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Feuilleton Literatur Musik 7. Januar 2016

Literarisches Sixpack mit Maximilian Hecker

Ich erinnere mich noch gut an meine erste Begegnung mit dem Musiker Maximilian Hecker. Noch zu Schulzeiten lieferte er damals mit einem seiner ersten Songs Infinite Love Songs meinen ganz persönlichen Soundtrack zur Lektüre deutscher Klassiker wie beispielsweise „Die Leiden des jungen Werthers“. Nur zu gut konnte ich mir mit diesen Klängen im Ohr vorstellen, wie sich Goethes tragischer Held in seinem romantischen Dilemma gefühlt haben muss. Romantik und Melancholie spielen bis heute eine zentrale Rolle im Werk des Berliner Singer Sonwriters, welcher in Asien zu den bekanntesten deutschen Musikern zählt und mittlerweile zahlreiche Alben veröffentlicht hat. Für April diesen Jahres hat er sein Best-of-Album „The Best of Maximilian Hecker“ angekündigt. Aber auch als Schriftsteller ist Maximilian aktiv. So brachte er bereits 2012 sein erstes Buch The Rise and Fall of Maximilian Hecker heraus, in dem er sich autobiografisch-empfindsam mit sich, seiner Musik und den Menschen beschäftigt:

»Bisher war mein Herz immer noch verschlossen gewesen. Bisher war Taipeh nur so etwas wie die Deluxe-Version meiner bisherigen Asienerfahrungen in Korea. Bisher hatte ich nicht verstanden; war im arroganten, machistischen Checker-Stadium, mein Herz voreingenommen und provinziell, verschlossen vor der Mystik Asiens, vor der Heiligkeit dieses Ortes, vor der Besonderheit dieser Menschen, verschlossen vor Laura. Es geht nicht mehr um Scoren, Checken und diesen ganzen Männerhorde-Scheiß; es geht nicht mehr um Größe und Selbstobjekte. Es geht um Demut. Und Liebe. Und ausgerechnet Laura, dieser fragile Drachen mit dem verschlossensten Herzen, das ich je erlebt habe, öffnet mir mein Herz. Öffnet mir endlich die Augen für die Welt, die Weite, das Fremde; etwas in mir, das ich bisher in dieser Weise nicht gekannt oder gespürt habe – mein inneres Taipeh; ein Ort ohne Gegensätze, ein Ort ohne Dämonen, ein Ort, an dem alles leichtfällt, ein Ort der Mitte, ein Ort, an dem meine ganzen Neurosen mit einem Schulterzucken aufgehoben scheinen.« (Maximilian Hecker, The Rise and Fall of Maximilian Hecker, Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2012)

Mit Blog Bohème teilte Maximilian Hecker nun sein Literarisches Sixpack.

The Rise and Fall of Maximilian Hecker (c) Sonja Gutschera & Leif Henrik Osthoff
Buchcover: The Rise and Fall of Maximilian Hecker (c) Sonja Gutschera & Leif Henrik Osthoff

Max Frisch, Homo Faber
 

Mein erster Kontakt zu Homo Faber war Volker Schlöndorffs gleichnamiger Film von 1991. Er lief an bloß einem Abend im einzigen Kino meiner Heimatstadt Bünde, das sonst bloß Bubblegum-Trash anbot. Der Film traf mich tief. Meine Verehrung Julie Delpys, die die Sabeth spielt, ging soweit, dass ich viele Jahre später einen gemeinsamen Auftritt mit ihr in Paris erwirken konnte: Ich war Sabeths Support-Act, wir saßen im Backstage des Nouveau Casino auf engstem Raum beisammen, sie rauchte, obwohl sie behauptete, Asthma zu haben, dann half sie mir noch beim Anlegen meiner Manschettenknöpfe, und ich durfte sie zum Abschied auf ihre Pfirsichhautwangen küssen. Der Film ist bewegend, das Buch aber unübertroffen. Frischs Versuch, seinem Protagonisten diesen sachlichen, fragmentarischen und, wenn man so will, ungelenken Schreibstil zu geben, scheitert sozusagen, da Max Frisch einfach nicht in der Lage ist, schlecht zu schreiben. Jeder seiner angeblich unbeholfenen Sätze klingt zauberhaft leicht; die Wiederholungen, plötzlichen Rückblenden, die verquaste Interpunktion mit den Doppelpunkten und Gedankenstrichen – all das befreit uns plötzlich von dem Zwang, beim Schreiben einer althergebrachten literarischen Norm folgen zu müssen. Alles ist erlaubt. Und dazu hat Frisch die schönste Geschichte erfunden, die man sich vorstellen kann, eine Steigerung ist aus meiner Sicht nicht möglich: Ein Liebesunfähiger ist das erste Mal in seinem Leben in der Lage, zu lieben, endlich, doch dann stellt sich heraus, dass es sich bei seiner Partnerin um seine Tochter handelt, um am Schluss sind alle tot. Geil. Und der Schlusssatz: »Sie kommen.« Unglaublich.

