Springe zum Inhalt →

Design Digitaler Nomade Lifestyle 9. August 2021

„Die Stadt der kurzen Wege ist die Zukunft“ – Architekt Christopher Weiß im Interview

Vor knapp zehn Jahren hat Christopher Weiß mit seiner Geschäftspartnerin Andrea van der Bel das Unternehmen Glockenweiß gegründet. Kennengelernt haben sie sich in einem Berliner Architekturbüro, für das sie gearbeitet haben. Seitdem ist einiges passiert: Zwei Projekte wurden erfolgreich abgeschlossen, sechs weitere sind in der Mache.

Zum Beispiel der Co-Working Place BEYDES im Postwerk Berlin in Berlin-Tegel, der am 13.08.2021 feierlich eröffnet wird. Wir haben uns mit Christopher getroffen und ihn unter anderem gefragt, was BEYDES anders macht, wie sich Arbeit im Allgemein in den nächsten Jahren verändern wird und was auf dem Immobilienmarkt alles falsch läuft.

1. In wenigen Tagen öffnet BEYDES im Postwerk Tegel. Was unterscheidet BEYDES von anderen Co-Working Places?

Der Geschäftsführer eines sehr großen CoWorking-Betreibers hat einmal zu mir vor Jahren gesagt, dass er lieber den fünften Space am Potsdamer Platz in Berlin-Mitte eröffnen würde, als dezentrale Spaces am Rand von Berlin oder sogar außerhalb in Brandenburg. Diese Aussage fand ich sehr bemerkenswert in ihrer Konsequenz. Gleichzeitig gibt es inzwischen sehr viele Spaces im dezentralen, ländlichen Raum, zum Beispiel das Coconat. Was aus unserer Sicht immer gefehlt hat, war ein Angebot dazwischen. Also nicht mehr im Zentrum und auch nicht im Ländlichen… in der Draußenstadt! Bei der Gründung von BEYDES haben wir daher auch die große Brille aufgesetzt und die Marke nicht nur aus Betreiber-Sicht, sondern auch durch die Brille der Projektentwicklung und der Stadtentwicklung betrachtet. Welche Chancen bestehen, wenn ich nicht nur einen Space anbiete, sondern weiterdenke?

Die Marke BEYDES ist vorrangig für Corporates gedacht, die über eine (Haupt-)Niederlassung im Zentrum einer Metropole verfügen, aber zunehmend Mitarbeiter haben, die – meist wegen der geringen Preise für Eigentum – am Stadtrand oder sogar gleich im Umfeld der Metropole wohnen. Dadurch enstehen oftmals weite Pendeldistanzen, teilweise von bis zu 60 Minuten täglich! Wie uns die Pandemie gezeigt hat, muss ich vielleicht gar nicht jeden Tag in die Hauptverwaltung ins Büro pendeln – manchmal reichen 1-2 Tage in der Woche aus. Was wir aber auch gelernt haben: Homeoffice ist auch nicht das Maß aller Dinge – zu oft wird man abgelenkt. Und da setzt BEYDES an: Wie ein Satellit gibt es für die Corporates kleinere (Zweig-)Niederlassungen um die Metropolen herum, die es den Mitarbeitern erlauben, in kurzer Entfernung – man spricht hier gerne von „Pantoffelentfernung“ mit 5-10 Minuten Distanz – zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen.

Man findet hier eine professionelle Infrastruktur und einen vollausgestatteten Arbeitsplatz. Kombiniert mit einer Community, die idealerweise auch Synergieeffekte erlaubt. Wir alle kennen die Gespräche beim Kaffee in der Teeküche oder in der Lounge. Was spricht dagegen, hier von benachbarten Corporates inspiriert zu werden? Und wenn man jetzt weiterdenkt, kann man auch den leider viel zu oft in der Vergangenheit entwickelten „Schlafstädten“ wieder zu mehr Leben verhelfen. Früher gab es am Marktplatz das Rathaus, die Bank, die Post, den Einkaufsladen, ein Restaurant und die Schule. Das alles gibt es meistens nicht mehr. Wenn ein BEYEDES-Hub dann auch weitergehende Dienstleistungen und sogar Gastronomie anbieten könnte – umso besser.

