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Feuilleton Musik 6. Mai 2021

Plattenteller des Monats #Mai 2021

„Doch jedes Blatt Klopapier in dieser Welt

Cannelloni, Maccheroni, Spaghetti, Spirelli und Co

Würd‘ ich geben, würd‘ ich geben

Für ein Ende der Quarantäne

Für ’nen Frühlingsspaziergang mit dir durch den Berliner Zoo“

Sieht es nicht so aus, als könnte die Welt diesen Wunsch bald einlösen, als könnten bald alle wieder in ihre Zoos gehen? Ich finde schon, und man muss ja auch mal den Positiv-Hut aufsetzen. Ich kann jedenfalls berichten, dass es sich gut anfühlt hier in Kopenhagen wieder ins Restaurant und Museum zu gehen.

Doch halten wir hinter der Maske nochmal kurz die eh schon dünne Luft an: Es ist viel geklatscht und gewürdigt wurden, und viele haben das verdient, doch eine:r der größten Helden:innen wurde gerne übersehen. Nämlich Du! Und deswegen: Danke, dass du nicht durchgedreht bist, durchgehalten hast, gesund bist, andere gesund gelassen hast, und das weiterhin tust. Alle diese Leistungen sollten nicht unterschlagen werden. Denn, auch dein Leben war und ist hart, und auch wenn du (noch) Geld hast, deinen Job hast, deine Oma hast, dann sind deine Probleme und dein genervt sein auch real – für dich – und deine Sorgen muss dir keiner ausreden, so klein sie auch sind.

Du darfst auch traurig sein, du darfst die alten Zeiten vermissen ohne von der Pathos-Security rausgeschmissen zu werden. Und obwohl du sonst ein ewiger Quell für gute Laune und Optimismus sein magst, hast du vielleicht neulich mal nachgedacht, mal kurz reflektiert: War meine Reaktion da gerade nicht neu? Bin ich so? Doch und ja, und das ist okay, it’s not you it’s Pandemie.

Also Kinder, zieht den Positv-Hut auf, blickt nach vorne, klopft auch dem Jenser auf die Schulter, und bis es auch in Deutschland wieder Kultur zum anfassen gibt, könnt ihr ja diese fünf Platten hier hören, die sind nämlich auch inkl. deutscher Kultur.

Danger Dan – Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Antilopen Geldwäsche)

Grundsätzlich misstraut man Hypes ja etwas, und wenn schon Stuckrad-Barre vom Album des Jahres spricht… doch kann sich auch mal hingeben, und das sollte man in diesem Fall tun. Außerdem sollte man sich freuen, dass so unaufgeregte, selbstgemacht Musik so breit einschlagen kann. Man kann wahrscheinlich von einem Corona-Album sprechen, das schon länger auf dem Weg war, doch wie oft hätte Danger Dan in einem normalen Jahr die Zeit gefunden, sich ans Klavier zu setzen, und ein paar einfach aber schöne Melodien und Texte zu schreiben? Die Lieder sind rührend, aufmunternd und nehmen dich an die Hand, aber recken sich auch als Faust in den Himmel. Legt die Platte auf den Teller und euch selbst aufs Sofa, und hört zu. Man darf auch weinen.

Die Regierung – Da (Staatsakt)

Noch mehr deutsche Lieder. Von Die Regierung. Auf Staatsakt. Natürlich, fand schon Jan Müller im Interview mit Bandleader Tilman Rossmy witzig. Dort (bei Reflektor) habe ich den kennengelernt, und war wieder berührt. Von seiner Lebensgeschichte, die von Hamburger Schule über Psychiatrie bis Softwareentwickler in der Schweiz reicht. Rossmy hat immer Musik geschrieben und gemacht, mal mehr Punk, mal mehr Country mal mehr Rock, immer von Herzen. Das Tocotronic Fans sind und Inspiration gefunden haben, wundert nicht. Nie richtig erfolgreich, meistens gut und immer ehrlich. Solche Typen braucht das Business. Von der Gosse in den Songtext. Man hört ihm an, dass er alles zu schätzen weiß, was ihm in seinem Leben an guten Sachen passiert ist, und die vielen schlechten Dinge gehören halt dazu. Es sind Lieder die beiläufig tief gehen, und eigentlich nicht nur die hier, sondern auch die vielen anderen Platten und Kiloweise Musik die Rossmy als Die Regierung oder Tillman Rossmy Quartett gemacht hat.

