Bei einem seltenen Besuch in David Hockneys Studio in den Hollywood Hills traf Journalist Nick Glass auf den gefeierten britischen Künstler. Ursprünglich im Englischen erschienen von Nick Glass, CNN Style und für den deutschsprachigen Raum exklusiv auf „Blog Bohème“.
Los Angeles
David Hockneys Heimstudio ist tief in den Hollywood Hills angesiedelt. Mit einer atemberaubenden Aussicht auf den Canyon fahren wir vom Sunset Boulevard vorbei an Art-Deco-Häusern aus den 1920er Jahren. Der „Englische Angelino“, wie er sich manchmal selbst nennt, lebt in einem Haus abseits der Hauptstraße – genau dort, wo der Hügel abflacht. Ein grünes, anonymes Gelände hinter hohen grauen Zäunen, ruhig und ohne Durchgangsverkehr. Die lediglich mit einer vierstelligen Zahl und Klingel ausgestattete Tür lässt nicht vermuten, dass hier seit 1979 einer der bekanntesten und beliebtesten Künstler der Welt zu Hause ist.
David Hockney mit 80 Jahren: Eine seltene Begegnung mit dem Künstler
Das Studio – ein langer, weißer, luftiger Raum mit einer Treppe, die zu einer Galerie hinaufführt – ist im Grunde genommen ein umgebauter Paddeltennisplatz. Beim Betreten sehen wir ein halbes Dutzend Werke in der Entstehung. Hockney bereitet sich auf eine Ausstellung in der New Yorker Pace Gallery im April vor. Bevor wir ihn sehen, hören wir ihn – seinen trockenen Raucherhusten, um genau zu sein. Mit 80 (-einhalb) Jahren sitzt Hockney in seinem bequemen Lieblingssessel und liest die Financial Times. Er schaut forschend durch eine eulenartige Brille auf, bevor er sich bemüht aufzustehen, um uns zu begrüßen. Er trägt eine blaugrün gestreifte Strickjacke (die ich aus aktuellen Fotos wiedererkenne) und eine Hose mit Farbspritzern. Seine einstmals leuchtend blond gefärbten Haare sind jetzt dünner und grau geworden. In einer Hand umklammert er eine Zigarettenschachtel. Ich denke, dass ich in den letzten 64 Jahren gar kein so schlechtes Leben hatte. Jeden Tag konnte ich etwas tun, was mir gefällt. Anlass für unseren Besuch ist die Retrospektive zum 80. Geburtstag von Hockney, die bereits weit über eine Million Besucher in die Londoner Tate Britain, das Pompidou Centre in Paris und das Metropolitan Museum of Art in New York gelockt hat. „Ich weiß, dass dies das letzte Mal ist, dass eine Retrospektive gemacht wird, während ich noch lebe“, sagt Hockney. Und das ist die Wahrheit.
Ich frage ihn, wie diese Retrospektive im Vergleich zu der von 1988 (etwa zur Zeit seines 50. Geburtstages) aussieht. „Nun,“ kommt die unverblümte Antwort, „es ist 30 Jahre später, 30 Jahre mehr Malerei. Ein großer Unterschied, 30 Jahre.“
Wir lachen beide und ich erröte ein wenig vor Verlegenheit. Es war wohl eine dumme Frage. Ich spüre jedoch auch Hockneys Anliegen, dass seine spätere Kunst die gleiche Aufmerksamkeit erhält wie seine Werke aus den 60er und 70er Jahren. „Ich denke, mit der Malerei kannst du Dinge erreichen, die in der Fotografie nicht möglich sind. Wie Edvard Munch schon sagte: „Die Fotografie kann nicht mit der Malerei mithalten, da sie sich nicht mit Himmel oder Hölle beschäftigen kann“.
Während des gesamten Interviews ist Hockney sein übliches gesprächiges, lustiges, konträres, plauderhaftes Selbst. Natürlich erwähnt er das Rauchen mehr als einmal: „Vor 65 Jahren. Ich fing an zu rauchen und sie hießen damals Sargnägel.“ Eine der ersten Personen, die Hockneys Kunst in den frühen 1960er Jahren erwerben konnte, war sein Freund und Kommilitone am Londoner Royal College of Art, der verstorbene R.B. Kitaj. Kitaj zahlte £5 für eine Zeichnung eines Skeletts. „Das war damals ziemlich viel Geld“, sagt Hockney und erinnert sich daran, wie froh er war, dass er danach Zigaretten in 20er-Packungen statt in 10er-Packungen kaufen konnte. Hockney behält einen Großteil seiner eigenen Werke und hat eine Stiftung gegründet, die sich um sie kümmert. Ich erwähne, wie sehr ich seine Zeichnungen von seiner Mutter bewundere, die 1999 im Alter von 99 Jahren starb (er malte sie praktisch jedes Mal, wenn er sie besuchte). Hockney deutet an, dass er die Zeichnungen womöglich eines Tages ausstellen werde.
