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Best Of Europa Schweiz Travel 11. November 2022

Die Schwelle zum Paradies: Unterwegs im Bergell und im Oberengadin

Wegen der Kunst sind wir nach Graubünden gereist. Gefunden haben wir doch weit mehr als das. Nämlich das Bergell, ein natürlicher Querschnitt durch die Südalpen, vom Hochgebirge bis in den subtropischen Süden. Ein längliches, dünn besiedeltes Tal in Graubünden zwischen gewaltigen Dreitausendern.

Bereits bei der Anreise aus Deutschland, egal wie, ob mit dem Flugzeug bis Zürich oder der Bahn, reist man idealerweise spätestens ab der Alpenstadt Chur mit der Bahn weiter. Belohnt wird man mit einer der schönsten Zugstrecken der Welt (ein Teil der Zugstrecke von Chur nach St. Moritz) ist Unesco-Welterbe. Man fährt durch mehrere Tunnels und über mehrere hohe und beeindruckende Brücken, hier und da schimmert in der Tiefe ein Bach, ganz oben schauen die Berge auf uns hinab, schneebedeckte Hänge blitzen kurz zwischen den Wolken auf und die Wälder leuchten Ende Oktober in intensiver Herbstfärbung.

Kein Künstler der Welt, würde es schaffen, das auf Leinwand zu bekommen, was während der Zugfahrt an den Panoramafenstern der Rhätischen Bahn vorbeizieht und schon vor der eigentlichen Ankunft des Reiseziels einen Geschmack darauf gibt, wie wunderschön das Bergell und das Engadin ist.

Weiter geht die Reise schließlich von St. Moritz mit dem Postbus durch das Oberengadin auf sechs klappmesserartigen Serpentinen des Malojapasses hinab in das schmale, bewaldete Tal des Bergell. Zwischen dem Malojapass und Chiavenna stürzt die Landschaft ab, von 1815 auf 333 Höhenmeter, vom grauen Hochgebirge zum Licht des Südens. Und ein rund 20 Kilometer langer Transit der Landschaften und Kulturen, wie man ihn in Europa nur selten findet. Hinzu kommt Europas größter Esskastanienwald, der sich an der Südseite des Bergell entlang zieht.

Soglio © Graubünden Ferien

Das Bergell 

Am Lauf des Flusses Maira, der der italienischen Grenze entgegen rauscht, reihen sich die mit Gneis gedeckten Steinhäuser von herrlich klingenden Orten wie Vicosoprano, Stampa, Bondo und Castasegna. Weiter oben, auf 1088 Metern, befindet sich eines der schönsten Dörfer der Schweiz mit dem Namen Soglio. Unter Einheimischen auch bekannt und übersetzt als „Schwelle zum Paradies“. Rilke wohnte hier einst im Palazzo Salis, einem der stattlichen Adelsquartiere, das auch heute noch mitunter eines der schönsten Häuser der gesamten Region ist.

Wohnen kann man aber auch im Bergell ganz ausgezeichnet in Stampa, dem Ort, wo sich das Bed & Breakfast Pontisella befindet. Nur wenige Schritte von der Bushaltestelle entfernt, gleich an der Hauptstraße, die durch das winzige Tal führt, ist das hohe, grau verputzte Patrizierhaus zu finden. Lediglich vier Gästezimmer beheimatet das Haus, man fühlt sich schnell fast wie Zuhause, die Atmosphäre ist privat, nur die Familie des Gastgebers Daniel Erne wohnt noch im Haus, von der man allerdings nur wenig mitbekommt, wenn man nicht aktiv den Kontakt sucht. Doch man sollte den Kontakt suchen, denn Daniel ist ein ausgezeichneter Gastgeber.

Besonders schön ist der heimelige Speiseraum, in dem immer ein bis zwei frisch gebackene Kuchen wie beispielsweise Kastanientorte und Tee sowie Kaffee warten. Und das liebevoll zubereitete Frühstück am Morgen: ofenfrisches, warmes Brot, Eierspeisen, frisch geschnittenes Obst, Müsli, Käse und Wurst. Von allem nur das Beste. Dafür nicht übertrieben viel. Und im Erdgeschoss des Hauses findet sich besonders schönes Kunsthandwerk aus der Region, zudem gibt es immer wieder Lesungen im Pontisella sowie Musikabende und Kulturveranstaltungen.

Auf die Frage, was das Bergell so besonders macht, lässt mich Daniel, der ursprünglich aus Luzern kommt, wissen: „Gerade die unverbrauchte Schönheit des Tals, die andernorts oft als „Authentizität“ verkauft wird, ist bei uns ganz natürlich und fast schon im Überfluss. Und das, obwohl das mondäne und weltberühmte St. Moritz mit dem Postbus gerade mal eine halbe Stunde entfernt ist.“

Der Schweizer Künstler Alberto Giacometti 

Wirklich erstaunlich ist auch, dass der weltberühmte Schweizer Künstler Alberto Giacometti unweit vom Pontisella im Bergbauerndorf Borgonovo geboren wurde. Wo wir schließlich bei der Kunst wären: Auch wenn Alberto die meiste Zeit seines Lebens zwischen 1922 bis zu seinem Tod 1966 in Paris lebte, begann laut Bruna Ruinelli, die Leiterin der Ciäsa Granda, alles in Stampa. „Die Landschaft des Bergell hat ihn sein Leben lang beeinflusst. Vermutlich ist er aus diesem Grund auch jährlich aufs Neue wieder ins Bergell zurückgekehrt, um seine Familie zu besuchen und hier zu arbeiten.“  (…) „Auch wenn man die Werke Giacomettis in der ganzen Welt, beispielsweise in New York, Zürich oder Paris finden kann, nirgendwo anders wird man wohl so gut verstehen können, wie sehr Alberto Giacomettis Heimat ihn beeinflusste, so Bruna Ruinelli weiter.