J. D. Salinger, The Catcher in the Rye

Man muss dieses Buch im Original lesen, übersetzt ins Deutsche, also ohne den Charme der amerikanischen Jugendsprache, erschließt es sich nicht. Ähnlich wie bei Homo Faber macht auch hier erst der (scheinbar) dahingeworfene Schreibstil den eigentlichen Zauber des Werkes aus. Ich las das Buch mit 16 auf Deutsch und konnte den Hype überhaupt nicht nachempfinden. Erst als ich fast zwanzig Jahre später das Original las, ging mir ein Licht auf. Die Art und Weise, wie Holden Caulfield sein ständiges Versagen kaschiert und umkodiert, wie selbstbewusst er sozusagen mit seinen Schwächen umgeht, ist faszinierend, und seine Unverblümtheit ist entwaffnend – rührend geradezu, mehr als einmal musste ich während der Lektüre weinen. Zudem passiert beinah gar nichts während der drei Tage (das hatte mich mit 16 noch gestört beziehungsweise gelangweilt), Caulfield schlittert bloß vom Regen in die Traufe, jedoch immer einen coolen Spruch auf den Lippen, doch die Handlungsarmut macht nicht nur nichts aus, sie ist gerade das Schöne, Beruhigende, Rebellische, wenn man so will, denn wie allermeistens bei Büchern (und Filmen), ist für mich nicht die Handlung, sondern die Stimmung und damit der nostalgische Bezug zur eigenen Vergangenheit der Grund für die echtempfundene Liebe zum Werk.

Robert Harris, The Ghost

Passend zum Thema: Auch hier ist mir die Stimmung (Meer! Einsamkeit! Gore-Tex-Jacken! Isolation!) noch ein wenig wichtiger als die Handlung beziehungsweise die Spannung beim Lesen des Buches – die aber unbedingt vorhanden ist, da Robert Harris es in genialer Manier versteht, seine schweren politischen Themen in fesselnder Unterhaltungsliteratur zu verpacken. Doch am Anfang stand ein Rückflug aus Peking nach Berlin, im Flugzeug sah ich Polanskis Verfilmung des Buches und war so angetan von der durch die Verwendung von CGI herrlich künstlich anmutenden Sylt-im-November-Stimmung des Filmes (er wurde unter anderem auf Sylt gedreht), dass ich ihn mir bald als DVD kaufte und nun ständig als Lebensuntermalung zuhause laufen ließ. Das Lesen des Buches war dann noch eine Verfeinerung des Wunsches, Ewan McGregor als Adam Langs Ghostwriter zu sein, und schließlich reiste ich sogar nach Sylt und zum Südwestkirchhof Stahnsdorf bei Berlin, an die Schauplätze des Drehs.

