Der Herbst ist da, der sich langsam um die sockenfreien Knöchel windet und die Hosenbeine hinaufkriecht. Bald haben wir endlich wieder einen Grund, um nicht jedem Sonnenstrahl hinterherzujagen und einen Sitz- bis Stehplatz in überfüllten Bars, Biergärten, Café und Restaurants, in denen man eigentlich Abstand halten soll, ergattern zu müssen. Und bald ist diese im Norden genetisch vererbbare, allgegenwärtige – und damit Grund für die Sonnenstrahljagd – Summertime Sadness vorbei.
Rechtzeitig in diesen Stimmungs- und Wetterumschwung fällt der verschobene Record Store Day. Die Gelegenheit im Jahr für Plattensammler (große), Plattenläden (kleine) und Labels (unabhängige), Geld aus- bzw. einzunehmen. So die ursprüngliche Idee. Ein Tag, der seit ein paar Jahren die Szene jedoch eher spaltet als vereint. Sind die erscheinenden Special-Releases doch zunehmend Neuauflagen von mehr oder weniger bekannten Klassikern in bunten Farben und zu „besonderen“ Preisen von „Majors“.
Diese blockieren dann pünktlich die Presswerke und lassen die Indies und kleinen Bands rotieren – so die Kritik (mehr dazu beim Musikexpress). Dieses Jahr wurde der Tag aus Gründen auf drei Tage aufgeteilt. Wir sind auch etwas uneins was das Ganze angeht, waren aber am Samstag unterwegs. Manche Läden machen zusätzlich Ausverkäufe, organisieren kleine Konzerte und irgendwie ist diese herumwühlende und klugscheißende Communtiy aus 90% Midlife-Männern auch etwas knuffig. Und anscheinend können ebenjene Liebhaber auch nie genug Reissues und Picture Discs von The Cure und David Bowie haben. Ansonsten, kommt hier das wirklich gute Zeug:
Zara McFarlane – Songs of an Unknown Tongue (Brownswood)
Wie momentan so oft, eine Künstlerin die erst durch den großen Enthusiasmus von Gilles Peterson auf unseren Radar gerückt ist, und wahrscheinlich überhaupt für ihren Durchbruch gesorgt hat. Wenn Peterson von etwas Fan ist, ist es schwer sich von dieser Euphorie nicht anstecken zu lassen. Gilt unbestritten auch für den Soul-Jazz von Zara McFarlane. Cooler britischer Jazz der durch traditionellen Soul und die jamaikanischen Wurzeln McFarlanes wohl temperiert, und natürlich von ihrer Stimme getragen wird. Man merkt die Londoner Szene und ihre Fellows wie Moses Boyd, Shabaka Hutchings und Co. Zum Beispiel die afro-karibischen Einflüsse, dieses Hybridverständnis und das Furchtlose, das man braucht, um aus den vielen Traditionen (um nicht zu sagen Regeln) etwas Neues zu schaffen. Hier ufert nichts aus, schlägt nichts um sich und niemand hat es eilig. Die musikalische Umarmung einer tollen Musikerin, die du brauchst wenn sich auch bei dir der erwähnte Herbst ankündigt.
Nubya Garcia – Source
Wir bleiben in der gleichen Rille. Auf Nubya Garcias Debütalbum haben wir richtiggehend gewartet. Veröffentlicht hat sie schon zwei EPs und ist dazu häufiger Gast bei oben erwähnten Fellows von Zara McFarlane und Kollektiven wie Ezra Colletive und Nerija, und natürlich verdankt sie auch Gilles Peterson einiges an Airplay. Letzten Winter waren wir bei ihrem starken Konzert in Berlin, und sie strahlt eine ruhige, aber enorme Kreativität aus, und eine Lust ihr Saxophon fließen zu lassen, auf eine undominante dominante Art, wenn ihr versteht? Und so ist das Album auch. Auch hier ist wieder etwas Hybrides vorhanden.
