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Best Of Literatur 23. Oktober 2018

Literarisches Sixpack mit Peter Prange

„Was sind unsere Werte? Nie hat diese Frage sich dringlicher gestellt als heute. Denn unsere Werte bestimmen unsere Identität: Wer wir Europäer sind, woran wir glauben, wofür wir eintreten und leben.“ Peter Pranges Sachbuch „Werte – Von Plato bis Pop – Alles, was uns verbindet“ beschäftigt sich genau mit diesen zentralen Fragen. Zeitgemäßer könnte eine Fragestellung nicht sein, denke ich. Und stelle mit Erstaunen fest, dass das Buch bereits 2006 erschienen ist.

Leben und Sinn, Natur und Kultur, Glaube und Vernunft, Mensch und Recht, Wissen und Phantasie, Arbeit und Muße, Schönheit und Wahrheit, Eros und Agape, Glück und Askese, Idealismus und Realismus, Zivilcourage und Pflichtbewusstsein, Selbstverwirklichung und Solidarität, Gleichheit und Elite, Fortschritt und Skepsis, Freiheit und Verantwortung, Toleranz und Prinzipientreue, Bewahrung und Erneuerung, Friede und Selbstbehauptung, Heimatliebe und Weltoffenheit, Nation und Union sind die großen Themen unseres Lebens und gleichzeitig die Kapitel von Pranges Buch.

Peter Prange ist als Autor international erfolgreich und ist vor allem für seine große Leserschaft seiner historischen Romane bekannt. Seine Werke haben eine internationale Gesamtauflage von über zweieinhalb Millionen verkaufter Exemplare erreicht und wurden in 24 (!) Sprachen übersetzt. Sein letzter Roman „Unsere wunderbaren Jahre“ wird als Dreiteiler von der UFA für die ARD verfilmt und von der Filmstiftung mit 1,5 Mio Euro gefördert.

Uns hat Peter Prange seine sechs Lieblingsbücher verraten. Zeit für eine neue Folge „Literarisches Sixpack“.

1.) Die Bibel

Obwohl ich schon als Student aus der Kirche ausgetreten bin, ist die Bibel für mich nach wie vor das „Buch der Bücher“. Alle literarischen Gattungen sind darin vertreten, in meisterlicher Gestaltung: Epos, Parabel, Shortstory, Lyrik, Drama, Schmachtfetzen … Zugleich ist die Bibel der erste historische Roman der Literaturgeschichte überhaupt. Bereits die Exposition verschlägt einem den Atem: die Erschaffung der Welt, in einem einzigen Kapitel. Dann die Lovestory. Ein Mann und eine Frau beißen in einen Apfel – und aus Unschuld wird Verderben, für die Liebenden und das ganze Menschengeschlecht … Ein Buch der Weisheit und Schönheit, das wie kein zweites Verdummung und Verheerung hervorrief. Ein Buch der Liebe, das wie kein zweites Hass geschürt hat. So sollen Bücher sein: Spannend, widersprüchlich und gefährlich, von der ersten bis zur letzten Seite.

2.) Angelika Schrobsdorff: Du bist nicht so wie andere Mütter

Die Geschichte einer starken Frau, doch nicht aus einer Seifenoper, sondern aus dem wirklichen Leben. Aus Tausenden von Erinnerungsstücken setzt Angelika Schrobsdorff die Lebensgeschichte ihrer Mutter zusammen, in Berlin zur Zeit der Weimarer Republik. Als Tochter aus großbürgerlichem jüdischem Hause wächst Else in behüteten Verhältnissen auf. Von unbändiger Neugier beseelt, probiert sie alles aus, was sich sonst niemand traut: in der Liebe, im Leben, in der Moral. Eine Frau, die keine anderen Normen akzeptiert als ihre eigenen. Die dafür alles riskiert, was sie besitzt: ihre Ehe, ihre Sicherheit, ihre Heimat. Von keiner Macht der Erde lässt sie sich unterkriegen, von den Tabus ihrer Zeit so wenig wie von den Männern, von den Nazis so wenig wie vom Krieg. Es gibt nur eine Macht, die sie zerstören kann: ihr eigenes Selbst – und ihre maßlose Leidenschaft. Ein großes Stück Zeitgeschichte. Ein wunderbarer Liebesroman. Vor allem aber ein ergreifendes Menschenschicksal.

