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Feuilleton Literatur 30. April 2019

Literarisches Sixpack mit Philipp Laage

Wer von euch gerne in deutschsprachigen Tageszeitungen als erstes den Reiseteil durchblättert, hat garantiert schon mal eine Reisereportage von Philipp Laage gelesen.

Auf seinen Reisen sucht er grandiose Natur, faszinierende Menschen, die Grenzen des eigenen Horizonts und gute Geschichten. Und „er liebt schneebedeckte Berge und skandinavische Süßigkeiten, ist aber davon überzeugt, dass sich das Glück verflüchtigt, wenn man es zu inszenieren versucht“, so Philipp.

Kürzlich ist sein erstes Buch mit dem Titel „Vom Glück zu Reisen“ im Reisedepeschen Verlag erschienen. Philipp erzählt davon, wie wir heute reisen und warum – klug, kritisch und voller Humor. Von seinen eigenen Reisen um die ganze Welt hat er unzählige Geschichten mitgebracht: er stürzt sich ins Nachtleben von Beirut, sucht in Malawi den perfekten Ort für die Liebe, verflucht in Südtirol das Smartphone und besteigt im Rebellengebiet des Ost-Kongo einen aktiven Vulkan – und versucht zu ergründen, was das ist, das viel beschworene Glück, unterwegs zu sein.

Uns hat er seine sechs Lieblingsbücher verraten. Zeit für eine neue Folge „Literarisches Sixpack“.

1.) Max Frisch: Homo faber

Was stellt man mit dem Leben an, wenn man verinnerlicht hat, dass es einmal vorbei sein wird? „Homo faber“ ist ein Meisterwerk der Literatur. In der Schule war der Roman Pflichtlektüre, Jahre später habe ich ihn erneut gelesen, mehrmals. Es war das erste Buch, bei dem mir während des Lesens die Tränen kamen (in dem Moment, als Walter Faber auf Kuba die Tränen kommen). Viele deutschsprachige Autoren malen seitenlang einen Raum mit Worten ab, in dem trostlosen Bemühen, am Ende irgendeine rätselhafte, tiefsinnige Andeutung nachklingen lassen. Max Frisch dagegen schreibt klar, wahr und schnörkellos. Ich bin großer Fan.

2.) Sibylle Berg: Der Tag, als meine Frau einen Mann fand

Niemand schreibt böser, lustiger, zynischer und ehrlicher über den Versuch von Frau und Mann, ein Leben beglückend gemeinsam zu verbringen oder jedenfalls einen Teil davon. In diesem Roman schickt Sibylle Berg ihre Protagonisten Cloe und Rasmus nach Ostafrika und, naja, lesen Sie selbst. Worum geht’s? Um die zentrale Frage: Liebe oder Leidenschaft? Wer dieses Buch liest, wird darauf zwar auch keine Antwort bekommen, das eigene Spannungsverhältnis aber auf tröstliche Weise in Worte gefasst finden. Alles tragisch, aber eben auch furchtbar komisch.

3.) Richard Ford: Der Sportreporter

Frank Bascombe heißt die Figur der epischen Romanreihe aus der Tastatur des amerikanischen Schriftstellers Richard Ford – ein Durchschnittsamerikaner, ein Sportreporter aus New Jersey, angenehmes Leben, aber dann gehen einige Dinge schief. Indem er von seinem Leben erzählt, stellt Bascombe „weiträumige Beobachtungen zum Menschendasein“ an, wie es in einer Buchbesprechung heißt. Beispiel: „Kein Zynismus ist so ausgeprägt wie eine lebenslange Eigenliebe und der Tunnelblick, bei dem du am Ende des Tunnels immer nur dich selber siehst.“ Oder: „Die Rettung des Augenblicks ist die wahre Kunst der Liebe.“

4.) Hannah Arendt: Wahrheit und Lüge in der Politik

Ursprünglich 1967 als Essay im „New Yorker“ veröffentlicht, ist diese Betrachtung des Politischen heute genau so aktuell wie damals. Hannah Arendt analysiert, wie Lügen in der Politik funktionieren und wie sie wirken. Der Befund ist erschreckend zeitlos: „Wo Tatsachen konsequent durch Lügen und Totalfiktionen ersetzt werden, stellt sich heraus, dass es einen Ersatz für die Wahrheit nicht gibt. Denn das Resultat ist keineswegs, dass die Lüge nun als wahr akzeptiert und die Wahrheit als Lüge diffamiert wird, sondern dass die menschliche Orientierung im Bereich des Wirklichen, der ohne die Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit nicht funktionieren kann, vernichtet wird.“. Dies ist exakt die Strategie, mit der Autokraten und Populisten gegenwärtig die liberale Demokratie unterminieren.

5.) Ulrich Beck: Risikogesellschaft

Wie relevant für die Gegenwart kann eine Gesellschaftsbetrachtung sein, die Mitte der Achtziger aufgestellt wurde? Ulrich Beck zeigt: in höchstem Maße. Man muss ein bisschen auf diesen Soziologie-Sound mit seinen Begrifflichkeiten stehen. Aber die Erkenntnisfülle dieses Werks ist beträchtlich, eine hellsichtige Analyse folgt auf die nächste. „Auf dem Weg in eine andere Moderne“ lautet der Untertitel, und tatsächlich hat der Autor damals schon auf fast schon prophetische Weise erfasst, was da noch alles auf uns zurollen sollte. Eine zentrale These ist, dass die Industriegesellschaft systematisch ihre eigenen Risiken erzeugt und diese nun zum ersten Mal für alle sichtbar werden. Klimawandel, you name it. „Mit dem Ausmaß der Gefahr wächst die Wahrscheinlichkeit ihrer Leugnung, Verharmlosung“, warnt uns Beck.

6.) David Van Reybrouck: Kongo. Eine Geschichte

Wer wissen will, wie fesselnd man über Geschichte schreiben kann, findet in diesem Buch eine neue Benchmark. Absolut beeindruckend. Van Reybrouck stützt seine Erzählung nicht bloß auf Literaturquellen, er bereist selbst viele Male den Kongo und interviewt Menschen, die 70, 80 oder gar 90 Jahre alt sind und die belgische Kolonialherrschaft noch selbst erlebt haben. Jedes Kapitel seiner Aufarbeitung der kongolesischen Geschichte – von Leopold II. über die Unabhängigkeit und „den Wahnsinn des Marschalls“ Mobutu bis zu den Schrecken der Kongokriege – liest sich wie die packende Reportage eines namhaften Magazins. Brillant.

Vom Glück zu Reisen / Reisedepeschen Verlag

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