Ein homosexueller Pionier
Hockney erinnert sich an den königlichen Fotografen Cecil Beaton, der eines seiner sexuell expliziteren Gemälde „Adhesiveness“ für weniger als 60 Dollar kaufte. „Ich erinnere mich, dass ich es zu ihm nach Hause gebracht habe“, sagt er. „Er hatte es 40 Jahre lang.“ Das Geld half, Hockneys ersten Besuch in New York im Jahr 1961 zu finanzieren. Man vergisst manchmal, dass Hockney als schwuler Mann in der Öffentlichkeit eine Art Pionier war – ein Künstler, der zu ehrlich ist, um seine Wünsche nicht zu malen. Frisch aus dem College, feierte er seine Sexualität durch seine Arbeit zu einer Zeit, als Homosexualität in England noch verboten war (sie wurde erst 1967 legalisiert). Diese frühen Bilder „sehen ziemlich gut aus und haben standgehalten“, sagt er. “Im Studio fühle ich mich wie 30”.
Es ist kaum denkbar, dass Hockney einmal nicht arbeitet. Seine Arbeitsethik ist zutiefst in ihm verwurzelt. Hockney malt gerne in Stille, „um zu schauen und erneut zu schauen“. Im Gegensatz zu Lucian Freud, für den Hockney insgesamt 120 Stunden lang Portrait saß, spricht er nicht viel mit seinen Porträtierten. Freud, sagt er, war „amüsant, klatschsüchtig und zickig gegenüber anderen Künstlern“. Jeden Tag malt Hockney sechs oder sieben Stunden lang. „Ich bin absolut glücklich damit“, sagt er. „Wenn ich im Studio bin, fühle ich mich wie 30. Ich meine, wenn du schon 80 Jahre alt bist, dann willst du dich doch wie 30 fühlen? Deshalb komme ich jeden Tag zur Arbeit ins Studio, weil ich mich dann wie 30 fühle.“ Unser Interview wird regelmäßig durch das Lachen des Rauchers unterbrochen, ein gutturales infektiöses Lachen. Aber er wirkt auch älter und zerbrechlicher, vielleicht ein stillschweigendes Bewusstsein der Sterblichkeit. Mehr denn je zögert er, sein Atelier zu verlassen – seine Zuflucht, seine Höhle.
A Bigger Book
Fast zum ersten Mal in seinem Leben beginnt Hockney auf sein gesamtes Werk zurückzublicken, um über seine aufregende künstlerische Reise zu reflektieren. Implizit ist in unserem Gespräch der Eindruck eines Künstlers, der über seinen Platz in der Kunstgeschichte nachdenkt. Und seine unbestreitbare Schlussfolgerung lautet: „Ja, ich habe ein paar denkwürdige Bilder gemalt. Das weiß ich jetzt.“ Ein entscheidender Moment in dieser Selbstreflexion war die Veröffentlichung von „A Bigger Book“, einem 77 Pfund schweren „Sumo“-Buch, das 2016 veröffentlicht wurde. Es ist, räumt er ein, seine Autobiografie. „Nun, mir wurde klar“, sagt Hockney und blättert durch die Seiten, „dass dies 100 Jahre währen würde. Die meisten Menschen werden meine Werke in diesem Buch sehen. Warum also nicht das Beste daraus machen?“
Sein eigenes Exemplar – das auf einem von Marc Newson entworfenen, maßgefertigten Ständer steht – befindet sich stets in Reichweite, nur wenige Meter von seinem Sessel entfernt. „Ich schaue es mir immer wieder an“, gibt er zu. „Ich denke, ich habe mein Leben die letzten 64 Jahre gut genutzt.“, sinniert er. „Jeden Tag habe ich getan, was ich tun wollte.“ „Das ist ein Privileg“, ergänze ich. „Ich weiß, dass ich privilegiert bin“, lautet seine Antwort. „Ich habe immer gewusst, dass ich privilegiert bin.“
Mehr als OK
„Das war doch OK, oder?“ fragt er am Ende des Interviews recht niedlich. „Ja“, rufe ich aus, „mehr als OK. Danke!“ Und es ist wahr. Hockney war gut in Form – lustig und charakteristisch offen, zwei der vielen Gründe, warum er seit so langem bewundert und geliebt wird. Auf den Fotos schienen sich die Jahre zu verlieren. Er funkelt und sieht kurzzeitig jungenhaft aus. Bevor wir uns auf den Weg zurück in die Hollywood Hills machen, signiert er mein Hockney-Buch für mich — „mit Liebe, David und einen Kuss“ – und verabschiedet uns mit einem sanften Händedruck.
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„David Hockney“ ist noch bis zum 25. Februar 2018 im Metropolitan Museum of Art in New York zu sehen. Nick Glass, CNN (ursprünglich im Englischen erschienen)
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