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Feuilleton Musik 5. Juli 2021

Plattenteller des Monats #Juli 2021

„Hej, Willkomen – schön euch zu sehen. Erst Coronapass bitte, und das Ticket. Danke und viel Spaß!“ Könnte ein ganz normaler Tag Ende Juni in Roskilde sein, so wie es ihn seit 1971 an genau diesem Ort gegeben hat, und wie wir ihn die letzten Jahre erlebt und beschrieben haben. Die Unterschiede zu diesen letzten Jahren, wird jeder erahnen. Die Frage ist, ob der Coronapass einmalig bleibt. Ebenso wird sich zeigen, ob Festivals so werden wie sie „früher“ waren.

Wie werden wir reagieren, wenn wir mit zehntausendes Menschen zusammen stehen, tanzen, singen, wenn wir Freunde und Fremde umarmen, wenn Joints von Mund zu Mund zu gehen. Was wird in den Hinterköpfen, was in der Realität hängenbleiben? Wenn man sich die Bilder von der Europameisterschaft ansieht, vor allem jene von den Straßenfesten danach, nicht viel. Und hätte ich zum Beispiel ein Kino, würde mein Blick wohl ähnlich müde und aufgebend sein, wie der von Jogi Löw vergangene Woche.

Dass das erleben von Kultur und das Ausgehen sich schnell wieder gewohnt anfühlt, hatte ich schon beschrieben, und trotzdem, ein Konzert mit stehendem Publikum war ein – quasi – neues, spannendes und vermisstes Ereignis. Wie so oft, war das Roskilde Festival Lieferant für dieses Neue, Spannende und Vermisste. Statt sieben Tage Festival gab es acht Summer Days. Neue dänische Bands, 1000 stehende Gäste in zwei Zonen. Experiment und Konzert zugleich. So könnten Konzerte in der Pandemie aussehen, las man oft in Überschriften, und so können sie wohl aussehen, doch wir nähern uns dem Ende, und die Übergangsphase wird kürzer als gedacht. Die Chance der Kulturszene schon früher zu helfen und deren innovative Kraft zu nutzen, könnte man verpasst haben. Vielleicht wird dann beim Zusammenkehren der Scherben geholfen.

Ich denke da an diese japanische Technik „Kintsugi“, wo man Zerbrochenes zusammenklebt und die Bruchstellen mit Gold verziert. Ich wünsche mir, dass wir, also Staat, Gesellschaft, Kultur und Gastronomie, dieses „Kintsugi“ auf all das anwenden, was in den letzten Monaten zerbrochen ist, denn es kommt da kein Pop-up Fenster und fragt, ob man da fortsetzen möchte, wo man aufgehört hat. Nein, es wird neu angefangen und es wird aufgebaut – werden müssen – und es wird weitergemacht. Narben werden bleiben, lassen wir sie sichtbar, aber hübsch. „Kinstugi“ beutetet übrigens Reparieren mit Gold und das kann man dann ja interpretieren wie man mag.

Ich hab mein Gold wieder in ein paar Platten investiert, unter anderem mit Hilfe einiger Plattenläden in Barcelona. Könnt ihr als Guideline nehmen, falls ihr auch etwas Kultur-Kintsugi betreiben wollt, einen Sommersoundtrack braucht oder ihr hört sie einfach, während ihr eure alten Tassen zusammenklebt.

Jaubi – Nafs at Peace (Astigmatic Records)

Manchmal ist es gut, sich selbst herausfordern, über den Tellerrand hinaus zu hören und sich daran zu erinnern, das Musik nicht nur im Westen gemacht wird. Jazzer sind gut dadrin, so auch Flötist/Saxophonist Tenderlonius (mal auschecken). Er hat sich mit der indischen Improband Jaubi zusammengetan, die die Grenzen von klassischer indischer Musik um alles mögliche erweitern, nicht zu letzt um westliche Instrumente, wie Gitarre, Schlagzeug, Synthies. Herausgekommen ist dieses interessant und abwechslungsreiche Album, das auf der der Lehre der Nafs passiert, verschiedene Stadien des Ichs, die sich in der Stimmung der Songs widerspiegeln, die teilweise in Lahore und teilweise in Olso aufgenommen wurden. Das unerwartete, das Auf und Bb, das Aufbauen bis zur Erlösung, lässt einen Zuhören, Entdecken und Eintauchen.

