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Literatur Travel 19. März 2020

Backpacking in Pakistan

„Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben.“  Mit diesem Zitat Alexander von Humboldts eröffnen Anne Steinbach und Clemens Sehi ihr kürzlich erschienenes Reisebuch „Backpacking in Pakistan“. Doch muss es ausgerechnet Pakistan sein, wird sich jetzt wohl der ein oder andere Leser denken?

Anne und Clemens haben diese Frage mit einem klaren Ja beantwortet, backpackend mitten durch das Gebiet der Taliban. Zwischen Kalaschnikows, niemals endenden Gebetsgesängen und den schärfsten Chilischoten der Welt.

Wenn ihr wissen wollt, was die Beiden auf ihrer Reise alles erlebt haben (Inside Islamabad, Zu Besuch bei Osama bin Laden, Lahores Herz ist blutrot) solltet ihr hier klicken. Vorab könnt ihr bei uns in das Buch reinlesen.

LKWs so bunt wie Smarties 

Sie sind die Herrscher der Straßen, echte Monster, deren bunte Verzierungen oft schon aus vielen Kilometern Entfernung zu sehen sind: die Laster von Pakistan. Bei jeder Unebenheit wackelt ihr massiger Bauch wie der eines Elefanten. Mit ihrem blinkenden Klimbim sind sie sofort auf den kargen Straßen des Landes zu erkennen. Vor allem dann, wenn sie sich mit voller Wucht und dichten Auspuffgasen über die Gebirgspässe im Norden drücken, die schmalen und breiten Landstraßen quer durch alle Regionen passieren und sich in den dichten Verkehr von Karatschi quetschen. Dabei wirken sie wie das lieb gewonnene Haustier, das nie stubenrein wird, und wie die Sehenswürdigkeit, die man nicht besuchen muss, weil sie einen selbst findet. Sie gehören dazu und machen aus tristen Landstreifen, aus Armenvierteln in den Megastädten und aus völlig heruntergekommenen Fahrbahnen ein fröhliches Farbenspiel.

Ali holt uns von einem Café im feinen Expat-Bezirk Karatschis. Ich habe schon vor unserer Reise nach Pakistan mehrere Artikel über die Künstler hinter den bemalten Trucks gelesen und Ali über seine Facebook-Seite gefunden. „Kommt in meine Werkstatt“, hat er mir damals geschrieben. Jetzt brettert er mit uns über den Highway der Millionenstadt. Ich merke, wie sich meine Finger immer tiefer in den Plastikgriff der Autotür krallen, und fühle mich, als wäre ich mitten in einem illegalen Rennen gelandet. Ali ist das Sprachrohr der Truck Artists in Karatschi und – anscheinend – der King der Straße.

Eine knappe Stunde dauert es, bis wir das Zentrum des Molochs hinter uns lassen und im staubigen Speckgürtel landen. Den asphaltierten Highway mit seiner aalglatten Oberfläche haben wir gegen eine Schotterpiste mit Schlaglöchern getauscht. Das ist Ali egal. Er heizt über die Straße, lässt das dreckige Pfützenwasser gegen die Scheiben spritzen. Dann bleibt er abrupt vor einem eisernen Tor stehen. „Phool Patti“ steht darauf in schnörkeliger Schrift. Der Schriftzug wird geziert von einer Blume und einem Blatt, dem Paradebeispiel für alle Muster und Schnörkel auf den Bussen, Lkws und Rikschas des Landes.

Wir sind in der Geburtsstätte der Monster gelandet, die uns die letzten vier Wochen verfolgt haben, von den Gebirgspässen im Norden bis zum Grenzgebiet zu Afghanistan, in Lahore, an die Grenze zu Indien und bis nach Karatschi. Hinter dem eisernen Tor steht Haider, eine echte Celebrity des Landes. Seine 60er-Jahre-Fliegerbrille mit leicht bläulicher Tönung passt perfekt zum Pagenschnitt. Würde er nicht einen Shalwar Kamiz tragen, könnte man ihn auch in eine Gastrolle neben Atze Schröder packen. Doch ob er seinen Ruf als bester und begehrtester Truck Artist in ganz Pakistan für einen Auftritt neben einem deutschen Komiker mit Perücke aufgeben würde, das wage ich zu bezweifeln.