Verschiedene Genres wie Reggae, R’n‘B und Afro-Beat tauchen in den langen Stücken auf, bei denen man auf diese besondere Art merkt, was sie ausdrücken sollen. Etwas Gesang gibt es auch, und ansonsten eine fantastische Band, die unter Garcias Leitung keine losen Enden zurücklässt. Zur Besetzung gehört auch der Pianist Joe Armon-Jones, dessen Alben wir hier auch gleich mitempfehlen können, und so hat sich wieder ein Meisterwerk aus dieser – hier mittlerweile schon Stammgast – Szene Londons herausgeschält.
Tocotronic – Sag Alles Ab (Vertigo Berlin)
Lassen wir den Jazz mal Pause machen, und kommen stattdessen zu einem Klassiker, einem wahren All-Time Favourite, unsere liebsten vier musizierenden old white men von Tocotronic. Die haben eine Werkschau veröffentlicht, die ihre ganze 27-jährige Karriere abdeckt. Gibt es in verschiedenen Ausgaben, mit zwei und drei Platten, großem Booklet und ein paar Zeilen Bandgeschichte oder Anekdoten zu jedem Song. Gerade sind sie mit dem Ding auf Platz 2 der Charts gelandet. Ungewohnt zwischen all dem Rap und Schlager, aber auf ihre alten Tage schaffen sie es immer wieder – sind wohl die kaufstarken Midlife-Männer dran schuld. Zur Musik muss man nicht viel sagen, die chronologische Auswahl ist super. Ob man so eine Ausgabe dann haben muss, entscheidet allein das Fan- und Sammlerherz. Außer man besitzt noch keine Toco-Platte, dann ist es ein Muss. Let there be Rock!
Shinichi Atobe – Yes (DDS)
Einer der auch schon lange dabei ist, ist der japanische Producer Shinichi Atobe. Ein geheimnisvoller Typ ohne Internetpräsenz, und seine Alben schickt er anscheinend ohne große Vorankündigung per Post zum Label und die bringen das dann raus – so einfach so gut. Wir haben ihn vor ein paar Jahren entdeckt, als sein Album „Heat“ uns mit einem Auto auf dem Cover ins Auge sprang. Zu hören damals wie heute, wirklich hochwertig produzierte elektronische Musik. Klassischer House ist es wohl nicht, eher Minimal, Dub und Ambient mit viel Wärme, leichten Jazznoten und … also irgendwie trotzdem etwas housig. Aber man kann sich eh nirgends so verrennen wie bei den ganzen Techno-Genres.
Im Endeffekt auch nur bedingt interessant, so lange es fetzt. Wir wissen jedenfalls, dass Atobe immer das gesamte Werk im Blick hat, definitiv kein Poser ist, sondern zurückhaltend und gefühlvoll mit den Klaviemelodien, seinen Synthies und Bässen umgeht. Japanisch stillvoll könnte man sagen.
Whitney – Candid
Gefühlvoll mit Melodien umgehen, können auch die die beiden Jungs von Whitney. Zwei Alben lang haben sie schönste Country und Folks Songs geschrieben, jetzt haben sie ein Album mit 10 Songs herausgebracht. Die Vorlagen kommen aus allen Ecken, und Generationen. Von Kelela über David Byrne & Brian Eno zu John Denver. Wenn wir so drüber nachdenken, eigentlich die passendste Platte für den Herbstanfang. Die pure Gemütlichkeit strahlt einem aus den dem gedämpftem Folk-Rolk entgegen, wie man es kennt und schätzt. Weit entfernt vom komischen Countrycoverqutasch á la BossHoss, eignen sich Julien Ehrlich und Max Kakacek die Originale an, öffnen deren Fenster und lassen sie großzügig von der Sonne durchfluten. Erwarte jetzt nichts was dich aus dem Sessel haut, aber manchmal möchte man sich ja auch einfach so zurücklehnen und den Wohlfühlfaktor hochdrehen.
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