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Best Of Feuilleton Kunst Musik 7. August 2019

Roskilde Festival 2019: Bemerkenswerte Momente

Auch dieses Jahr haben wir das gemütliche Kopenhagener Stadtzentrum verlassen, um das Roskilde Festival zu besuchen. Die Fachpresse war sich größtenteils einig: Ein Programm aus Musik und Kunst, das in dieser Breite überragend und nahezu einmalig ist.

Das politische Motto: Solidarität, und der immer wiederkehrende Fokus auf Nachhaltigkeit. Strohhalme wurden verbannt, ebenso Einweg-Plastikbecher und noch mehr Campingbereiche mit Aufräummotto geschaffen. Die große Frage der Festivalsaison: kann man gleichzeitig auf Fridays for Future-Demos und an Festivals teilnehmen? 

Selbstverständlich sollte man sich am besten selbst überzeugen, wie das Roskilde ist. Um euch die Entscheidung zu erleichtern, nächstes Jahr zur 50. Jubiläumsausgabe zu gehen, haben wir hier ein paar bemerkenswerte Momente aufgelistet, die das Orange Feeling wiedergeben.

Beste konzertähnliche Performance

Die ersten Konzerte auf Festivals sind oft mit kleineren Bands besetzt, die für diejenigen spielen, die aus irgendwelchen Gründen nicht mehr an der Bierbong hängen oder im Stau stehen – nicht so auf dem Roskilde. Die Öffnung des Platzes beginnt damit, dass die Besucher um die Wette rennen, um als erster an der Bühnenkante der Orangestage anzuschlagen.

So schnell waren wir nicht, aber dafür an der Kante des hellblauen Catwalks in der Mitte der kleinen Bühne Gloria. Es roch dezent nach Stall und ein Synthie blubberte. Bedient von einer Musikerin mit mexikanischer Lucha Libre Maske. Zu diesen Tönen kamen der Rest des Kopenhagener Trios Baby in Vain auf die Bühne. Ebenfalls maskiert.

Die Drummerin (mit Kaninchenmaske) nahm am Schlagzeug Platz, das am Ende des Catwalks platziert worden war. Zu ihren ersten harten Schlägen füllte sich der Catwalk mit fünf TänzerInnen der Tanzkompagnie Corpus des Dänischen königlichen Ballet. Natürlich maskiert. Alle waren mit dem Motto „Can you dance to noise? Can you rock out to dance?“ angetreten, um das Verständnis eines gängigen Rockkonzerts gehörig zu provozieren. Mission accomplished.

Garage-Rock und Moderner Tanz waren selten so vereint und verzahnt wie hier, ein Chaos knietief im Camp. Jeder Schritt saß wo er sollte, bis alles aus war. Search and Destroy. Der Abbau des Schlagzeuges durch drei TänzernInnen leitete das Ende ein, während Drummerin Bene so lange weiterspielte, bis alle Schlagzeugteile am anderen Ende der Bühne lagen. Trotz der Tanz- und Showeinlagen trat die Musik nicht in den Hintergrund. Sondern war eher eine Konzert-Performance, die einem ins Gesicht sprang, und für einen Festivalstart sorgte, der aufzeigte, für was das Roskilde Festival steht: Höchstes künstlerisches Niveau mit Grenzen erweiternden „Konzerten“.

Baby in Vain x Corpus
© Lars Bliesener

Tag des Formationstanzes 

Der Mittwoch bot nicht nur gutes Wetter, sondern auch viele Künstlerinnen die in den letzten Monaten für Aufsehen gesorgt haben. Zuerst durch ihre Musik, und dann als Thema Frauen auf Festivals ganz allgemein. Neben den bereits erwähnten Baby in Vain, waren am ersten Tag noch Maggie Rogers, Rosalía, Cardi B. und Christine and the Queens zu Gast.

Wir wissen nicht ob Formationstanz irgendwann mal weg war, aber hier, an diesem Tag und in diesen Shows war er wieder voll da. Rosalía brachte mit ihre Fusion aus Flamenco und R’n’B nicht nur das Avalon Zelt zum Kochen und Überlaufen, sondern hatte trotz fantastischen Tänzern und tighter Choreo, noch genügend Charme, Zeit und Stimme mit dem Publikum zu feiern, und es seines Atems beraubt stehen zu lassen.

Über das Cardi B. Konzert gibt es musikalisch nicht viel zu berichten. Doch sie war präsent und zusammen mit einer fitten Truppe Tänzerinnen zeigte sie, dass nicht nur die andere Queen B. große Bühnen beherrschen kann. Und apropos Queen, später in der Nacht versetzte Christine & and the Queens mit ihrem französisch-englischem Popfunk, kompletter Band und strammen Tänzern im Gleichschritt, das 20.000 Leute fassende Arena Zelt in Ekstase. 

Ach ja, und Bob Dylan war auch noch da, allerdings ohne Tänzer – schade eigentlich. 

Engste Headliner/Publikum Beziehung

Einer der größten (alternativen) Popstars ist und bleibt Robyn. Weltweit beliebt, doch es wirkte, als würden die Menschen sie hier doch etwas mehr fühlen. Trotz der späten Showtime, warteten bestimmt 60.000 vor der Orange Stage. Sie sah gewohnt cool aus, wie nur schwedische Popmusiker es können.

