Springe zum Inhalt →

Feuilleton Musik 14. August 2021

Plattenteller des Monats #August 2021

Traut euch. Geht raus. Erlebt Sachen. Keine neuen, unbekannten oder unangenehmen, sondern die gleichen Sachen die ihr „früher“ und davor auch unternommen habt. Kunst und Kultur warten auf euch, Mitmenschen warten auf euch. Pandemie sind nicht nur Viren, die wir bekämpfen müssen, Pandemie ist auch in den Köpfen. Einige von diesen Köpfen müssen wir auch bekämpfen. Gemeinsam wird die Überwindung gelingen. Denn manch einer muss sich vielleicht erst überwinden wieder auf ein Konzert zu gehen auf dem man stehend einer Band zuhört, Schulter an Schulter mit anderen Fremden und hoffentlich geimpften und gesunden Menschen.

Und? Kommt dir dieser Satz und Gedanke merkwürdig vor? Wahrscheinlich nicht. Das meine ich mit Pandemie in den Köpfen: Hat sich ein Großteil der Menschen je vor einem Konzert überlegt, ob die Nebenperson geimpft sein könnte? Oder hat dieser Großteil versucht alles nur noch mit dem Ellenbogen zu berühren und große Bogen um Menschen geschlagen. Das in Schlangen vor schönen Erlebnissen jetzt weniger gedrängelt wird, ist vielleicht noch bewahrungswürdig. Doch alles andere, das Abstands-Soziale vergeht hoffentlich bald.

Also: Erlebt Sachen, Kunst und Kultur brauchen euch und ihr braucht sie. Erlebt Sachen in dem für euch passenden Umfang und Abstand, aber tut es. Bleibt wachsam und gesund. Ich möchte wieder neben Menschen stehen, Fremden die Hand geben, Freunde umarmen, Gesichter vollständig sehen und mit Freunden und Fassbier in der Hand tanzen. High würden wir von magischen Momenten sprechen und in die Instastory schreiben „Party like it´s 2019!“

Apropos high. Ich war ein paar Tage in Amsterdam, nicht wie geplant auf einem Festival, sondern nur so. Auch dort hat man sich arrangiert. Man ist draußen, man ist in Bars und isst in Restaurants, man geht um 24 Uhr nach Hause. Musik wurde also nur in Plattenläden gehört und anschließend nach Dänemark importiert. Meine Empfehlungen für den Spätsommer findet ihr hier:

St. Vincent – Daddy’s Home

Wenn ich sowas wie einen Musikerinnen Chrush wählen müsste, wäre es Annie Clark aka St.Vincent. Ich glaube niemand anderes ist so cool und wild wie sie. Und auch wenige sind so wandelbar, kreativ und neuerfindend wie St.Vincent und dabei aber immer sich selbst und stabil fetzig. Und ihr Spiel auf den selbst designten Gitarren ist noch gar nicht erwähnt. Auf Daddy’s Home hat sie sich wieder einen neuen Identität gegeben, weg vom Latexanzug der letzten genialen Platte, hin zur 70er Ästhetik mit offenherzigen Kleidern und blonder Perücke und dem entsprechenden Sound: Piano-Funk, Rock, und Countryeinflüsse, eben wie Daddys Plattensammlung – nur in geil. Es sprudelt und zischt, haut um und ist groovy. Das es inhaltlich dann noch um ihren wirklichen Vater geht, der wegen eines Millionen-Dollar-Aktien-Schwindels 10 Jahre im Gefängnis saß, legt dem ganzen noch die Kirsche in den Old Fashioned. Aus dem riesigen und tollen Plattenladen Concerto, der hiervon sogar eine eigene limitierte Vinyl-Ausgabe hat.

VA – Welcome to Paradise: Italian Dream House 1989-93 Vol 2

Im Laden Rush Hour der sich auf Second Hand und neue elektronische Musik und etwas HipHop spezialisiert hat, stand diese Compilation im Regal und forderte einen nach 30 Sekunden Hörens zum mitnehmen auf. Aber auch dazu den nächsten Pool aufzusuchen, sich einen Drink zu gönnen und die Sonnenbrille auf die Nase rutschen zu lassen – Dance Baby. Und ab und zu ein Gelato. Der holländische DJ Young Marco hat die Creme des Italo House aus ein paar goldenen Jahren zusammengetragen und daran ist alles richtig. Die Euphorie findet man in jeder Rille, es ist dekadent und es macht Spaß – Dance Baby, aber diesmal wirklich.

Alfa Mist – Bring Backs (Anti-)

Noch eine Platte aus einem Amsterdamer Grachtenviertel. Natürlich darf auch etwas Jazz nicht fehlen. Doch der Zugang zu Jazz kommt bei Alfa Mist, dem Produzenten, Pianisten und MC aus London eher vom HipHop. Und so ist Bring Backs auf jeden Fall auch Jazz für Fans von älterem HipHop und Beatsachen. Locker an der Hand geführt nimmt er einen mit in sein musikalisches Universum, ohne das die Songs an Tiefe verlieren. BadBadNotGood lassen grüßen, und die funkinspirierten Parts lassen einen auch leicht den Körper bewegen, für Dynamik sorgen dann die Bläser und Gitarrensoli. Alles dabei, alles lässig. Ein weiteres Hoch auf die Londoner Jazzszene.

Rhode & Brown – Everything In Motion (Permanent Vacation)

Zwar nicht in Amsterdam gefunden, aber geschenkt bekommen (was selten ist). Permanent Vacation enttäuscht selten, so auch hier nicht. Die beiden Münchner Friedrich und Stephan sind zusammen Rhode & Brown, und teilen eine Leidenschaft für House und Disco. Gut für uns, denn ihr Debütalbum ist ein funky glitzernde Angelegenheit, die du perfekt auflegen kannst, wenn du mit Italo House durch bist oder auch zwischendrin. Modern und traditionsbewusst zugleich, sind hier ein paar entspanntere Tracks drauf, aber ebenso einige schöne Bretter. Hier und da schöne Vocals und ein paar Breaks. Ich bin einfach großer Fan von einer Portion Disco und House sollte eher warm als kalt sein. Mehr muss da nicht gesagt werden, holen und den Sommer verlängern.

Kommentare sind geschlossen.