Albert Camus, Der Fremde

Das habe ich mit Albert Camus und John Lennon gemeinsam: Auch ich glaube an nichts mehr, außer gelegentlich an mich selbst, und im Gegensatz zu Lennon glaube ich auch nicht mehr an Yoko Ono, die Lennon in seinem Lied God ja noch mit reinquetscht. Jenseits der Verbitterung, gar nicht so übel, probierst du. Almut Klotz sang einst über diesen Zustand: »Ich bin so frei«. Die kleine Bettlektüre des Existentialisten, Der Fremde, besser lesbar als Sartres Das Sein und das Nichts, mit dem ich mich mal als Zivi im Krankenhaus-Nachtdienst rumplagte. Und schön mit Meer und Strand, die Stimmung also wieder ganz nach meiner Façon. Meursault, Holden Caulfield und Walter Faber haben in ihrer lakonischen Art bestimmt die Vorstellung des Coolseins im 20. Jahrhundert entscheidend mitgeprägt. Gegensätze sind immer ein tolles Stilmittel, und vielleicht ist die »zärtliche Gleichgültigkeit« die erste Wendung dieser Art, die ich – als Elftklässer im Französisch-Unterricht – bewusst und begeistert wahrnahm.

David Schumann, The Tokyo Diaries

Im Oktober 2009 wartete ich auf dem Flughafen Nyköping, Schweden einen ganzen Tag lang auf meinen Rückflug nach Berlin und las Schumanns Buch in einem Rutsch. Ich war erschüttert, so erschüttert, dass ich gar nicht anders konnte, als in den nächsten Jahren zu versuchen, in das Buch einzudringen und zu einem seiner Protagonisten zu werden. Die Identifikation mit dem Leidensgenossen Schumann war stark, besonders mein Mitleiden während seiner manischen und zum Scheitern verurteilten Versuche, eine Japanerin rumzukriegen. The Tokyo Diaries war daher einer der Gründe, 2010 nach Tokio zurückzukehren, um die 2008 dort von mir aufgesuchte Prostituierte Nana zu suchen und ihr meine Platte I Am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Again Son mit ihrem Song (Nana) zu übergeben. Bei dieser Reise fand ich Nana nicht wieder, jedoch traf ich auf meine spätere Freundin Naoko, Hauptfigur meines bisher noch unveröffentlichten, neuen Buches Du, die Liebe meines Lebens, bist der Schmutzfleck auf meiner Seele. The Tokyo Diaries war zudem, neben Jens Friebes 52 Wochenenden und  Severin Winzenburgs Stille Tage in L.A. meine Hauptinspiration, ebenso ein Buch zu schreiben, beziehungsweise meine Tagebücher zu The Rise and Fall of Maximilian Hecker zusammenzuschustern.

Heimito von Doderer, Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre

Als ich 1998 nach Berlin kam, hatte ich natürlich den Wunsch, Musiker zu werden, hielt die Erfüllung des Traumes jedoch für undenkbar und bloß den »richtigen Musikern« vorbehalten. Also beschloss ich, erst einmal NDL zu studieren, woraus nie etwas wurde, da mich meine Eltern im letzten Moment auf den rechten Weg (Ausbildung zum Krankenpfleger!) brachten. Dennoch las ich in meinem »halben Berliner Bohème-Jahr« – nach Beendigung des Zivildienstes und vor Beginn des anvisierten Studiums – ununterbrochen deutschsprachige Werke, unter anderem stieß ich auf die Kurzgeschichte Die Posaunen von Jericho von Heimito von Doderer, die so aufrührerisch klang wie ein Stuckrad-Barre oder Christian Kracht, und so modern. (»In irgendeiner Weise begannen wir sozusagen gleich vom ersten Augenblicke an zu exzedieren, und die Nähe ihre breiten Schenkel und sonstigen aus- und einladenden Körperplastik provozierte bei mir alsbald die kräftigsten Quetschgriffe. Sie ließ meine unzweideutige und recht ordinäre Hantierung ohne jeden Widerstand oder Widerspruch geschehen, ja, sie schenkte dem nicht die allergeringste Beachtung und redete mit mir vom Wetter, während ich die linke ihrer schweren Brüste in der Hand wog.«) Ich war so begeistert, dass ich ebenso Doderers Hauptwerk Die Strudlhofstiege las. An beeindruckendsten finde ich seine Art und Weise, dem Leser subjektive Empfindungen seiner Protagonisten als objektive Erscheinungen zu verkaufen.

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