony Allen (R.I.P), St. Vincent, Slowthai, Fatoumata Diawara … eigentlich müsste man alle aufzählen, oder entdeckt sie selbst.

Die Songs bleiben nicht alle beim ersten Durchgang hängen, auch weil sie als Album vielleicht nicht ganz zusammenhängen, auf der anderen Seite aber gerade deshalb. Den roten Faden spürte man, vielleicht ist es das „Strange“ aus dem Titel, oder man schaut sich die vielen coolen Videos an, die Jamie Hewlett wieder mal produziert hat, dort erschließt sich das Universum hinter den Songs.

Damon Albarn ist in all seinen Projekten fantastisch darin gewesen, Zeitgeist in Songs zu packen und sich und seine Stimme als Konstante zu haben, egal ob die Musik drumherum Rock, HipHop, Funk, Electronica oder (am liebsten) alles zusammen ist. Dieses Feeling, die Stimmungen liegen sowohl zwischen den Zeilen als auch zwischen den Noten, und müssen entdeckt bzw. gefühlt werden. Wir sind immer noch Fans, und sollten Konzerte nächsten Sommer realisiert werden können, dürfte es gerne dieses sein. Die Platte kommt in allen möglichen Ausgaben, mit allem möglichen Merch dazu, wenn man es direkt bei ihnen bestellt. Auf der Deluxe Ausgabe, sind jedoch einige gute Bonustracks dabei.

Kommentare sind geschlossen.