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Feuilleton Musik 30. April 2020

Plattenteller des Monats #Mai 2020

Hier kommt die zweite Ausgabe unseres neuen Formats „Plattenteller des Monats“. Vorgestellt werden  nicht immer nur Neuerscheinungen, denn wie das im Plattenladen so ist, entdeckt man dort manches, von dem man nicht wusste, das man es suchte.

Es ist Frühling 2020 und alles bleibt anders. Kulturerlebnisse werden diesen Sommer rar oder digital. Aber klar, Menschenleben zählen mehr als Fun, trotzdem ist Spaß, besonders kultureller, für das Leben unverzichtbar, in welcher Form auch immer. Immerhin erscheint noch neue Musik, obwohl auch schon einige Releases verschoben worden sind. Das Debütalbum von Jenny Beth (Savages Frontfrau) zum Beispiel. Von der Vergangenheit zehren, sich auf die Zukunft freuen, gilt jetzt gerade und mehr denn je, um die Motivation (und im schlimmsten Fall die Finanzen) über den Sommer zu retten. Alles weitere zum Thema Hoffnung besingt Tocotronic: Hier als Gruppe und hier als Dirk.

Die Vergangenheit kommt auch in den Empfehlungen des Monats für eure Endgeräte zum Vorschein. In unserer „Mission Geld ausgeben für die Erhaltung des Systems und Unterstützung der Nachbarschaft“, haben wir natürlich beim Lagerverkauf unseres Kopenhagener Lieblingsplattenladens mitgemacht. Gibt es bestimmt auch in eurer Nähe. Und hier kommen unsere fünf Plattenempfehlungen, mit denen ihr den ausgefallenen Record Store Day nachfeiern könnt.

Gil Scott-Heron – We’re New Again – A Reimagining by Makaya McCraven (XL Recordings)

Den Anfang macht ein neues Album, dass gleichzeitig älter ist. Surfend auf der neuen Jazzwelle, die wir neulich erwähnten. Auf „We’re New Again“ hat der Chicagoer Drummer und Alleskönner/Producer Makaya McCraven das Album „I’m New Here“ von Gill Scott-Heron neu-interpretiert, wie es im Untertitel heißt. Vocals und Klavier sind „alt“ (dazu unten mehr), alles andere ist von McCraven ausgedacht und von ihm und Kollegen eingespielt. Und dieses „alles andere“ ist fantastisch. Es ist Blues, es ist Jazz, es ist Funk – es ummantelt nicht nur Scott-Herons Poesie, sondern steckt sie in einen kompletten Anzug, der sie sowohl strahlen lässt als auch perfekt umschließt. Die schmerzhaften und liebevollen Erinnerungen klingen in neuen Tönen wieder, machen graue Tage bunt, aber auch die hellen etwas dunkler.

Gil Scott-Heron – I’m New Here (XL Recordings)

Die zweite Platte ist, weil es passt, aber tatsächlich auch weil es purer Zufall war, die erwähnte „Vorlage“. Bloß in der 10 Jahre-Jubiläums-Ausgabe, auf grünen und pinken Vinyl und mit einigen Bonustracks. Die können auf solchen Wiederveröffentlichungen belanglos sein, aber hier komplementieren sie das Bild der immer etwas unter dem Radar operierenden Jazz-Dichter-Legende Gill Scott-Heron ganz gut. Ähnlich wie die American Recordings Rick Rubins Projekt mit Johnny Cash waren, war „I’m New Here“ das Projekt von Richard Russel mit Gill Scott-Heron. Russel organisierte, kümmerte sich und machte – bevor Scott-Heron 2011 verstarb – ein Album aus den rohen Demos. Das in seiner Schlichtheit berührt und dadurch eine Haltbarkeit bekam, die es weiterleben lässt, wie eigentlich der gesamt Backkatalog von Scott-Heron. Ob nun in dieser Version, in der von McCraven oder auch in der von Jamie xx (We’re New Here, 2011).

Lowly – Hifalutin (Bella Union)

Nun zu den Lagerverkaufsplatten. Den Anfang macht die neueste. Hifalutin, von 2019, ist das zweite Album der dänischen Band Lowly. 2015 von den Cocteau Twins entdeckt und gleich mal beim Label Bella Union (u.a. Father John Misty, John Grant, Beach House) gesigned. Man könnte meinen, Hifalutin wäre eines von diesen isländischen Wörtern, die passend erscheinen zu sphärischen, melodiösen Geräuschen und Klängen – aus denen diese Band, und vor allem die beiden Sängerinnen, wundervollen in den Bann ziehenden Pop macht. Es ist aber das englische Wort für pompös. Und sollte pompös auch zerbrechlich und voller Gefühl meinen oder sein können, dann ist es die treffende Beschreibung, für dieses in Deutschland zu unrecht übersehene Album, mit einem der Songs des letzten Jahres, „Baglaens“ (inkl. Video von Henrik Vibskov).

Marianne Faithfull – Negative Capability (Panta Rei)

Irgendwas klingelte, als ich das hier sah. Es ist 2018 und Marianne Faithfull veröffentlicht ihr 21. Album in einer über 50 Jahre dauernde Kariere, die Pitchfork hier treffend beschreibt: „From teenage British pop star to half of a rock’n’roll power couple, from junkie tragedy to elder stateswoman…“. Produziert haben Rob Ellis und Warren Ellis, auch Nick Cave geistert im Hintergrund herum. Es ist die erste Platte von ihr, die ich bewusst höre, und auch wenn sich deine Stirn jetzt runzelt, give it a shot. Man hört Faithfull ihr Alter an und es klingt… schön, nachdenklich, beruhigend. Auch ohne Sprachkenntnis würde man spüren was gemeint ist. Musik für eine Tasse Tee und melancholische Zeiten, in denen Trost und Hoffnung wichtiger sind als Klopapier. Apropos: Faithfull wurde gerade aus dem Krankenhaus entlassen, nach überstandener Corona-Erkrankung.

Mikael Simpson – De ti skud + Stille & Uroligt 

Noch eine Neuveröffentlichung. Obwohl, lass uns sagen zwei, weil zwei im Angebot und zwei gekauft, und in diesem bzw. Deutschen Kontext egal. Er ist Däne, und spielt im Ausland eher eine untergeordnete Rolle. Könnte daran liegen, dass er Dänisch singt. Hat man sich jedoch mit Trentemøller beschäftigt, hat man ihn schon gehört bzw. gesehen, in beiden Fällen an der Gitarre und Mundharmonika (und Remixer). Er heißt Mikael Simpson und hat seine alten Alben neu gemastert und auf durchsichtigem Vinyl herausgebracht. Perfekt für unsereiner und eine Chance für den Interessierten. Simpson ist bzw. war Anfang der Nuller einer dieser neuen Laptop-Singer-Songwriter. Persönliche Texte, Gitarre (etwas), Elektronisches, und ein Fundament aus Dub, Zuhause aufgenommen – mit Hilfe von ebenjenem Trentemøller. Die Songs wogen dahin und sind im Grundton eher düster; Großstadtsound. Einfach mal Abends zur Cocktailhour auflegen und gucken ob jemand merkt, dass man die Sprache nicht versteht.

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