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Feuilleton Kunst Musik 31. März 2015

Zwischen Beuys, Ratinger Hof und Kunstakademie: „Electri_City“

Zwischen Kunstakademie, Joseph Beuys, Ratinger Hof und elektronischer Musik: Düsseldorf galt in den späten Sechzigern, Siebzigern und frühen Achtzigern als Mekka der elektronischen Musik.

Rüdiger Esch, selbst eine Weile Teil der Band Die Krupps hat in seinem Buch Electri_City mit Hilfe von unzähligen Interviews eben jene Geschichte niedergeschrieben, als Düsseldorf wahrscheinlich für ein paar Jahre die Kulturhauptstadt der alten Bundesrepublik war. Nicht Berlin, nicht Hamburg, nicht Köln und auch nicht München.

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass Kraftwerk und dessen Produzent Conny Plank, der von den ersten Kraftwerk-Alben Anfang der Siebziger bis zu den Meisterwerken von DAF bei fast allen wichtigen Aufnahmen hinter den Mischpultreglern saß, aus Düsseldorf kommen. Und natürlich: Kraftwerk ist wichtig. Sehr wichtig sogar. Kraftwerk tüftelte in seinem Kling Klang Studio in der Mintropstraße 16 an Klassikern wie „Autobahn“ und „Wir sind Robotor“. Vermutlich wäre die Entwicklung der elektronischen Musik ohne Ralf Hütter und Florian Schneider, die beiden Chefs der Band Kraftwerk ganz anders verlaufen. Ich bin mir fast sicher.

Doch es gab noch deutlich mehr innovative Musik in der Landeshauptstadt am Rhein. Zum Beispiel die Band Neu! mit Klaus Dinger, ganz am Anfang selbst einmal Kraftwerk-Trommler, dann die eine Hälfte von Neu! und Frontmann von La Düsseldorf. Neben Charterfolgen wie „Das Modell“ oder „Dr. Mabuse“ waren es Szenehits wie „Der Mussolini“ und „Wahre Arbeit – Wahrer Lohn“, die Düsseldorf schlagartig bekannt machten. Aber auch viele Engländer kommen zu Wort, zum Beispiel Andy McClusky, der Gründer von OMD, die Bands Ultravox, Heaven 17 oder Visage. Britischer Synthie-Pop der Achtziger: letztendlich stark beeinflusst von der elektronischen Musik aus Düsseldorf und ohne den damaligen Sound aus Düsseldorf undenkbar. Sie alle bezogen sich auf die Pioniere der elektrischen Stadt, bevor sie selbst Botschafter der neuen Musik wurden. Oder die Punks von DAF und die Avantgarde und Post-Industrial Band Die Krupps.

„Electri_City“ endet nach über 400 Seiten im Jahr 1986, mit dem internationalen Erfolg des Synthie-Pop-Acts Propaganda. Vermutlich wird sich jetzt der ein oder andere fragen, wieso über Die Toten Hosen nur in einem Nebensatz ein Wort verloren wird? Die Antwort ist ganz einfach: Avantgarde und Bohème hat eben mit Campino und den Toten Hosen nicht wirklich viel zu tun.

In Rüdiger Eschs „Oral History wird die Wirklichkeit des Mythos sichtbar und die Wirklichkeit hinter dem Mythos, die Weltmetropole des Modernismus genauso wie das Dorf in Düsseldorf.“ Ich wünschte, der damalige Ratinger Hof wäre nie abgerissen worden.


 Die gleichnamige CD ist bei Grönland Records erschienen.

Suhrkamp, Rüdiger Esch, Electri_City, Elektronische Musik aus Düsseldorf, 14,99 Euro

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