Atelier Giovanni Giacometti © Graubünden Ferien

Das einzige große Werk von Alberto, das im Bergell zu sehen ist, ist die Plastik eines knieenden Mannes. Und zugleich das letzte Werk, das Alberto schuf, und  die auf seinem Grab stand, als er am 15. Januar 1966 auf dem Friedhof von Borgonovo begraben wurde. Außerdem ist das Atelier, in dem er im Bergell arbeitete, nach Terminvereinbarung öffentlich zugänglich. Die väterliche Werkstatt von Giovanni Giacometti in Stampa war Albertos Lieblingsort.

Castasegna © Graubünden Ferien

Wirklich speziell und einzigartig ist das Bergell: Mediterrane Üppigkeit trifft auf alpine Kargheit, Italienisch vermischt sich mit Graubündnerisch.

Sehnsuchtsort Sils-Maria 

Nur wenige Kilometer entfernt, den Malojapass wieder hoch, befindet sich das Schweizer Dorf Sils-Maria im Hochgebirge des Engadins auf 1.800 Meter gelegen. Seit Jahrzehnten rühmt sich der Ort mit seinen prominenten Gästen wie Friedrich Nietzsche und Thomas Mann. Während sich in St. Moritz, das nur 34 Kilometer von dem 750-Seelen-Dorf Sils Maria entfernt liegt, sich der internationale Jet-Set trifft, zieht es nach Sils seit Jahrzehnten die intellektuelle Bohème.

Nietzsche verbrachte zwischen 1881 und 1888 die Sommer in Sils und schrieb an seinen Hauptwerken, entwarf den Zarathustra und formulierte seinen berühmten Satz „Gott ist tot“. Jenes Nietzsche-Haus, in dem er seine sieben Sommer im Oberengadin verbrachte, ist seit einiger Zeit als Museum zugänglich.

Zahlreiche weitere Schriftsteller, Musiker und Denker folgten Nietzsche im 20. Jahrhundert: beispielsweise Marcel Proust, Hermann Hesse, Yehudi Menuhin, Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, Albert Einstein, Max Liebermann, Joseph Beuys, Theodor Adorno und sogar David Bowie.

Das Waldhaus 

Um sich für ein paar Tage in diese große intellektuelle Zeit zurückversetzt zu fühlen, bietet es sich an, wer es sich leisten kann, im Waldhaus, das majestätisch über Sils-Maria thront, einzubuchen. Vieles macht das Hotel auf so besondere Art einzigartig, weswegen wohl bereits seit Generationen die Gäste kommen. Und das, obwohl das Grandhotel nicht zwingend jenen Luxus verspricht, den man mittlerweile überall auf der Welt findet.

Seit über einhundert Jahren ist das Waldhaus im Besitz und unter der Leitung von Familie Dietrich. Das Hotel wurde 1908 eröffnet und wird mittlerweile in fünfter Generation geführt. Die Lage des Hotels ist eigentlich nicht zu fassen. In weltentrückter Lage thront das burgähnliche Anwesen auf seinem „Zauberberg“ zwischen Silvaplanersee und Fextal, darüber der mächtige Piz Corvatsch. Begrüßt wir man bei Ankunft immer noch persönlich von mindestens einem Familienmitglied, was erahnen lässt, worauf im Waldhaus wirklich wert gelegt. Doch natürlich kommt auch der angemessene Luxus im Waldhaus nicht zu kurz: sei es im Waldhaus Spa, bei ausgiebigen Frühstück im Waldhaus Speisesaal oder beim à la carte-Abendessen im Restaurant Gigers und in der Arvenstube. Zudem pflegt man im Waldhaus bis heute die Tradition der klassischen Halbpension, allabendlich wird ein Menü serviert.

In der umwerfend schönen Ankunftshalle, tiefe Samtsessel stehen in lockerer Anordnung vor den Fenstern mit Blick ins Grüne, spielt die Hauskapelle zum Teekonzert. Dazu gibt es englischen Teekuchen. Oder gleich ein Glas Wein, von dem rund 35.000 Flaschen im Keller lagern. Extrawünsche sind natürlich kein Problem.

© Waldhaus Sils

Wem das alles noch nicht genug ist, sei ein Abstecher nach St. Moritz empfohlen. Aber dieses Mal nur in homöopathischer Dosis. Beispielsweise in die Kunstgalerie Central oder in das Segantini Museum. Übrigens: Wer mit dem Auto anreist, kann eine Vignette für die Schweiz online kaufen.

Dieser Beitrag ist in Kooperation (unbezahlt) mit Graubünden Ferien entstanden. Der vorliegende Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wider.

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