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Deutschland Europa Personal 19. November 2015

Nächste Ausfahrt: Balkanroute (Teil 2)

Nach einem Aufruf in München kommen fünf Tonnen Hilfsgüter für Flüchtlinge zusammen. 16 Freiwillige machen sich daraufhin auf den Weg, um die Spenden dahin zu bringen, wo es derzeit brennt. Einer davon ist mein Freund Mathias Junkert. „Die einzige relevante Frage bei der Sache ist für mich, ob wir Menschen helfen wollen, die in Not sind, oder nicht.“ So meinte er damals zu mir als die politischen Diskussionen um den Zustrom der Geflüchteten einen ersten Höhepunkt erreichten. Mathias ließ nun vor kurzem Taten sprechen und begleitete einen Hilfskonvoi von Freiwilligen auf den Weg nach Slowenien, um Spenden zu den Flüchtlingen zu bringen – in eine Gegend, wo vor 20 Jahren schon einmal ein Exodus stattfand. Für Blog Bohème hat der studierte Politikwissenschaftler und Kommunikationsexperte seine Erlebnisse nun aufgeschrieben. Wir freuen uns, euch heute den zweiten und letzten Teil seiner Reportage zu präsentieren.

Die Reise geht weiter nach Ostslawonien, wo sich vor über 20 Jahren schon einmal Flüchtlinge auf den Weg machten (Text: Mathias Junkert)

Am nächsten Morgen machen sich die sieben Fahrzeuge wieder auf den Weg. Die Strecke führt über den ehemaligen jugoslawischen „Autoput“, in den 1970ern die gefährlichste weil unfallträchtigste Fernstraße Europas. Früher fuhren hier die Gastarbeiter aus dem Norden Europas in die Türkei nach Hause, um Urlaub zu machen. Heute ist die Verbindung eine gut ausgebaute Autobahn. Das Ziel liegt in Ostslawonien. Im Kroatienkrieg von 1991 bis 1995, den sie hier „Heimatkrieg“ nennen, war die Gegend eine der besonders umkämpften Regionen. Viele Landstriche sind immer noch stark vermint. In der Stadt Vukovar sind die Wunden des Krieges allgegenwärtig: Einschusslöcher an vielen Häusern, der ehemalige Wasserturm ist eine weithin sichtbare Ruine, die jeden Augenblick einzustürzen droht, Symbol einer der heftigsten Auseinandersetzungen jener Zeit. Am Stadtrand liegt der große Ehrenfriedhof für die Opfer des Krieges. Der Parkplatz ist voll, überall werden Blumen verkauft. Es ist der Tag vor Allerheiligen, an dem viele Familien ihrer Verstorbenen gedenken.

Es geht weiter (Foto: Mathias Junkert)
Weiter nach Optovac (Foto: Mathias Junkert)

Plötzlich, zwanzig Minuten später auf der Landstraße, biegt Bergers Wagen ab, die anderen folgen. Es ist 15 Uhr. Nach sechs Stunden ist der Konvoi an seinem Bestimmungsort angelangt. Hinter der Schranke und den Militärzelten liegt das Lager Opatovac. Es herrscht angespannte Ruhe. Was passiert als Nächstes? Wie geht es weiter? Dürfen die Mitfahrer die Spenden abgeben, vielleicht sogar ins Lager? Verglichen mit den dramatischen Bildern, die die deutschen Bürger tagtäglich von der Balkanroute, aus Lesbos oder an den deutschen Grenzübergängen erreichen, geht es im Lager an diesem Wochenende erstaunlich geordnet zu. Zwar ist das Zelt mit den gespendeten Hilfsgütern wirklich ziemlich leer, aber es herrscht kein Chaos. Ein paar Helfer von Rotem Kreuz, UNHCR und andere Ehrenamtliche sind im Einsatz. Vor Ort ist auch die Münchner Volunteerin Magdalena, die schon mal Flüchtlingsbabys durch den Schlamm über die Grenze trägt und die auf der Balkanroute jeder kennt. Sie legt Wert darauf, nicht als Aktivistin bezeichnet zu werden. „Das sind die verrückten Kerle, die Ärger mit der Polizei machen. Ich bin mit den kroatischen Polizisten dagegen auf Facebook befreundet. Und wir trinken nach Schichtende auch mal Rakjia zusammen“, sagt sie. „Die Kooperation der Behörden ist hier im Lager eigentlich ganz gut.“

Die relativ friedliche Situation macht es möglich, das ein Blick auf die wesentlichen Themen gelingt: die Menschen. Und sie kommen. Im Viertelstundentakt treffen Busse aus Serbien ein und liefern die Flüchtlinge ab. Wie lange sie bleiben, ist ungewiss, oft nicht länger als fünf 12 Stunden. Frauen und junge Männer mit Kleinkindern auf dem Arm steigen aus, müde und abgekämpft, mienenlos. Die Spätnachmittagssonne taucht die Szene in ein warmes Licht. Die angekommenen Flüchtlinge nehmen von dem romantischen Sonnenuntergang und dem makellosen Abendhimmel allerdings keine Notiz. Brav stehen sie an, lassen sich registrieren, warten hinter der Absperrung und werden in Gruppen von etwa 50 Personen nacheinander zu den Zelten geführt.