Der Sound war etwas Dumpf (eine Ausnahme!), doch Sound sowie alles andere war den Leuten egal. Hier war man, weil man alle Lieder kannte, weil gehüpft, getanzt und gesungen werden sollte, aus vollem Herzen und aus voller Kehle. Selten war ein Publikum sich so einig. Ein kollektiver nächtlicher Rausch in Liebe zu einer Künstlerin die allen aus der Seele singt. Ob man dabei war oder nicht, schaut man sich das Live-Video zu Dancing On My Own an, gibt es Gänsehaut.

Größtes Erlebnis mit Schlagzeugern

Für manche ist Jazz eine Hürde. Freitagnacht zeigten Sons of Kemet, wie man mit dieser Hürde eine Bühne zerlegt. Unter der Leitung von Tenorsaxophonist Shabaka Hutchings, standen ein Mann an der Tuba und ganze vier Schlagzeuger auf der Bühne, die vom ersten bis zum letzten Ton ein Tempo vorlegten, dass gleichzeitig dermaßen wild und präzise war, dass man nicht wusste, was abgeht.

Richtig zu begreifen, was dort passierte war schwierig, außer das King Shabakas Saxophonriffs zusammen mit dem Druckvollen Bass der Tuba einen Schub entwickelten, den man selten so erlebt hat. Ist man der Meinung, Jazz wäre irgendwie angestaubt, sollte man sich diese Gruppe anhören. Ein bemerkenswertes Konzerterlebnis außer Kategorie. Kann da noch was rankommen?

Vielleicht das andere Projekt von Hutchings, The Comet is Coming. Ein Trio bestehend aus Tenorsaxophon, Synthesizer und Schlagzeug, spielte am Tag danach, ebenso wild und treibend, nur anders.

Bernsteinzimmer gefunden

Jedenfalls waren die Farbe und heilende Wirkung des Bernsteins, sowie griechische und syrische Tempel die Ausgangspunkte des Amberum. Entwickelt vom deutschen Künstler Viron Erol Vert. Von den Kuratoren des Festivals auf der Riga Biennale entdeckt und nach Roskilde gelockt, baute Viron Erol Vert einen sozialen Raum auf, um diesen mit Ambient aus Lettland, Syrien und Clubkultur aus Berlin zu füllen.

Ein Gelände in Mitten des Festivals, in dem jeder, so Viron, „seinen eigenen Raum finden und zu Selbstreflexion einladen soll“. Natürlich auch mit der sozialen Komponente aus Kunst und Musik als verbindender Kraft. In verschiedenen orangenen (bernsteinfarbenen) Tönen, gab es kleine Sitzgelegenheiten verteilt um einen zentralen Tempel.

Mit Spiegeln ausgekleidet diente dieser auch als DJ-Kanzel und überdachter Dancefloor. Der ehemalige Berghain-Türsteher hat mit seiner Oase „Amberum“ Festivalraum und Bühne neu gedacht,  und mit seinen Freunden aus Lettland, Syrien und Berlin einen spanenden Part zum Ganzen beigetragen.

Auf der anderen Seite bemerkenswert, dass ein großes Festival einem Künstler freien Raum für Gestaltung und Vision gibt.

Ambereum – Isabel Lewis
© Camilla Zuleger

Auch noch bemerkenswert

Wie immer steht man nach vielen Tagen voller Musik, Kunst und Bier am Ende dar und hat viel zu viele Eindrücke für einen Text. Aber hier noch ein paar Highlights im Schnelldurchgang : 

Wollte man die Ohren anderweitig belasten, gab es wieder interessante und gut besuchte Talks und Debatten über Feminismus, Klima und Gerüche. Diesmal im sogenannten „House of Chroma“, einem schön gestalteten (und trockenen) Dome in der Art Zone.

Autor/Dichter/Musiker Theis Ørntoft im House of Chroma © Camilla Zuleger

Weitere bewegende Konzerte:

Die Australierin Stella Donelly, die mit ihrer Band Vormittags vor erstaunlich großem Publikum spielte, sang live noch besser als auf ihren zwei starken Platten. Dazu funktionierten ihre cleveren bis tragisch-komischen Alltagsbeobachtungen (von sich selbst) in Kombination mit ihren ironischen Ansagen so gut, dass einem ganz warm ums Herz wurde und man am Ende doch tatsächlich ein paar Tränen in den Augen hatte.  

Eine weitere Entdeckung war Fatoumata Diawara. Quasi die St. Vincent aus Mali, mit mehr Blues statt Rock. Sie spielt moderne Rootsmusik, die trotz Sprachbarriere Emotionen vermittelt, die hängen bleiben.

Ein Festival-Abschlussset von DJ Koze ist eine so offensichtliche wie geniale Idee, die für einen überschäumenden Abschluss sorgte. So wie das Roskilde alle Musikrichtungen in seinem Line-up verbindet, so verband der Hamburger viele davon auf seine einmalige Weise in seinem Set, und entließ einen glückselig in den Festivalblues und die Erkältung der folgenden Woche.

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