2. Wieso ausgerechnet Berlin-Tegel?  

Unseren ersten Space eröffnen wir im POSTWERK in Berlin-Tegel – weil uns das Gebäude selber gehört! Aber natürlich hatten wir beim damaligen Ankauf auch unsere Gründe. Aus unserer Sicht wird Berlin-Tegel immer noch sehr unterschätzt. Es ist perfekt angebunden mit U-Bahn und S-Bahn direkt vor der Tür, die Autobahn lärmschonend im Tunnel erlaubt es, schnell in die City-West aber auch nach Brandenburg Richtung Hamburg zu kommen. Und auf dem (ehemaligen) Flughafen Tegel in 10 Minuten Entfernung entsteht in den nächsten Jahren das innovativste neue Stadtquartier in Berlin. Nicht zuletzt der Erholungsfaktor ist in Tegel durch die vielfältige Seenlandschaft sehr hoch – theoretisch kann ich auf dem Wasserweg bis nach Mecklenburg-Vorpommern fahren… Der Standort weist also alle Faktoren auf, die einen BEYDES-Standort ausmachen.

3. New Work, Homeoffice und digitales Arbeiten ist spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie für viele Menschen Alltag geworden. Was denkst du persönlich, wie sich Arbeit in den kommenden zehn Jahren verändern wird? 

Nicht zuletzt die Diskussionen mit und über die Generation Z und Themen, wie das bedingungslose Grundeinkommen aber auch der starke Wunsch des „Raus aus der Stadt ins Grüne“ zeigen uns, was unser Kinder und die nächsten Generationen bewegt, was sie vom Arbeitsleben erwarten. Das klassische Rollenbild von Nine-to-Five-Jobs gibt es immer weniger. Gleichzeitig ist (und soll) immer alles und am besten sofort verfügbar sein. Was uns die Pandemie auch gezeigt hat: Es gibt immer noch einen wahnsinnigen Nachholbedarf in den Bereichen der Digitalisierung. Aus meiner Sicht werden die Bereiche des Arbeitens, des Wohnens, aber auch des Erholens immer weiter fließend sein. Der Drang nach Individualität wird größer werden – auch um sich abzugrenzen von der täglichen Informationsflut aus den diversen Medien.

Was sicherlich auch wichtiger wird: Nicht mehr unbedingt die extreme Spezialisierung jedes Einzelnen, sondern die Community, das Netzwerk, das Schwarmwissen. Das Miteinander wird – auch natürlich durch den Drang von vorrangig Familien, die Metropolen wieder zu verlassen – ähnlich der früheren Dorfstrukturen eine Renaissance erfahren. Nicht zuletzt glaube ich auch, dass der sprichwörtliche Blick über den Tellerrand von Vorteil sein wird. Sei es für den Aufbau eines Netzwerkes, von Synergieeffekten oder aber auch aus wirtschaftlichen Gründen. Wir selbst von Glockenweiß sind seit kurzem auch Unterstützer und Sponsor eines Internet Swing Radios und haben in einem Projekt ein Theater mitgegründet. All das ist auf jeden Fall immer wieder inspirierend – auch für unsere Projektentwicklungen!

© Michels Architekturbüro

4. Allgemein gesprochen: Deutschland – zumindest in den Ballungszentren – hat ein großes Problem mit bezahlbarem Wohnraum, aber auch bezahlbaren Gewerbemieten. Was muss politisch passieren, damit neuer, sozialverträglicher Wohnraum geschaffen wird und ebenso Gewerbemieten bezahlbar bleiben?

Ich halte nicht viel davon, über Verbote und Restriktionen einzugreifen. Aus meiner Sicht sollte eher das Instrument der Konzeptvergabe viel stärker in den Kommunen und Metropolen zum Tragen kommen. Das bedeutet vereinfacht, dass bei der Entwicklung (oder Vergabe) eines Grundstückes oder eines Quartieres für die Kommune nicht mehr vorrangig das Wirtschaftliche im Vordergrund steht – also platt gesagt, wer das meiste Geld zahlt, erhält den Zuschlag – sondern andere Faktoren eine Rolle spielen und die Vergabe an Projektentwickler bzw. Investoren zum Festpreis erfolgt. Dies bedeutet einerseits wirtschaftliche Sicherheit für einen Projektentwickler, andererseits entsteht natürlich der Mehrwert dadurch, dass allein das Konzept entscheidend ist. Und das kann dann zum Beispiel die Architektur, der Städtebau, aber auch der Anteil von bezahlbarem Wohn- oder Gewerberaum sein.