Blick ins Lager: Menschen, die Hilfe brauchen (Foto: Beate Kirchner)
Blick ins Lager Opatovac: Menschen, die Hilfe brauchen (Foto: Beate Kirchner)

Opatovac ist eine Behelfslösung. Es liegt unweit der Donau auf dem platten Land. Das Lager ist eine Zeltstadt bestehend aus vier Sektoren für bis zu 4.000 Menschen, einer davon ist extra für Familien gedacht. Es ist umgeben von Erdwällen, auf denen Soldaten patrouillieren. Teils geben die bewaffneten Soldaten und Polizisten ein martialisches Bild ab. Wie ein Römerlager in den Asterix-Heften, sagt eine der Mitfahrerinnen. Ein anderer Polizist macht Pause und sitzt auf einer Bank – auf seinem Schoß ein Arabisch-Buch. Schon in wenigen Tagen soll in der Stadt Slavonski Brod ein winterfestes Lager eröffnen.

Die Augen des jungen Mannes, der seine Geschichte erzählt, sind müde

Nach kurzer Wartezeit können die Münchner Transporter und Lkw einzeln in das Lager fahren. Kiste um Kiste, Sack um Sack wird das Zelt des Roten Kreuzes befüllt. „Children here, men‘s jackets there“, hört man die Helfer rufen. Es ist die größte privat initiierte Lieferung an diesem Wochenende. „Die Helfer sind hier am Wochenende total unterbesetzt. Die sind richtig froh, dass wir gekommen sind“, sagt Berger nach einem Gespräch mit Tomislav vom Roten Kreuz, der die Freiwilligen vor Ort koordiniert.

Währenddessen lassen sich fünf Meter daneben die Flüchtlinge registrieren und warten, bis sich die Schleuse öffnet. Gelegenheit für den Münchner Bassam, vor 20 Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen, mit einigen Flüchtlingen zu sprechen. Die Geschichten sind nicht neu und doch kaum zu fassen. Fünf Wochen unterwegs, meist zu Fuß, übers Meer nach Lesbos, dann die Tour über den Balkan. Die Augen des jungen Mannes, der seine Geschichte erzählt, sind müde. Sein ebenfalls erschöpftes Kind hängt in seinen Armen. Eine Helferin sagt: „Ich bin fast schon froh, dass so viele Familien kommen und nicht nur Männer. Endlich eine Bestätigung, dass die Hetzer daheim eben nicht Recht haben.“ Als die Sonne untergeht und es schlagartig kühler wird, packen einige an und verteilen Decken im Camp und Spielzeug an die noch wartenden Kinder. Sobald eine Gruppe im Lager ist, steht schon die nächste an der Schleuse. Trotz der ständigen Betriebsamkeit gibt es immer wieder Momente, wo man beginnt nachzudenken, den Augenblick zu erfassen. Aber es ist nicht einfach zu begreifen, was da gerade passiert.

Auf dem Weg nachhause (Foto: Mathias Junkert)
Auf dem Weg nachhause (Foto: Mathias Junkert)

Es war wichtig, dass wir da waren

Kurze Zeit später, es ist bereits dunkel, bricht der Münchner Konvoi wieder auf. Der Rückweg in die Unterkunft in Slowenien ist noch lang. Gegen ein Uhr nachts kommen die letzten an. Man setzt sich nochmal in der Hotellobby zusammen, um den Tag Revue passieren lassen und Eindrücke zu teilen. Die Stimmung: erschöpft, aufgewühlt, aber auch ein klein wenig stolz darauf, die Tour wirklich durchgezogen zu haben. Gleichzeitig ist es klar, dass man nur einen winzigen Mosaikstein gesehen hat. Die Aktion war nur ein Tropfen auf den heißen Stein, und dennoch besser als nichts. Die Köpfe sind voller Bilder und Empfindungen, die nachhallen. Der Tenor der meisten: „Es war wichtig, dass wir da waren.“ Der Kontakt zu denen, wie sich vor Ort auskennen, ist jetzt hergestellt. „Darauf können wir aufbauen“, sagt Berger. Das nächste Mal könne man vorher den Bedarf klären, eine konkrete Liste abarbeiten und noch zielgerichteter das bringen, was gebraucht wird. „Wir kommen jedenfalls wieder.“

Hier geht es zu Teil 1 der Reportage.

Zum Autor
Mathias Junkert ist Texter und Kommunikationsstratege. Er liebt das Reisen, am liebsten auf Inseln, und hält es mit Eleanor Roosevelt: „Small minds discuss people, average minds discuss events, great minds discuss ideas.“

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