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Feuilleton Musik 7. Juni 2021

Plattenteller des Monats #Juni 2021

Ich weiß ja nicht wie es euch geht? Aber antwortet ihr auf die Frage standardmäßig „gut“, was, wie man aus dem eigenen Smalltalk weiß, alles von toll bis schlecht bedeuten kann, oder etwas differenzierter? Ich habe das Gefühl, dass die Gemütslage „Corona halt“ versiegt.

Ein unnützes Füllwort und eine Viruskrankheit, und jeder weiß und verstand sofort, was los ist, und wahrscheinlich gibt es so eine Schöpfung überall. Überall auf der Welt, kannst du mit einem Wort und einem Achselzucken, ausdrücken, was über Monate hinweg für kleineres oder größeres Leid gesorgt hat. Jeder kann das in sein Schulenglisch, Vamos-a-la-playa-Spanisch, Voullez-vous-coucher-avec-moi-Franzöisch einbauen und sich verständlich machen, sofortige Empathie erzeugen und Mitgefühl ausdrücken. Wann gab es sowas zuletzt?

Aber langsam ist gut, Friends. Ich nämlich verspüre langsam Optimismus. Natürlich hilft Sonne auch. Natürlich gibt es immer noch äußert schlechte Nachrichten aus Indien. Doch irgendwo müssen wir anfangen. Nicht an den letzten, sondern an den ersten Strohalm klammern, den dir ein glücklicher Barkeeper in den Drink steckt.

Dänemark hat das Kulturleben, bis auf Club Life, wieder hochgefahren, und das ist großartig. Ich weiß nicht, ob man schon davon sprechen sollte, aber ist schon so eine „Wir haben es geschafft-Stimmung“ in den Venues. Von beiden Seiten, Künstler:innen und Publikum. Nie habe ich zum Beispiel den sonst etwas verbissen wirkenden Sänger von When Saints Go Machine, Nikolaj Vonsild, so freudig strahlend auftreten sehen. Den Tränen nahe, als der Applaus sich in jede noch so kleine Unterbrechung schob, anschwoll, mit Trampeln und alles, und Rührung und Erleichterung sich vermischten – auf beiden Seiten. Hier brauchte es nicht einmal ein „Corona halt“, jeder wusste Bescheid, jeder hat sein Leid (gehabt), und langsam wird es vertrieben – wie die bösen Geister an Sylvester durch Böller – heute und in den nächsten Wochen bloß durch Musik und Applaus. Kultur halt.

Zur Vorbereitung auf die kommenden Konzerte, die auch in einer Spielstätte near you passieren werden, kommen hier ein paar Platten. Zeit für einen neuen Plattenteller des Monats.

Juan Wauters – Real Life Situations (Captured Tracks)

Neulich hörte ich den Bassisten von Efterklang, Rasmus Stoltenberg, in einer Radioshow, dort sollte er einen Sommertrack empfehlen. Er empfahl Arcodes von Juan Wauters, und ich war hooked. Mir war der Uruguay/New Yorker vorher kein Begriff, doch es ist schon sein fünftes Album, und es ist voller umherschlendernder Sommertracks, auf Spanisch und Englisch. Hauptsächlich südamerikanischer (Latin?)-Folk, etwas County, Yacht-Rock, und einige kleine Snipptes und Clips, die die Songs verbinden. Alles unprätentiös, low-key und mit viel Herz und gute Laune. Dazu schauen noch Buddys wie Mac DeMarco und Nick Hakim vorbei, und dann ist der laid-back mood und ein buntes Sommeralbum unausweichlich.

Sororité – Beat X Changers

Die kleine Pariser Music Community und Label, die sich auf das entdecken und fördern von Talenten spezialisiert hat, hat neulich diese Compilation rausgebracht (bis jetzt nur digital), die die Musik von Frauen feiert. Sie haben elf Musikerinnen/Producerinnen aus unter anderem aus Frankreich und Amerika und Astrid Engberg aus Dänemark (ihr Album Tulpa = Top 5 2020) versammelt. Die Tracks bewegen sich zwischen jazzy Vibes, Hip-Hop, Elektronika und House. Schön aufgebaut von gemächlich bis tanzbar. Gibt eniges zu entdecken: The future is female.

Mustafa – When Smoke Rises (Regent Park Songs)

Einer den man leichter entdecken kann, ist Mustafa. Tauchte plötzlich in allen Medien auf und nur mit den besten Worten umschrieben, obwohl sein Debüt. Aber so geht es wohl, wenn James Blake und Jamie XX dabei sind. Es ist ein leises Album, mit einer zarten und doch kraftvollen Stimme, die RnB Strukturen mit Folk und Synthese mit Fingerpickinggitarre vereint. Schmerz und Verlust sind gegenwärtig, und man hofft auch Hoffnung zu spüren. Und es steht diesen Songs, dass sie nicht unter Musik und Produktion vergraben werden, sondern etwas nackter dastehen, und dadurch an Ausdruck und Poesie, und wohl auch etwas Spiritualität gewinnen. Vielleicht nicht etwas für jeden, kann aber jeden einnehmen.

Kira Skov – Spirit Tree (Sundance Music Ldt.)

Wir haben das Ende der Lockdown-Platten noch nicht erreicht. Einige Künstler waren unmittelbarer, haben den etwas schnelleren, roheren Weg gewählt, andere haben die Zeit voll ausgenutzt. Die Dänin Kira Skov macht schon lange Musik, zwar auch international erfolgreich, aber zu unrecht ohne den ganz großen Durchbruch. Ihre neues Album besteht aus 14 Duetten, mit Musiker:innen wie Bonnie „Prince“ Billy, Bill Callahan oder Jenny Wilson. Sie wollte sich während des Lockdowns nicht einschließen lassen, rief in die Welt hinaus und diese rief zurück. Und so untersuchen die Lieder die verschiedenen Stimmen und deren Wechselwirkungen. Eine Songwriterplatte, deren Slow-Rock, Nordic-Americana und Jazz die doch verschiedenen melodischen Ideen und Themen gekonnt verbindet, gerne an Leonard Cohen erinnert und Bob Dylen zitiert, aber größtenteils ihr eigenes großartig klingendes Universum ist.

SmagPåDigSelv – Dunkelkraft

Hier noch eine Bonus EP. Die Jungs waren vor ein paar Stunden mit ihrer Platte beim Plattenladen reingekommen und sagten, Bock auf etwas Akustik-Techno? Plattenhändler etwas skeptisch, doch war dann immer noch recht begeistert, als ich zur Tür reinkam. Ein brodelnder Eintopf aus Swing, Punk, Balkan, Drum’n’Bass, wird zu, ja, akustischem Techno. Klingt abgefahren, ist auch so, ist ordentlich Druck drin. Ihr habt nicht gewusst, dass ihr das braucht, aber die beiden Saxofonisten und ein Schlagzeuger lassen euch erst erstaunt auflachen und dann tanzen. Vom Artwork bis zu den Titelnamen verrückt genial.

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