Aarhus hat lange im Schatten Kopenhagens gestanden. Die meisten Dänemark-Besucher investieren lieber einen Tag mehr in die Hauptstadt, als die dreistündige Zugfahrt an die Ostküste zu unternehmen. Dabei ist die kleine Festlandschwester mit gut 290.000 Einwohnern längst aus diesem Schatten herausgetreten. Die Stadt auf der Halbinsel Jütland trägt nicht umsonst den Beinamen „City of Smiles“ und gilt als besonders entspannt.
Der Wendepunkt kam vor knapp zehn Jahren: 2017 wurde Aarhus zur „Europäischen Kulturhauptstadt“ und wird seitdem jedes Jahr spannender. Heute vereint die größte Universitätsstadt Dänemarks mit fast 50.000 Studierenden kleinstädtischen Charme mit nordischer Coolness.
Auch kulturell tut sich viel in Aarhus: Das Kunstmuseum ARoS mit seinen weißen gewundenen Aufgängen erinnert an das New Yorker Guggenheim. In vier Galerien wechseln sich zeitgenössische Ausstellungen ab, doch die meisten Besucher zieht es aufs Dach. Dort können sie durch Olafur Eliassons 150-Meter-Regenbogen-Rundgang spazieren und Aarhus mal durch die rosarote, gelbe oder blaue Brille betrachten. Ein begehbares Kunstwerk, das auch nachts über der Stadt leuchtet.
In diese Stadt passt Alexander Kolpin perfekt. Vor über dreißig Jahren wurde er als „Bester männlicher Tänzer der Welt“ ausgezeichnet, tanzte als Haupttänzer beim Königlich Dänischen Ballett und bei Maurice Béjart. Heute inszeniert er keine Ballettaufführungen mehr, sondern Gästeerlebnisse im Rahmen der Hotelgruppe namens Kolpin Hotels. Sein jüngstes Projekt steht in der Mølleparken: eine 1934 erbaute Stadtbibliothek, die er in etwas verwandelt hat, was es so noch nicht gab.

Roberta’s Society heißt das Experiment, vielmehr eine Mischung aus Hostel und Kulturhaus, benannt nach Kolpins Tochter. Wer in der Lobby des Hostels steht, merkt sofort: Hier denkt jemand in anderen Kategorien. Tanzvideos laufen auf Monitoren, eine gut selektierte Playlist begleitet durch die Räume. 455 Betten verteilen sich auf private Zimmer und Schlafsäle bis hin zum großen 34-Betten-Schlafsaal.

Das Konzept ist radikal einfach: „Come as you are – stay as long as you like.“ Studenten mieten sich für Wochen ein, Backpacker für eine Nacht, Geschäftsreisende für ein Wochenende. Die Zimmer sind bewusst reduziert. Wer einen Föhn erwartet, wird enttäuscht. Wer klare Linien und Ruhe schätzt, fühlt sich wohl.
Abends verwandelt sich das Hostel zu einem wirklich gelebten Treffpunkt. Küchenchef Dylan Massey-Ryan kocht jeden Tag etwas anderes: mal Hokkaido-Curry, mal italienische Fleischbällchen oder vegane Bolognese. Um 18 Uhr versammeln sich Gäste und Einheimische im großen Speiseraum, später fließen Craft Beer und Aquavit bis Mitternacht.

Die Lage könnte kaum besser sein: Das charmante Latiner-Viertel mit seinen angesagten Restaurants, Bars und Boutiquen ist fußläufig erreichbar, mit dem Leihrad geht es schnell zum hippen Hafenviertel Aarhus Ø, wo in umgebauten Lagerhallen neue Galerien und Cafés entstanden sind. Aber warum das Haus verlassen? In der alten Bibliothek entstehen täglich neue Geschichten: Geschrieben von denen, die hier wohnen.
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