Haider ist 38 und seit dem siebten Lebensjahr damit beschäftigt, mit kleinen Pinseln riesige Trucks zu bemalen. Gelernt hat er das von seinem Vater, erzählt er uns. Heute hat er nicht nur einen guten Ruf im ganzen Land, sondern auch seinen eigenen Workshop mit Angestellten und einer Warteliste für alle, die ihren Truck von einer normalen Blechbüchse zu einem fahrenden Kunstwerk umbauen lassen wollen.

„Das ist nicht einfach nur Kunst, das ist ein Teil des Lifestyles“, erklärt Ali, als er uns unter der 40 Grad heißen Sonne einen Tee serviert. „Die Lkw- oder Busfahrer sparen jahrelang, um ihr Gefährt von uns verschönern zu lassen. Das gibt ihnen mehr Sicherheit auf den Straßen unseres Landes.“

Truck Art kann man nicht mit unseren deutschen Autostickern, den Baby-on-board- oder Sylt-Aufklebern, gleichsetzen. Phool Patti ist ein fester Bestandteil der pakistanischen Kultur und die einflussreichste Kunstszene des Landes.

Zusammen mit Haider werkeln auf diesem Innenhof zehn andere Männer gleichzeitig an verschiedenen Ecken und Kanten eines einzigen Lkws. Der eine macht den Auspuff schick, der andere poliert die Blechplatte, die bald das Fahrerhäuschen verschönern soll. Haider hat die Hauptrolle: Er steht auf einem kleinen Holzhocker. In seiner von einer ganzen Farbpalette gefärbten Hand hält er eine Büchse mit pinker Farbe. Eine Vorlage braucht Haider nicht, die hat er im Kopf.

Seit über 30 Jahren ist das sein Alltag, der wohl bunteste im ganzen Land. Phool Patti hat Potenzial. Das haben Ali und Haider längst verstanden. Zusammen reisen sie um die Welt, um ihre Kunst zu verbreiten. Sie bemalen Botschaften, amerikanische Luxusautos oder verpassen knapp bekleideten Frauen auf dem Burning-Man-Festival ein bunt verziertes Dekolleté.

(…)

„Die Lkw-Fahrer und ihre Trucks oder die Busfahrer und ihre Busse sind wie ein Ehepaar. Sie geben alles für ihre Fahrzeuge. Teilweise kosten die Renovierungen und der Umbau Zehntausende von Dollar“, erklärt Ali, der seinen Tee längst ausgeschlürft hat. 10.000 Dollar sind bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 111 Euro fast 100 Jahre Ersparnis und bei einer Lebenserwartung von 66 Jahren so ziemlich unmöglich. Und doch lebt Phool Patti einzig und allein von den Fahrern, die hinter den großen Lenkrädern ihrer Fahrzeuge sitzen und sich tagein, tagaus durch den dichten Smog und Verkehr drücken.

Der Lkw in Haiders Hinterhof wird schon seit fünf Wochen verziert. Gute Kunst will Weile haben. Nächste Woche wird er an den Besitzer übergeben, bevor er sich auf seine erste Tour in Richtung Norden macht, 1.900 Kilometer von Karatschi entfernt. Mit dabei ist dann die ganz eigene Geschichte des Fahrers, gepinselt auf eine knapp fünf Meter hohe Blechwand. Eine Geschichte, die von einem Vogel erzählt, der in die Freiheit fliegt, sich in farbigen Schnörkeln verliert und am Ende im Haus des Besitzers landet.

Dazwischen blühen Blumen in kugelrunden Kreisen. Arabische Schriftzeichen verraten Geheimnisse, die uns verborgen bleiben. Nur ein Panorama des Nanga Parbat verrät, wohin die Reise geht. Die Lkws sind wie fahrende Bilderbücher. Sie erzählen die Geschichten jener Männer, die ihr Leben auf den Fernstraßen des Landes verbringen; die jede Serpentine in- und auswendig kennen und die sich ab und zu mit ihren Kollegen am Straßenrand auf einen Chai treffen und sagen: „Hey, schaut mal meine neue Bemalung an!“ Es ist eine Investition in ihr Zuhause auf Zeit und in die endlos langen Straßen von Pakistan.

Clemens Sehi arbeitet als Creative Director, Werbetexter und Reiseblogger. Anne Steinbach arbeitet als freie Reisejournalistin, Fotografin und Bloggerin. Gemeinsam führen sie das Online-Reisemagazin travellersarchive, eine Plattform für Geschichten aus den missverstandenen Ländern dieser Welt. 

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