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Best Of Feuilleton Literatur Musik 23. August 2017

Harry Benson unterwegs mit den Beatles

Damals war es vermutlich vor allem eines: Laut. Kein anderes öffentliches Phänomen der Pop-Kultur dürfte das menschliche Gehör mehr in Anspruch genommen haben als die „Beatlemania“. Denn egal wohin die Beatles zu Beginn ihrer Karriere kamen, herrschte ohrenbetäubendes Geschrei. Dessen Absender in der Regel junge Mädchen, die in den vier Pilzköpfen aus Liverpool die Erfüllung ihrer sehnlichsten Teenagerträume sahen und ihre Zuneigung in ekstatischem Gekreische und unberechenbaren Ohnmachtsanfällen zum Ausdruck brachten. Für die Konzerte ihrer Idole John, Paul, George und Ringo nahmen viele von ihnen oft Reisen auf sich, die vor mehr als 50 Jahren einem Trip um die Welt gleich kamen. Die Musik war dabei oft nebensächlich. Denn die damalige Konzert-Technik hatte gegen diese buchstäbliche „Wall of Noise“ keine Chance. Einen ersten Höhepunkt hatte die Hysterie im Jahre 1964. Genau zu diesem Zeitpunkt klingelte auch das Telefon des Fotojournalisten Harry Benson, der von diesem Zeitpunkt an die Beatles für zwei Jahre lang auf deren Touren beispielsweise nach Paris und die USA begleiten sollte. Es wurde die Reise seines Lebens. Seine Bilder sind jetzt im TASCHEN-Bildband „The Beatles. On the Road 1964-1966“ erschienen.

John fotografiert George und Cynthia, 1964 © Harry Benson

Die Ruhe vor dem Sturm

Wer den kürzlich erschienenen Dokumentarfilm „Eight Days A Week“ von Ron Howard sieht, kann sich einen guten Eindruck von der physischen Dimension der „Beatlemania“ machen. Ein Höhepunkt darin: Der Auftritt der Beatles im amerikanischen Shea Stadium 1965. Weder die Band selbst noch die zigtausend Fans konnten vor lauter Kreischen damals einen Ton der Musik hören. Der Film rekonstruiert mithilfe modernster Technik das Konzert, so dass nun gut 50 Jahre später ein zufriedenstellender, akustischer Eindruck der Beatles als Live-Band möglich ist. Die Leistung von Bensons Buch ist eine andere: Viele der atmosphärischen Schwarz-Weiß-Fotos zeigen die Beatles in der sprichwörtlichen Ruhe vor dem Sturm. So hat man oft den Eindruck, dass der Fotograf die Band und ihre einzelnen Mitglieder in einem kurzen Moment des Innehaltens erwischt hat.

Dem Augenblick, bevor die eigentliche Action losbricht, einem Moment der absoluten Stille, während ringsherum alles laut ist. Und diese leise Atmosphäre ist es vermutlich auch, die sich auf den Betrachter niederschlägt, ihn fesselt und ein unmittelbares Gefühl der Nähe erzeugt. Ikonisch dafür: Das Bild der Beatles bei ihrer Ankunft am JFK-Airport in New York 1964. Kurz bevor sie sich der kreischenden Menge stellen, drehen sie sich noch einmal kurz zu Benson um, halten inne, schenken ihm ein Lächeln. Ein Gefühl der Intimität zu erzeugen, gelingt Benson besonders bei Fotografien, die die Beatles kurz vor einem Auftritt zeigen. Beispielsweise bei einem Konzert in Boston 1966: nur wenige Meter von den Beatles entfernt, fängt er sie von hinten ein, wie sie sich inmitten der imposanten Kulisse der gigantischen Pferderennbahn Suffolk Downs auf den Weg zur Bühne machen.

Wie einsame Cowboys stellen sich die vier der hungrigen Meute zum Showdown und treten dafür buchstäblich aus dem Schatten. Der Moment wirkt wie eingefroren, der Blick auf die verschwommene, von strahlenden Stadionscheinwerfern erleuchtete, wild kreischende Masse schüchtert ein. Man versucht sich vorzustellen, was den Beatles bei diesem Anblick durch den Kopf gegangen sein muss, als sie schließlich die Bühne betraten und nach einem kurzen Moment absoluter Konzentration, die ersten Takte von „Rock n‘ Roll Music“ anstimmten.

George V Hotel, Paris 1964 © Harry Benson
Kissenschlacht um 3.00 Uhr morgens, George V Hotel, Paris 1964 © Harry Benson

Die Kissenschlacht

Zu meinen Lieblingsbildern des Buches gehört zweifellos auch Bensons Fotoserie von der Kissenschlacht. An einem Abend des Jahres 1964 empfingen die Beatles den Journalisten wie einen alten Freund im Pariser Luxushotel George V. zum Shooting. Das Ergebnis: vier Jungs liefern sich eine Kissenschlacht, bevor sie als The Beatles am nächsten Tag ihre Welteroberung fortsetzen. Und obwohl man sich beim Betrachten der Szene das laute Gejohle der damals Anfang Zwanzigjährigen nur zu gut vorstellen kann, strahlen diese Bilder ebenfalls eine stille Unmittelbarkeit aus.

Woran das liegt? Vermutlich hat der Fotograf wieder genau im kurzen Augenblick des Innehaltens, der sprichwörtlichen Ruhe vor dem Sturm, auf den Auslöser gedrückt. Und das inmitten einer Aktion, die ihren Teilnehmern in der Regel nur wenig Zeit zur Besinnung lässt. Aber wie sagt man so schön: Im Auge des Orkans herrscht Stille. Blickt man beispielsweise in Pauls Gesicht, der bei einem der Bilder gerade das Kissen hoch erhoben hält, wirkt das, als sammle er innerlich seine letzten Kräfte. Gut vorstellbar, hatten die vier ja bereits einen langen Beatlemania-Tag in Paris hinter sich, bevor es um 3.00 Uhr morgens zu diesen Szenen kommen sollte. An seinen unkonventionellen Vorschlag zur Kissenschlacht erinnert sich Benson: „Anfangs waren sie nicht dafür. John meinte, dass würde kindisch aussehen, aber dann haute er schon Paul ein Kissen über den Kopf und von da an ging alles von allein. Ich gab ihnen keinerlei Regieanweisungen, es war alles völlig spontan, reine, perfekt eingefangene Freude.“ Und die spürt man auch heute noch. Nicht nur Beatles-Fans.

Harry Benson. The Beatles TASCHEN Verlag

Harry Benson. The Beatles. On the Road 1964-1966, Hardcover, 22,4 x 31,6 cm, 272 Seiten, TASCHEN

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