Athletic Progression – cloud high in dreams, but heavy in the air (Toughing Base)

Dieses junge Jazztrio aus Aarhus hatten wir schon mit ihrem Debüt dabei. Seitdem sind sie bestimmt nicht schlechter geworden, und haben jetzt auf cloud high… ihre On the Road gemachten Ideen gesammelt und eine coole Platte gemacht, die mehr in die Tiefe geht, als das Debüt, und eine stabile Entwicklung hören lässt. Selbstsicher fahren die Jungs ihren Stil mit Einflüssen aus HipHop und Funk, mit Inspiration wie Flying Lotus und Thundercat, und haben keine Angst vor Stilbrüchen oder kleinen Snippets zwischen den Songs. Suchst du Groove und Lässigkeit, legst du diese Platte auf, die dich entspannt durch den Abend bringt, aber keine Langeweile aufkommen lässt. Lounge-Jazz ist hier weit weg.

Erika de Casier – Sensational (4AD)

Ein Highlight der Summer Days war die dänisch/portugiesische Sängerin Erika de Casier. Sie gab dem hungerndem Publikum, was es wollte, jeder Tanzmove, jede Rapeinlage, jedes Drumroll (des Drummers von Athletic Progression) wurde gefeiert. Ihr smoother stark 90er/00er infizierter RnB lässt kein Zelt ausrasten, dafür ist er zu sehr feinste Seide und chill, aber die Hüften kreisten. Dafür steht man auf Konzerten. Sensational ist ihr zweites Album, und es erscheint auf 4AD, so Dänemark ist bestimmt nicht die Endstation, und Pitchfork sind auch schon große Fans. Ich bin kein großer RnB-Connaisseur, und vieles an dieses End-90er Sachen sind nicht meins. De Casier ist zwar genau das, klassisch, aber gleichzeitig gegenwärtig. Sie singt, sie rappt, sie flüstert, die moderne Produktion mit Anleihen aus Trance und Jungle, lässt es nie cheesy werden. Die Stimmung ist so Sommer in der Großstadt, man liegt auf dem Bett, das Fenster ist offen und ein leichter Wind weht sachte hinein und lässt den Vorhang flattern. Man denkt über Beziehungen nach, aktuelle und potentielle, übers Spaßhaben oder den Alltag, ist melancholisch und glücklich. Hat man Künstler*innen Craig David, Janet Jackson oder Destiny’s Child in seiner Playlist, sollte man Erika de Casier hinzufügen. Wenn nicht, reicht auch ihre Platte.

Jayda G – DJ-Kicks (!K7)

„Summertime is in the air“ heißt es gleich im ersten Track dieser Compilation. Und Sommerzeit ist es auch hier, und um diese gebührend zu feiern oder auszunutzen gibt es hoffentlich bald eine Gelegenheit für uns Jayda G auflegen zu sehen. Voller Energie spielt sie Sounds, die Spaß machen, die voller Soul, Funk und Groove sind – tschüß minimal und Spaßpolizei. So ist auch ihr Beitrag für die legendäre DJ-Kicks Serie, der sich vom frühen Erstmal-ein-Bier-Sonnenuntergang bis in die ravigen Hands in the air-Stunden spielt. Eine kontinuierliche Steigerung, wie ein perfektes DJ-Set am Strand oder Park (ihr erinnert euch?), zu dem du gerade angekommen bist, aber sofort spürst, dass du die nächsten Stunden nicht so viel denken musst, und dich dafür auf den Sonnenaufgang freuen kannst. Wollt ihr hören, wie es bald wieder ist, dann spielt Jayda G’s Empfehlungen ab.

Und damit entlasse ich euch in den Juli. Have fun!

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