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Personal 22. September 2015

Die Liebe in den Zeiten der Digitalisierung?

Niklas Luhmann sagte einst, dass das Verlieben nicht nur eine Gefühlsregung, sondern auch immer eine Art von Kommunikation ist. Durch den digitalen Wandel hat sich jene Kommunikation aber drastisch verändert und verändert sich zunehmend immer schneller. Während es früher völlig normal war, dass man sich mit einem Menschen trifft, verbringt man heute immer häufiger seine Zeit hinter einem strahlenden Bildschirm, um mit ihm zu kommunizieren. Und das hat folgenschwere Konsequenzen:

Ständig tauschen wir uns mit unserer Umwelt aus: ob mit unserem Liebespartner, Freunden oder Bekannten. Anstatt anzurufen, schreiben wir immer und immer wieder kurze Nachrichten. Anstatt jemand zu treffen, wird wie wild gechattet. Nachrichten werden hin und hergeschickt, Sprachnachrichten eingesprochen, Screenshots geteilt. Und am Ende wird alles missverstanden. Denn wer neigt nicht dazu, Geschriebenes zu interpretieren?

Kein Wunder: zwischenmenschliche Kommunikation ist immer eine Herausforderung. Was aber passiert, wenn sich plötzlich ein Medium zwischen sich und seinem Gegenüber schiebt? Bevor es zu zwischenmenschlichen Annäherungen kommt, wird vorab alles digital geklärt und verklärt.

Man schickt eine Freundschaftsanfrage auf Facebook, schickt sich Nachrichten, beginnt zu flirten, teilt Musikvideos und Bilder. Und wenn es dann mal klappt, trifft man sich zum Essen, geht ins Kino oder schaut sich gemeinsam den Sternenhimmel an. Und stellt fest, dass der Mensch, dem man seine Ziele und Träume erzählt, mehr ist, als eine Ansammlung von Kurznachrichten.

Wieso aber verschanzen sich immer mehr Menschen hinter ihren Tablets, Laptops und Smartphones? Ich kann es mir nur so erklären, dass viele Menschen in einer immer vermeintlich perfekter werdenden Welt Angst davor haben, sich die Blösse zu geben, etwas Falsches zu sagen oder spontan angemessen auf unerwartete Situationen zu reagieren. Anstatt sich zu öffnen, ziehen viele (zumindest beobachte ich das in meinem Bekanntenkreis) den Rückzug vor: bloß nicht verletzlich sein. Das Smartphone wird zum sechsten Sinn mit dem man denkt, die Realität erschließen zu können und seine Umwelt zu steuern.

Und was hat das für Folgen für unser Verständnis von Liebe? Wer ständig nur schreibt, hat mehr Zeit, die richtigen Worte zu finden. Und wenn etwas missverstanden wird, schiebt man eben den Satz hinterher, dass es nicht so gemeint war. In diesem Zusammenhang fällt mir Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ ein: ein Paradebeispiel dafür, warum Kommunikation aus der Distanz so faszinierend sein kann. Werther macht es vor: Anstatt seine geliebte Charlotte zu treffen, bleibt er zu Hause und schreibt Briefe an seinen Freund Wilhelm und berichtet diesem über seine ungestüme Liebe. Desto grösser die Distanz, desto grösser das Begehren. Wer den Liebenden nicht sieht, kann ihn sich nach freier Vorstellung formen.

Was aber passiert, wenn man diesen Raum der digitalen Kommunikation verlässt? Plötzlich sitzt man seinem Gesprächspartner gegenüber, voll von Erwartungen und ist enttäuscht, dass das Geschriebene so überhaupt nicht mit der realen Situation zusammenpasst.

Ich sehe vor allem eine große Gefahr: so toll digitale Kommunikation sein kann, müssen wir uns davor schützen, uns immer mehr zu isolieren. Denn wenn plötzlich Technik der Ersatz für Liebe, Information und Sicherheit wird, könnte eine Utopie zur Dystopie werden. Der radikale Rückzug und das nur noch digitale Kommunizieren könnte im schlimmsten Fall bedeuten, dass wir eines Tages in der Früh aufwachen und uns auf menschliche Auseinandersetzungen nicht mehr einlassen können.

Der jüngste Film von Spike Jonze „Her“ veranschaulicht für mich eine Horrorvision: Der Protagonist Theodore führt eine Liebesbeziehung mit seinem Computer, einer Software namens „Samantha“ Diese Software ist eine Frauenstimme, die alles über den Partner weiß und somit die perfekte Begleiterin ist. Sie widerspricht nicht, sie hört zu, sie tut, was verlangt wird. Es gibt keine Reibungen, keinen Abgleich im Realen. Es gibt kein Risiko, keinen Streit, keinen Sex, sondern ausschließlich Selbstgespräche und Masturbation. Wie traurig.


Illustriert wurde der vorliegende Text von Claudia KleinSie arbeitet unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, den Focus, Nido, GQ Germany, das Indie Magazine und Jetzt.de. Danke, danke, danke für deine Kunst!

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