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Feuilleton Kunst 14. August 2017

Geliebte Dinos. Die Geschichte der Paläo-Art

Brontosaurus, Triceratops, Pterodaktylus – und selbstverständlich Tyrannosaurus Rex. Bevor ich überhaupt meinen Namen schreiben konnte, kannte ich schon die Bezeichnungen der geliebten Dinos. Sowohl in Form von Plastikfiguren als auch auf Postern bevölkerten sie scharenweise mein Kinderzimmer. Damals war ich hauptsächlich damit beschäftigt, Bilder von Dinosauriern zu studieren, um sie dann mithilfe ihrer Plastikverwandten auf dem Zimmerteppich zum Leben zu erwecken. Weiter befeuert wurde die Begeisterung für T-Rex und Co. von meinem Vater, der mir immer wieder neue Bücher zum Thema schenkte. Diese gewährten mir durch ihre bunten und detailreichen Bilder Einblicke in eine Welt, die mich bis heute fasziniert.

© www.zdenekburian.com

Geschichte der Urzeit-Kunst

Umso mehr freue ich mich über ein Wiedersehen eben jener Bilder, die als Kind meine Fantasie beflügelten: Der großformatige Bildband „Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte“ beleuchtet die künstlerische Auseinandersetzung mit den Urzeitechsen aber auch anderen prähistorischen Tieren wie beispielsweise Riesengürteltieren und Mammuts. Dabei triff Wissenschaft auf Pop-Kultur und es wird klar, wie sehr die eigene Vorstellung einer prähistorischen Zeit von der Imagination der Künstler abhängt. Anhand von Werken aus der Zeit von 1830 bis 1990 zeichnet dieser Band die Geschichte der Paläokunst systematisch nach und macht deutlich, auf welche Weise Zeitgeist, Gesellschaft und Künstler in Bildern der Urzeit zusammenfließen. So treffen wir Dinosaurier, deren Darstellung stark von Strömungen wie dem Jugendstil geprägt sind, begegnen viktorianischen Sauriern und drachenartigen Monstern, die direkt einem Alptraum entsprungen sein könnten.

© Courtesy of American Museum of Natural History, New York

Aber auch die sozio-kulturelle Dimension der Bilder ist spannend. Diese wird beispielsweise bei einem Werk des russischen Paläo-Art-Künstlers Wiktor Wasnezow um 1880 deutlich. Der für das Staatliche Historische Museum in Moskau angefertigte monumentale Fries „Steinzeit“ zeigt in mehreren Szenen den prähistorischen Alltag eines Stamms von Höhlenmenschen. Diese werden u.a. dabei gezeigt, wie sie sich im brutalen Kampf einem gewaltigen Mammut stellen und es schließlich erfolgreich erlegen. Der Triumph wird in der nächsten Szene bei einem nächtlichen Gelage gefeiert. Wasnezow malte das Bild zur Zeit der Streiks und Aufstände vor der russischen Revolution. Für Autorin und Kunstkritikerin Zoë Lescaze könnte die Darstellung der triumphierenden Jäger darauf abzielen, die tief verwurzelte Fähigkeit der Menschen zu kollektiver Gewalt und Kampf zu versinnbildlichen. Plausibel, wenn man sich vorstellt, das gewaltsame Aufstände und Unruhen zu Lebzeiten des Künstlers den politischen Alltag bestimmten.

Neben kunsthistorischen Deutungen erfährt man aber auch vom Leben der oft eigenwilligen Künstlern, die ihrem Publikum sowie den oft wissenschaftlich tätigen Auftraggebern den sehnlichsten Wunsch erfüllten, jene ausgestorbenen Lebewesen zu reanimieren und dafür die Grenzen der Fantasie ausloteten. Besonders beeindruckend: Charles R. Knight, der beinahe blind war und dessen naturalistische Saurierdarstellungen von Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute faszinieren. Retrospektivisch waren es vermutlich seine Bilder, die meine persönliche Dinosaurier-Vorstellung am meisten prägten. Alle Paläo-Art-Kunstwerke wurden von den Autoren in Naturkundemuseen, Archiven und privaten Sammlungen aufgespürt und aufwendig für den Bildband zusammengestellt. Das Buch bietet aber nicht nur Saurierfans der 80-er Jahre eine wunderbare Reise in die eigene Kindheit: Es dürfte auch das Standardwerk für eine Kunstrichtung sein, die bisher weitestgehend unbeachtet blieb. Als reizvolle Mischung aus Wissenschaft und Pop-Kultur zeigt sie, wie sehr unsere Vorstellung von der Urzeit bis heute dem Wandel unterliegt und wie viel ihre Werke nicht nur über die schrecklichen Echsen, sondern auch über uns Menschen verraten.

Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte (TASCHEN)
© Taschen

Paläo-Art: Darstellungen der Urgeschichte (TASCHEN), Zoë Lescaze, Walton Ford, Hardcover mit 4 Ausklappseiten, 28 x 37,4 cm, 292 Seiten

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