Und wir wissen doch, was bisher bei den sogenannten Höchstpreisverfahren passiert ist: Die Kommune verdient Geld, muss aber mit ansehen, dass der Entwickler dann bei der Architektur sparen musste und das Gebäude oder Quartier eben nicht mehr so aussieht, wie es sich alle Beteiligten vorgestellt hatten.

5. Als Immobilien-Projektentwickler, Investor und Architekt stehst du vor vielen Herausforderungen. Was ist dein persönlicher Ansatz, wie die Stadt von morgen aussehen könnte? 

Wir haben uns dazu bereits in 2016 Gedanken gemacht und mit Freunden, Geschäftspartnern und sonstigen Partnern aus Politik und Verwaltung einen Think Thank dazu gegründet: SYNCHRONICITY und uns dazu zwei Tage lang eingeschlossen, um über das Stadtquartier der Zukunft nachzudenken. Die Ergebnisse wurde in Echtzeit dokumentiert, anschließend gab es eine Zusammenfassung, und das ganze wurde symbolisch an die Politik als mögliche Handlungsanweisungen überreicht. Was uns vor fünf Jahren, lange Zeit vor den Enteignungsdebatten, schon beschäftigt hat: Wir benötigen eine neue Art von Kommunikations- und Kooperationskultur im Miteinander. Auch sind die Gesetzgebungen immer noch sehr starr – zukünftig wird es immer weniger eine „Entweder-Oder-Stadt“ geben, die Nutzungsarten sind fluide und müssen flexibel händelbar sein – idealerweise finde ich als Bewohner alles in fußläufiger Entfernung von max. 15 Minuten. Man spricht hier dann von der „Stadt der kurzen Wege“. Und zu guter letzt hat uns auch die Pandemie gezeigt, dass das Auto und der MIV nicht mehr das Maß aller Dinge sein müssen. Der Stadtplaner Jan Gehl hat bereits vor vielen Jahren das Konzept der „Walkable City“ entwickelt – eine Stadt wird also aus der Sicht von Fußgängern und nicht aus der Sicht eines Autofahrers entwickelt.

6. Gemeinsam mit deiner Geschäftspartnerin Andrea van der Bel führst du das Unternehmen Glockenweiß. An welchen Großprojekten arbeitet ihr neben BEYDES aktuell?

© BEYDES bei STRAND

Unsere derzeitigen Projekte sind sehr vielfältig und auch in ihren Größen sehr unterschiedlich. Was bei allen gleich ist: sie sind – bis auf unser POSTWERK in Tegel – alle in Brandenburg. In Nauen entwickeln wir ein neues Stadtquartier direkt am Bahnhof auf einer Fläche von rund 350.000 m². In Königs Wusterhausen haben wir vor 2 Jahren ein 20.000 m² großes Grundstück direkt an einem See erworben. Die Baurechtschaffung wird dieses Jahr abgeschlossen, wir werden dann dort rund 25 Ferienhäuser entwickeln. In Potsdam haben wir das älteste Restaurant der Stadt erworben, den KLOSTERKELLER. Dort werden hochwertige Eigentumswohnungen ab 2023 entstehen. In Potsdam haben wir auch unser derzeit größes Projekt: Die Entwicklung eines Quartieres für die Kultur- und Kreativwirtschaft mit rund 25.000 m². Was alle unsere derzeitigen Projekt auch vereint: man ist in rund 35 Minuten im Zentrum von Berlin – und sie eignen sich alle als BEYDES-Standort…

Ein Kommentar

  1. […] Stelle mit Architekten, Investor und Projektentwickler Christopher Weiß unter anderem über die Zukunft der Stadt ausgetauscht. Dieses Mal geht es jedoch um Christophers Wahlheimat Potsdam, von der er seit unserem […]

Kommentare sind geschlossen, aber Trackbacks und Pingbacks sind möglich.