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Feuilleton Musik 4. August 2020

Plattenteller des Monats #August 2020

Es ist tatsächlich August geworden, und hatten wir vor ein paar Monaten noch Angst, nie wieder aus unserem Zuhause, Viertel, Stadt, Land rauszukommen, wagten sich einige Menschen jetzt doch in den Urlaub. Auch ich durchquerte Deutschland von Nord nach Süd, und musste dabei nicht ein einziges Mal über die Deutsche Bahn schimpfen. Über das Wetter übrigens auch nicht. „Germany, what’s not to like“.

Eine Zugfahrt hat den unschlagbaren Vorteil, dass man immer mehr und mehr Gepäck ohne Aufschlag mitnehmen kann, was gut ist, wenn man in mehreren Städten an großartigen Plattenläden vorbei kommt.

Anyway: Ihr könnt euch vorstellen, wie man aussieht mit Koffer, Rucksack sowie Jutebeutel mit wachsender Plattenanzahl? Doch das war es wert und deswegen gibt es hier die perfekte Auswahl für laue Sommerabende, an denen ihr eure Freunde eingeladen habt, die eine ebenso eloquente wie eklektische Musikauswahl schätzen:

Kaleidoscope – New Spirits Known And Unknown (Soul Jazz Records)

Eine schicke limitierte Ausgabe (gibt auch andere) mit ganzen drei Platten und einer Bonus 7“, die Innersleeves bedruckt mit Artikeln und Interviews. Auf den Platten enthalten, die hottesten KünstlerInnen der UK Jazzscene der letzten Jahre, in diese Reihe schon des öfteren beschrieben. Das Label, ein legendäres, im Back-Katalog alles was der Jazzfan kennt und kennen sollte, von traditionell bis modern. Wie so viele Jazzplatten leider nie ganz billig. Dafür topshelf, mit hip-hoppigen, jazz-jazzigeren und souligen Tracks. Man könnte auch sagen #mitalles. Die eine Jazzscheibe, wenn du mit dem Shit anfangen möchtest und findest, dass du ein einspruchsvoller Hörer bist, der tiefer eintauchen möchte oder einfach so gut drauf ist.

Kamaal Williams – DJ-Kicks (!K7)

Die DJ-Kicks Reihe vom deutschen Label für elektronisches !K7 steht seit jeher für hochwertige Compilations, selektiert von führenden ProduzentIinnen, DJs und MusikerIinnen, von denen die meisten immer noch eine schöne Aktualität haben und andere legendär wurden (siehe Kruder & Dorfmeister). Apropos MusikerInnen, die sind tatsächlich in der Reihe nicht wirklich oft vertreten. Zur Musik: Der Multiinstrumentalist aus London, Kamaal Williams, hat hier eigene exklusive Tracks aus dem Gebiet Jazz-Electronica und britischen Underground Dance versammelt. Ein cooler Querschnitt für die Kopfnickenden und Tanzenden unter euch. Die Vinyl-Ausgabe besitzt 12 Tracks, die CD/Digital-Ausgabe 29, aber einer der Benefits des Anthropozäns, man kann beides haben.

Move D / Benjamin Brunn – Let’s Call It a Day (Smallville)

Das beste was dem Plattenkäufer in Hamburg passieren konnte, das der Shop des Labels Smallville in die alten Schlachthöfe und Zardoz Records in die Marktstraße zogen. Jetzt liegen sie dort zusammen mit der Hanseplatte in schöner Dreifaltigkeit und Katzensprungdistanz. Und Groove Records ist auch nicht weit weg. Dort bei Smallville hörte man eines Tages die spontanen Ambient-Techno-Aufnahmen der beiden Elektroniker Move D und Brunn von 2006, die beiden sagten sie hätten noch mehr davon, und nun kamen sie dieses Jahr zum ersten Mal auf Vinyl und gehen weg wie Handsprit. Desinfiziert quasi das Gehirn von lästigen Störgeräuschen, wenn man eigentlich gerne Sommer-Sonntags in Ruhe und bei offenen Fenstern auf dem Sofa liegen möchte – vielleicht etwas Kräuter rauchen (es könnte helfen), und bringt einen entspannten Mood in die vier Wände und Hirnrinde. Alles slow und blasenwerfend, doch nicht ohne den housigen Faden zu verlieren.

Lianne La Havas – Lianne La Havas

Jetzt haben wir auch mal einen Crowdpleaser im Gepäck. Nicht im negativen Sinne, aber La Havas’ drittes Album ist so geschmackvoll, vollmundig und laidback, dass sie auch ein Mainstreampublikum nicht verschreckt. Beispiel: Die Situation, wenn man Daheim ist und Musik finden muss, die Mutti auch hören „kann“, aber Cigarettes After Sex nach zwei Nummern nervt und Leonard Cohen etwas düster ist, und die neue Norah Jones ok ist, aber…? Dann kann man jetzt dieses Platte wählen. Soulige Stimme mit perfektem heiseren Unterton, der den Kitsch vertreibt und einer Gitarre zwischen Jazz, Folk und Slowfunk. Eine Singer/Songwriterin der besonderen Art, die sich sogar der Hürde Radiohead Cover stellt und sie meistert – da könnte Mutti dann schon kurz zusammenzucken… legt sich aber wieder. Aber lassen wir die mal im Dorf, denn auf der hippen Dinner-Party muss diese Platte auch aufgelegt werden, denn sie hat Edge, London-Vibe und mit seinen Trennungsschmerz-Lyrics, eigentlich keine Intention einfach nur zu pleasen.

Liss – Third (Escho)

Ist die Dinner-Party vorbei oder wurde wegen akutem Sommer in den Park, Pool oder was man so vor der Türe hat, verlegt, ist Liss aus Dänemark immer der Catch of the Day. Die raffinierte und sexy Popmusik mit den passenden Dosen Funk und R’n’B hatte die Jungs schon fast ganz nach oben gebracht, als sie bei XL Recording unter Vertrag genommen wurden. Doch, wie neulich verrieten, merkten sie plötzlich Druck, zogen rechtzeitig die Bremse, machten Auszeit. Hat nicht geschadet, ihre dritte EP macht da weiter, wo die Stopptaste gedrückt wurde. Fünf groovende mid-tempo Songs, die ihre Attitüde nicht vor sich hertragen, sondern standesgemäß in Oversize Klamotten und Anglerhut auffällig-unauffällig kaschieren. Wir können jetzt schon sagen, dass fünf Songs natürlich nicht reichen, also einfach die beiden ersten EPs First und Second mitnehmen, wenn man eh schon dabei ist.

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