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Fashion Feuilleton Personal 1. Juli 2015

Generation Youtube: wo ist das Niveau geblieben?

„Hauptsache schick und bloß nicht zu teuer.“ dürfte der Grundtenor vieler Menschen sein. Eine junge Frau hält eine zerrissene Jeans in die Kamera, dreht und wendet sie, „destroyed look“ erklärt sie kennerisch und erwähnt einen Preis von 9,99 Euro.

Richtig gelesen: 9,99 Euro! „Ein Hammerpreis und total modisch“, sagt die hübsche Frau, die auf Youtube weit über 100 000 Follower hat. Daraufhin zeigt Sie ihre weiteren Eroberungen der Shoppingtour in die Kamera: zwei Pullover, drei ähnliche verwaschene Jeans, ein viel zu großer Parka mit Kunstfellkapuze, ein Paar Schuhe mit Keilabsatz und billiger, stilloser Modeschmuck. Hin und wieder gibt Sie ihren „Followern“ auch Schminktipps, Tipps zur perfekten Frisur oder man kann ihr bei sogenannten „Follow me around“ Videos durch ihren arg gekünstelten Alltag folgen. Ätzend: nicht nur ihre Inszenierung. Alles wirkt so wahnsinnig unauthentisch und falsch. Ein konsumkritisches Bewusstsein? Fehlanzeige.

Wenige Tage später geht das nächste Video online. Dieses mal trägt die junge Frau hinter der Kamera eine Jogginghose und ein schlichtes, weißes T-Shirt. Das „Setting“ der Wohnung ähnlich wie immer. Auf dem Schminktischchen stehen liebevoll arrangiert Lippenstifte, Make Up Döschen und buntes Badesalz in einem schönen Glasbehälter neben einer Porzellanvase mit Blumen. „Sie sei gerade erst aufgestanden“ sagt sie mit einem nahezu perfekten Make Up, roten Lippen und gekünsteltem Lächeln in die Kamera. Neben ihr stehen mehrere Papiertaschen mit einer türkisfarbenen Aufschrift und unzählige weitere Plastiktaschen. Das Prozedere wiederholt sich immer wieder und die Ware wird in die Kamera gehalten, gedreht und gewendet und mit den immer gleichen Floskeln kommentiert: „Total angenehm zu tragen. Sieht super stylisch aus und war mega günstig. Da konnte ich einfach nicht widerstehen. Wenn ihr mehr sehen wollt, drückt einfach auf den Abonnieren Button und folgt mir auf Instagram oder bei Snapchat“. An Banalität eigentlich nicht mehr zu übertreffen. Kein Kommentar. Ich bin sprachlos.
Aber wieso eigentlich? Sollte ich vielleicht toleranter sein? Sollte es mir einfach egal sein?

Generation YouTube

Wahrscheinlich. Aber was fehlt mir eigentlich genau an dieser oft betitelten „Generation YouTube“?
Erstens, kommt es unheimlich selten vor, dass dort jemand vor seiner Kamera sitzt und ausführlich eine Modekollektion bespricht, präzise die vorgestellten Dinge beschreibt oder gar ein ästhetische Bewertung vornimmt. Dinge zu hinterfragen ist scheinbar unsexy geworden. „Das ist gut, das ist schön.“ That´s it. Eine Argumentation? Wieso eigentlich? Erneut Fehlanzeige.

„Haul Video“ nennt sich das, was mittlerweile seit einiger Zeit junge Menschen von den USA bis in das kleinste Mädchenzimmer in Deutschland in das Internet stellen. Diese sogenannten Vlogger filmen sich selbst dabei, wie sie Kleidungsstücke vorführen, die sie gerade gekauft haben. Dabei sitzen sie meistens in ihren immer ähnlich aussehenden Wohnungen. Rosa Wandfarbe, manchmal strahlend weiß. Schminktischchen mit Duftkerzen, die ich glücklicherweise nicht riechen muss und liebevoll hindrapierte, diverse Kosmetikartikel, die im Hintergrund zu sehen sind. Die Szene der Youtuber wird immer größer und boomt. Unternehmen springen auf, um ein Stück vom Kuchen abzukommen. Agenturen vermarkten und vernetzen einzelne Videoblogger und helfen ihnen beispielsweise mit Werbung Geld zu verdienen. Kosmetik- und Modefirmen sehen in den hunderttausendfach geklickten Blogs neue, sehr effektive Marketing-Möglichkeiten. Denn Blogger und Vlogger unterscheiden sich eben dadurch, dass sie authentisch sind und ihre Meinung sagen. Aha. Doch wenn ich mir vieles davon anschaue, frage ich mich immer wieder: wo bleibt bei diesen teilweise selbstverliebten Videos ein gesundes, hinterfragendes Bewusstsein der Welt und der Dinge? Immer nur zu konsumieren, wie das eben in Hauls die Regel ist, langweilt doch. Oder etwa nicht?

