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Best Of Feuilleton Musik 14. September 2021

Plattenteller des Monats #September 2021

Im Gesicht natürlich etwas Glitzer, die Klamotten entweder schwarz oder bunt. Es scheint, als hätte die Welt, oder präziser, die Subkultur, nicht vergessen, wie feiern, wie tanzen, wie glückselig sein bei Beats zwischen 120 und 160 Schlägen die Minute geht. Nicht verlernt, wie man sich fertig macht, sich so freut, dass man schon mit den Händen über den Köpfen auf ein von Bäumen und Industriehafen umgebenes Gelände läuft. Um dann Hals über Kopf in einen Rave, dessen Bässe man schon aus der Ferne hört und spürt, einzutauchen.

Das alles passierte, als wir Ende August beim kleinen Bruder des Distortion Festivals, dem Karussel waren. Ein Festival für House, Disco und Techno. Drei Tage lang, draußen und ein in zwei Bereiche coronakonform aufgeteiltes Gelände. Alles im zeitgemäßen Style eines DIY Open Air. In Kopenhagen würde man sagen: Nach Berliner Vorbild – mit buntem Licht in den Bäumen, Bühnen aus Holz und mit viel Kreativität und liebe gestalteter und gebastelter Deko. Aber auch eine zum Großteil ökologische Bar. Und wichtig: Ausreichend Bums in der Anlage und ein Line-Up mit Headlinern wie Peggy Gou, The Blessed Madonna und Job Jobs, aber auch Künstler wie Superpitcher.

Hat man das vermisst? Ja. Will man danach mehr? Ja. Glücklicherweise sieht es so aus, als gäbe es vielerorts bald mehr. In Kopenhagen ist dieses mehr in Form von offenen Clubs die neue alte Wirklichkeit. Doch ist die Welt überhaupt schon bereit oder braucht sie noch etwas Eingewöhnung? Bars und Restaurants sind voll, aber von verschiedenen Events hört man auch, dass sie wieder absagen müssen, weil sie keine Tickets verkaufen. Es scheint als würde der kulturinterne Öffnungsplan mit dem Motto „so schnell so viel wie möglich“ nicht für alle Beteiligten aufgehen. Denn es gilt vieles nachzuholen, nicht zuletzt Reisen und Familienfeiern. Dazu das Warten auf die aufgeschobenen großen internationalen Acts und Festivals.

Trotz allem ist geöffnet und offen erstmal gut. Und ich hab das Gefühl, dass alles andere sich einpendeln wird, Verluste sind wohl leider unvermeidlich. Während wir auf den Endspurt warten, der hoffentlich nicht von mehr Coronawellen unterbrochen wird, gibt es ein paar neue Platten, die gehört werden müssen:

School of Zuversicht – An allem ist zu zweifeln (Misitunes)

Apropos alles ist gut und vierte Coronawelle: An allem ist zu zweifeln wissen das Hamburger Kollektiv um DJ Patex und ein besserer Titel für die neue Platte nach zehn Jahren Pause hätte sich wohl nicht finden lassen. Hier wird Tanzmusik gemacht, von traurigen weißen Männern, die um ihr Schicksal wissen, und das ist auch das Kapital dieser Platte. Das Politische wird klug verpackt, hinter den housigen Beats einerseits, andererseits hinter irrwitzigen Lyrics, bei denen die Friends rund um die Hanseplatte-Golden-Pudel Meute kräftig reingerufen haben. Wäre die nicht ab und zu anwesend, man könnte auch meinen hier hat irgendein New Yorker oder Chicagoer seine eher funky Sachen abgelegt. Dazu sollte demnächst getanzt werden. Und das man sich nicht zu schade ist auch einen Neuzeitklassiker wie Video Games etwas nordische Leichtigkeit zu verpassen, ist nur ein weiterer Bonus.

DJ Seinfeld – Mirrors (Ninja Tune)

DJ Seinfeld ist zurück, und das zum ersten Mal auf Ninja Tune. Hätte da was schiefgehen können? Eigentlich nicht, und aus dieser – mit dem oben beschrieben Rave im Hinterkopf – Perspektive, ist es das auch definitv nicht. Aus dem Lockdown hat er bunte, sprudelnde und sogar schön groovende Tracks mitgebracht, Breaks sind natürlich noch genügend vorhanden, einfach abgespult wird nicht. Eine Art positive Melancholie verbindet die zehn Tracks. Könnte man schon Pop sagen? Egal es bounct, man kriegt Bock und freut sich, dass der Sommer gerade einen zähen Abschied feiert. Denn genau da ist der Lo-Fi House auf Mirrors richtig. Vocals kommen und gehen, gerne auch zerstückelt, Melodien flattern ins Hirn, bleiben hängen. Es ist einer dieser Alben wo man sich bei manchen Tracks fragt, ob das nicht riesige Housebanger waren, zu denen man irgendwann verstrahlt auf einer Tanzfläche dachte, das Leben wird nicht mehr besser…

Flamingo Pier – Flamingo Pier (Soundway Records LDT)

Klingt und hält alles was der Name verspricht. Man sollte vielleicht den inneren Snob zu Hause lassen. Hier ist Feel Good angesagt, und jeder Knopf den es dazu braucht, wird gedrückt. Wäre man gemein, könnte man an Sepia-Reklame Filme auf abgelegnen Inseln denken. Aber diese Band hat doch etwas mehr Tiefe und Jazz. Alles frisch eingespielt, hat dieses Trio aus Neuseeland einfach einen nicen Groove. Das Saxofon schmiegt sich da hinein wo es guttut und alles andere ist Augen zu und enjoy. Für jeden Sonnenstand gibt es hier das richtige Tempo. Für jeden öden Tag nach der Arbeit den richtigen Beat. Keiner der drei Flamingos will dir etwas böses, also genieß es einfach, und das bisschen Luftgitarre sei dir verziehen.

Banda Black Rio – Maria Fumaca (WEA discos ltda.)

Ok: Wir bleiben in der Sonne. Einfach weitermachen, nicht anhalten, nicht nachdenken, Schirmchen in den Drink. Und auf der Anlage Banda Black Rio aus Brasilien, die eine hoch ansteckende Mischung aus Funk, Samba, Jazz und Boogie spielen bzw. spielten. Ein offenbar legendäres, mir unbekanntes Album. Aufgenommen 1977, sprüht es vor Energie und Spielfreude, das schwarze Brasilien und dessen Musik wiedergebend. Die siebenköpfige Band haben mit ihrem Sound Generationen geprägt, und ist man etwas an Musikgeschichte interessiert, sollte man dieses Album nutzen und weiter hinein tauchen. Fun Fact: Der Rolling Stone Brazil führt es als eines der 100 besten brasilianischen Alben. Die ursprünglichen Mitglieder sind inzwischen tot oder alt, aber der Sohn des Gründers hat die Band wiederbelebt und vor ein paar Jahren „Super Nova Samba Funk“ rausgebracht, und drauf auf andere brasilianische Legenden wie Gilberto Gil, Caetano Veloso, Elza Soares und Seu Jorge versammelt. Sagen die einem nichts: Zurück auf Start bzw. Plattenladen und diggen.

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