Floating Points, Pharao Sanders & The London Symphony Orchestra – Promises (Luaka Bop)

Für viele Medien und Kritiker schon vor Erscheinen eines der Alben des Jahres. Einfach nur wegen der Tatsache, das Sam Shepherd, der Mann hinter Floating Points, es geschafft hat, den legendären und 80-jährigen Pharao Sanders und sein Saxophon von diesem Projekt überzeugen zu können. Ich würde mir wünschen mehr von Musik zu verstehen, so kann ich mich nur hinsetzen und es versuchen. Denn natürlich ist das hier nicht nur schön, es ist auch kompliziert und es braucht einige Durchgänge und auch eine gute Anlage oder Kopfhörer. Es gibt leise Passagen und laute und große, gar dramatische Augenblicke. Orchester, Tenor Saxophon und Shepherd an allerlei Tastengeräten und Knöpfen, alles von ihm feinfühlig verwoben und geschrieben. Beat ist abwesend, Melodien und Harmonien geleiten einen durch die neun Movements. Die erste Auflage Vinyl ist wohl schon vergriffen, bestimmt kommt mehr – gerade hier zu empfehlen, komprimiert ist hier, bei diesem Maximum an Klang zu wenig.

Blue Note Re:imagined (Decca)

Könnte man hier wohl auch sagen, ist doch vielleicht gerade Jazz Vinylmusik. Die neue Londoner Jazzszene, die wir hier in diesen Spalten genügend abgefeiert haben und weiterhin werden, wurde gebeten, die alten Helden, Legenden und Wegbereiter des Jazz neu zu interpretieren. Soweit so normal. Anderseits hat sich gerade diese Generation nicht so sehr darum bemüht, den Traditionalisten zu gefallen, sondern alles in den Topf zu werfen, und spielt wohl in manchen Ohren eher „Jazz“, aber macht es nicht gerade das aus? Alt klingen tut hier nichts, was sowohl den zeitlosen Vorlagen geschuldet ist, aber auch den neuen Künstlern, die den HipHop, der einst den Jazz sampelte jetzt wieder dorthin zurückfließen lassen. Sucht man nach einem Einstieg in den älteren Jazzkatalog wird man hier nicht beim stöbern gestört. Alles groovy, alles cool und mehr Flaschenbier und Gin&Tonic als Rotwein und Whisky.

AceMoMA – A Future (Haus of Altr)

Etwas weniger easy, aber mindeste genauso gut runter, geht das neue Album von AceMoMA. Die eine Hälfte des Duos, AceMo, wurde an dieser Stelle vor ein paar Monaten empfohlen. Als es draußen dunkel war und drinnen auch. Der Junge macht eine Platte nach der anderen, auch zusammen mit Partner MoMA Ready kam letztes Jahr eine raus. Diese hier ist nicht ganz so aggressiv, etwas Jungle und Breaks tauchen auf, ansonsten klackert eine hintergründige Hektik die Platte entlang. Ich würde sagen, eine Art Ambient Drum & Bass, abgeschmeckt mit Detroit Techno und einer Jazzidee. Für jede Ohrenstellung was dabei, definitiv nicht langweilig, und langsam können wir nun auch aufhören Clubmusik nur zum träumen zu benutzen, sondern für das eintunen auf die Realität. Zum Grübeln, ob wir noch sozial sein können: was macht man nochmal in so einem schwitzigen Keller mit lauter Dance Music? Subtil ballern AceMoMA Denkanstöße raus und lassen dich durch die Tür schauen, ohne dass dir schwindelig wird.

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