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Feuilleton Literatur 8. Juni 2020

Literarisches Sixpack mit Christian Seiler

Wo lässt es sich am interessantesten essen? Und wo wird auf der Welt möglicherweise am besten gekocht? Spitzengastronomie, Marktstand oder Feuerstelle? Wer die Welt bereist, hat gleichzeitig das Glück, die Welt zu schmecken und wie eine Speisekarte zu lesen. Journalist, Autor sowie Kolumnist Christian Seiler kann das besonders gut. Also darüber schreiben. Aber auch essen.

Das Beste, es gibt von Seiler ein fast 1kg schweres Buch mit dem Titel „Alles Gute – Die Welt als Speisekarte“, welches im Echtzeit Verlag erschienen ist und wunderschön von Markus Roost und Roland Hausheer illustriert wurde. Uns hat Christian Seiler seine sechs Lieblingsbücher verraten.

1. Jeffrey Steingarten: Der Mann, der alles isst.

Wie gut kann man über Essen schreiben? Je besser, desto verrückter man den Tiefen und Untiefen des Geschmacks nachspürt, je aberwitziger man nach Nuancen sucht und zum Beispiel solange Choucroute isst, bis man selbst ein einigermaßen vernünftiges Sauerkraut herstellen kann. Für diese Kunst ist Jeffrey Steingarten, der Foodkritiker der amerikanischen Vogue, der Medizinmann an und für sich. Schreiben kann er auch. Und lustig ist er. Lese ich immer wieder, wie alte Asterix-Hefte.

2. Fergus Henderson: Nose to tail

Schon klar, das ist ein Kochbuch. Aber wissen Sie was? Auch bei einem Kochbuch kommt es nicht nur auf die Qualität der Rezepte an, sondern auf die Haltung des Autors oder der Autorin – und auf ihre literarischen Fähigkeiten. Fergus Hendersons Rezepte sind Kurzgeschichten mit kulinarischen Pointen. Manchmal gehe ich mit diesem Buch ins Bett, weil es mich über die Sorgen des Alltags tröstet.

3. Rex Stout: Der Rote Stier

Erstens erfährt man aus guten Krimis oft mehr über die Welt als aus langatmigen Sachbüchern, zweitens ist Nero Wolfe, der phäakische Held dieser Reihe, ein so großartiger Antiheld-Held, dass ich ihm nur mit dem größten Vergnügen bei seinen launischen Vernehmungen folge und ihn zutiefst um die Fähigkeit beneide, Prioritäten zu setzen: das gute, nein, hervorragende Essen geht immer vor. Dann erst kommt der Fall. Dass Wolfe fett, klug und gebildet ist, geschenkt. Aber der Mann hat echt Ahnung von Prioritäten.

4. John Fante: Arturo Bandini

Niemand schreibt so gut wie John Fante. Seine Sätze haben ein höheres spezifisches Gewicht als die aller anderen Autoren. Er ist nicht besonders lustig, dafür haben sich seine Stimmungen so tief in mein Bewusstsein eingegraben, dass ich sie nie mehr vergesse. Drei Geschichten eines italienischen Einwandererkinds, das Schriftsteller werden will und von der Schwerkraft der Welt daran gehindert wird. Unmöglich, das Buch nicht immer wieder tief betroffen weglegen zu müssen – und sofort wieder von Neuem zu beginnen.

5. Gay Talese: Frank Sinatra ist erkältet

Das sind Geschichten aus einer Zeit, als die Zeitungen ihre Reporter noch dafür bezahlten, Literatur zu produzieren. Talese ist derjenige von ihnen, der den haltbarsten Stil verkörpert (Tom Wolfe klingt heute schon ziemlich antiquiert, oder nicht?). Gays Geschichte darüber, wie man Spaghetti isst, ob mit oder ohne Löffel, beschreibt alles, was Distinktion meint, auf wenigen Seiten.

6. Flann O’Brien: Durst

Ein Theaterstück für vier Personen, an dem ich auch schon mehrmals mitgewirkt habe. Ein Polizist kommt in die Kneipe, um die Einhaltung der Sperrstunde zu überwachen und wird von den dort beheimateten Säufern in Versuchung geführt. Spoiler: Am Schluss singen sie gemeinsam ein Lied. Nie wurde latenter Alkoholismus mit größerer Sehnsucht in Literatur verwandelt.

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