Positiv hingegen ist, dass Youtube deutlich mehr als das zu bieten hat. Sicherlich, Youtuber, Vlogger oder Hauler (wie man das alles eben nennen mag) sind die MTV, VIVA und Bravo TV Gesichter von heute. Aber schon damals galt: einige sind reine, nett anzusehende Gesichter. Andere eben mehr als das. Und wenn man gar nicht mehr weiter weiß, sollte man sich am besten folgende Grundfrage stellen: würde ich mit diesem Menschen in der Realität wirklich Zeit verbringen wollen? Ich wahrscheinlich nicht.


Illustration: Claudia Klein 

4 Kommentare

  1. Adrian

    Prinzipiell bin ich bei Dir. Nur sind das Gedanken und Diskussionen, die jede Generation schon geführt hat. Mit YouTube wird das ganze jetzt halt noch auf eine neue Stufe gehoben. Schon als das Internet in den 90ern aufkam und jeder mit HTML-Kenntnissen seine geistigen Ergüsse via Fortunecity, Geocities & Co. im Internet verbreiten konnte, wurde über Sinn und Unsinn diskutiert.
    Und prinzipiell ist das auch in Ordnung, dass es solche Kanäle gibt. Es gibt ja nicht ausschließlich sinnentleerte VLogs. In der Theorie kann sich durch die Vielzahl an Kanälen jeder seinen ganz persönlichen täglichen News- und Unterhaltungsstream zusammenstellen. 15Min Lefloid, 15Min Apecrime, 15Min extra3, 15Min Kosmetik, 15Min Tagesschau, etc. genauso wie bei Facebook, ein ordentlicher Stream besteht dann aus News- UND Unterhaltungsbeiträgen. In der Theorie. Kritisch wird es eben nur, wenn die Zusammensetzung ausschließlich aus Unterhaltung besteht.
    Niedriges Niveau in den Medien hatten wir schon immer. Jetzt werden halt die Themen nicht mehr von irgendeinem Keeper vorgegeben, sondern von den Jugendlichen selbst zusammenaggregiert. Wo wir wieder zu den Eltern kämen, die ihre Kinder selbstverständlich bei der Zusammenstellung des Streams unterstützen müssten, aber gar nicht so viel Zeit und/oder Hintergrundwissen mitbringen. Facebook/Youtube/Pinterest/Vine/Instagram/Twitter/YouTube … stell da mal einen sinnvollen pädagogisch wertvollen Stream zusammen. Aber ich schweife ab.

  2. Hey Michael,

    bin da ganz bei dir und versteh auch nicht so ganz was dieser Youtube-Bullshit soll.
    Hab dazu (bzw. generell zum Thema „Wo ist das Niveau geblieben“) auch einen Beitrag verfasst. Vielleicht magst du ihn ja mal lesen: http://www.valeriannala.com/2015/06/genialitat-so-rar-wie-wasser-in-der.html
    Ein Auszug daraus:
    „Manche YoutuberInnen werden reich, weil sie mit einer piepsigen Stimme eine halbe Stunde lang ein Kleidungsstück nach dem anderen vor die Kamera halten und beschreiben wie es aussieht. Ich frage mich manchmal ob hier die eigentliche Zielgruppe Menschen mit einer ernsthaften Sehbehinderung sind, oder ob sie einfach gerne reden um ihr Tagespensum an Worten zu erfüllen.“

    Du siehst – wir teilen einen Gedanken :D.

    Liebe Grüße,
    VA

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