3.) Guy de Maupassant: Bel Ami

Dieser Roman verwirklicht in nahezu vollkommener Weise, was ich mit meinen Romanen immer wieder nur versuchen kann. Eine perfekte 3-D-Geschichte, sprich: eine Geschichte, die sich in drei Dimensionen gleichzeitig lesen lässt. Zunächst einmal ist „Bel Ami“ ein glänzender Unterhaltungsroman, die Geschichte eines Parvenüs, der nur über ein Talent verfügt: die Herzen der Frauen zu erobern. Damit gelingt ihm der Aufstieg vom ärmlichen Lohnschreiber zum Herrscher über ein gewaltiges Presseimperium. Zugleich ist „Bel Ami“ ein brillanter Zeitspiegel, ein historisches Sittengemälde, das uns ein faszinierendes Bild von der Pariser Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts liefert. Drittens und nicht zuletzt, gleichsam in der Tiefendimension des Romans, vermittelt uns Maupassant unglaubliche Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seele: von jenem Ort also, wo seit Anbeginn aller Zeiten Lust und Liebe, Gier und Hass, Ehrgeiz und Größenwahn ihren Ursprung haben. Einen solchen Roman möchte man geschrieben haben!

4.) Johann Wolfgang von Goethe: Faust I

„Nun schreitet in dem engen Bretterhaus / Den ganzen Kreis der Schöpfung aus. / Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle / Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.“ Das ist das Programm, das im Prolog genannt wird, und das Stück löst es mit jeder Szene, mit jedem Akt ein. Ein Drama, das buchstäblich die Welt bedeutet. Und das ein Freund von mir mal auf geniale Weise verkannte: „Goethe hat im Faust doch nur eine Redensart an die andere geknüpft.“ Genau umgekehrt war’s: Viele der von Goethe im Faust formulierten Sentenzen sind von solcher Evidenz, dass sie zu Redensarten wurden, in denen sich seit Jahrhunderten die unterschiedlichsten Menschen wiedererkennen. Wir Autoren, dem Publikum sei’s geklagt, vor allem leider in der folgenden: „Am Golde hängt, zum Golde drängt / Doch alles, ach, wir Armen!“

5.) Thomas Mann: Die Buddenbrooks

„Wo ich bin, ist deutsche Kultur!“, hat Thomas Mann gesagt, als er vor den Nazis aus Deutschland fliehen musst. Übertriebene Bescheidenheit kann man diesem Autor kaum vorwerfen. Doch nur Bescheidenheit kommt als Grund in Frage, warum er selbst Tolstois „Anna Karenina“zum gelungensten Roman aller Zeiten erklärte. Denn für mich sind das „Die Buddenbrooks – Verfall einer Familie“. Die Vorzüge dieses Meisterwerks der Weltliteratur zu loben hieße nur, dem Leser Zeit für die Lektüre zu stehlen. Darum nur dies: Das Skandalon des Romans besteht darin, dass Thomas Mann ihn im Alter von nur fünfundzwanzig Jahren verfasst hat. Es ist mir einfach unfassbar, wie ein so junger Autor eine so tiefe Menschen- und Weltkenntnis überhaupt besitzen kann, um sie dann auch noch in so vollkommener Weise zur Sprache zu bringen. Wenn man selbst Romane schreibt, muss man beim Schreiben „Die Buddenbrooks“ vergessen, um nicht an seinem eigenen Unvermögen zu verzweifeln.

6.) Charles Baudelaire: Les fleurs du mal

Eigentlich mache ich mir nicht besonders viel aus Blumen, doch diese Blumen faszinieren mich seit Schülertagen. Dichtkunst in Vollendung, die mit jedem Vers ein Fest der Sprache feiert. Zugleich ist dieser Gedichtband die Probe aufs Exempel dessen, was Baudelaire in den „Tableaux parisiens“ zu seinem poetologischen Prinzip erklärt hat. „Tu m’as donné ta boue, j’en ai fait de l’or“ – „Du hast mir deinen Unrat gegeben, ich habe Gold daraus gemacht.“ Dieses alchemistische Wunder, Hässliches in Schönheit verwandeln zu können, ist das, was den Zauber der Kunst ausmacht, und Baudelaire ist sein Meister.

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Am 24.10.2018 erscheint Peter Pranges neuer Roman: „Eine Familie in Deutschland – Zeit zu hoffen, Zeit zu leben“.

„Die große Familiengeschichte in Zeiten der Entscheidung – berührend, lebensnah, historisch genau. Seit Generationen leben die Isings im Wolfsburger Land, fernab der Welt und doch mitten in Deutschland. Alles verändert sich für die Familie, als auf Hitlers Befehl eine gigantische Automobilfabrik entstehen soll, um den „Volkswagen“ zu bauen. Kinderärztin Charly und Filmproduzentin Edda, Autoingenieur Georg und Parteisoldaten Horst – sie alle müssen sich entscheiden: Mache ich mit? Beuge ich mich? Oder widersetze ich mich? Mut, Verzweiflung, Verrat und Liebe im Zeichen des Nazi-Regimes: bewegend schildert  Peter Prange die deutsche Jahrhundert-Tragödie und den Weg einer Familie, deren Mitglieder so unterschiedlich sind, wie Menschen nur sein können.

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