Springe zum Inhalt →

Fashion Lifestyle 2. August 2017

Kaufen, Verkaufen und Tauschen: 1213bst und der „Beginn“ einer Bewegung

Früher war vieles anders. Zum Beispiel auch in Berlin-Mitte. Unzählige Immobilien standen leer oder waren besetzt. Während heutzutage rund um den Rosenthaler Platz gefühlt jede Woche ein neuer Superfood Laden eröffnet, gab es dort damals ein Café und eine Bäckerei, wie mich ein Bekannter wissen lässt, der in 1980er Jahren nach Berlin gezogen ist. Überall waren Bauruinen und Brachflächen, alles schien möglich. Heute sieht das Stadtbild in Berlin-Mitte hingegen deutlich anders aus: Concept Stores reihen sich an Galerien, Cafés, Restaurants, Bars und Flagshipstores der großen, etablierten Marken.

Seit wenigen Monaten aber gibt es einen Store in der Nähe der Volksbühne Berlin in der Rosa-Luxemburg Straße 19, der aus der Reihe tanzt: 1213bst so der Name des Ladens. Wir haben uns mit Bryan, Gründer von 1213bst getroffen, um mehr über den Store, dessen Konzept und Vision zu erfahren.

Du und deine Frau Caitlin seid gerade von LA nach Berlin gezogen. Wieso eigentlich ausgerechnet Berlin? Und ist Mode eigentlich schon immer Teil eures beruflichen Backgrounds?

Ich bin ursprünglich aus Kornwestheim bei Stuttgart und wollte nach 8 Jahren LA gerne mit Caitlin Zeit in Deutschland verbringen und wieder nah bei meiner Familie sein. Wir haben uns primär für Berlin entschieden, weil viele unserer Freunde hier leben.

Ich hatte von 2008-2015 ein Modegeschäft in Silver Lake (und zeitweise auch in Venice) namens Weltenbuerger. Der Laden war ein Mix aus Concept-Store und Vintage-Shop.  Wir führten circa ⅓ internationale (inkl. aus Berlin) Designer ( wie Vladimir Karaleev, Boessert Schorn, JuliaandBen, Julian Zigerli und viele mehr ), ⅓ Designs von unserem In-House Label W by Weltenbuerger, und ⅓ ausgewählte Vintage-Mode. Ein nicht unerheblicher Teil unserer Kundschaft bestand aus Vertretern großer Marken als auch kleinerer Independent Labels, die bei uns als Inspiration für ihre Kollektionen geshoppt haben.

Meine Frau Caitlin war zuletzt Rechtsanwältin bei der ACLU, eine der führenden Bürgerrechtsorganisationen in den USA. Über die letzten 15 Jahre hat Caitlin für verschiedene Nichtregierungsorganisationen gearbeitet, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, wobei sie sich vor allem für die Rechte von Migranten und Geflüchteten engagiert hat. Sie hat auch in LA ihre eigene Nichtregierungsorganisation gegründet, das Immigrant Defenders Law Center, was mittlerweile Kaliforniens größte Anlaufstelle für unbegleitete Migranten im Kindesalter und Migranten mit psychischer Krankheit ist. Wir wollten nun in Berlin die Möglichkeit ergreifen, etwas aufzubauen, das unsere beiden Hintergründe verbindet. So ist im Endeffekt die DNA unseres Konzepts entstanden.

Innerhalb weniger Wochen habt ihr euren Store 1213bst in Berlin Mitte in der Rosa-Luxemburg Straße etabliert. Sicherlich nicht einfach in Berlin, oder? Welche Herausforderungen und Probleme seid ihr vor der Eröffnung des Ladens begegnet? Wie ist die Resonanz bisher? 

Viele Dinge lassen sich durchaus aus unserer Zeit in LA übertragen, und wir können von 15 Jahren Erfahrung im Einzelhandel schöpfen. Das hat uns schon sehr bei der Einschätzung der Kosten und dem Aufbau der Strukturen geholfen. Im Allgemeinen kann ich sagen, dass die Bürokratie sich im Rahmen hält.

Eine Herausforderung war auf jeden Fall, eine “demokratische“ Lage zu finden, also die ein möglichst breites Spektrum an Kundschaft anspricht ohne dabei zu exklusiv oder zu überlaufen zu sein. Ich bin allerdings der Überzeugung, dass man keinen Laden aufgrund von “günstiger” Miete oder einer “Kompromiss-Lage” aufmachen sollte. Das Konzept sollte schon auch in einer guten Location bei Marktpreisen funktionieren, da alles andere langfristig nicht tragbar ist. Wir haben zwar eine Lage, die durchaus als “high-end” gesehen werden könnte, aber wir haben diese schon bewusst so ausgesucht, dass junge Leute oder Menschen mit kleinerem Budget als auch Kunden, die nach ausgefallenen Designstücken Ausschau halten, uns leicht erreichen können. So müssen wir uns z.B. nicht über mangelnden Fußgängerverkehr oder Leute, die den S-Bahn-Ring nicht verlassen wollen, Sorgen machen.

Wir hatten ursprünglich überlegt entweder dieses 1213bst Konzept oder einen Mono-Brand Store (in dem Falle mit unseren W by Weltenbuerger Designs) in Berlin zu eröffnen, aber es hat mir gegraust, einer dieser Expat-Neuankömmlinge zu sein, die so komplett “tone-deaf”, also ohne Gefühl für was die Leute möchten oder sich leisten können, Berlinern etwas vor den Latz werfen, das super teuer oder super exklusiv ist. Unser jetziger Laden hingegen ist kein Concept-, sondern ein Community Store. Und das meine ich nicht plakativ, sondern alles was man bei uns kaufen kann, hat einer deiner Nachbarn zu uns gebracht. Wir sehen uns als Teil der hiesigen Gemeinschaft und laden die Gemeinschaft ein, an unserem Projekt teil zu haben. Ich hatte allerdings schon  Bedenken, ob Leute das Konzept verstehen oder gut finden würden, aber schon nach ein paar Tagen sind jegliche Zweifel verflogen! Die Resonanz ist echt toll! Kunden bringen uns wirklich schöne, interessante Sachen und tauschen auch gerne!

Diese Offenheit und dieser bewusste Anspruch auf Vielfalt (was Preise, Grössen, Geschlechter, Altersgruppen, ethnische Hintergründe als auch modische Geschmäcker angeht) hat sich bisher bezahlt gemacht. Dadurch dass die Artikel von verschiedensten Menschen bezogen werden, können unterschiedliche Kunden sich bei 1213bst widergespiegelt sehen. Außerdem ist unser Laden durchflutet von natürlichem Licht und wir haben unsere Einrichtung in weiß und hellem Holz gehalten, um einfach eine positive, unbeschwerte Atmosphäre zu schaffen, in der Leute sich hoffentlich gerne aufhalten. Bei uns kaufen wirklich sehr unterschiedliche Leute ein, und die alle an einen Platz zu bringen und ihnen Freude zu bereiten macht mich glücklicher, als ein Statement mit meinem eigenen Modelabel zu machen.

Mit 1213bst trefft ihr meiner Meinung nach den Nerv der Zeit: Erklär uns doch mal euer Konzept und wie ihr auf die Idee gekommen seid? 

Wir kaufen Kleidung, Schuhe, und Accessoires von Kunden an. Im Gegenzug erhalten diese entweder Tausch-Kredit oder Bargeld auf die Hand. Sie bekommen ½ des Ladenverkaufspreises (inkl. Mehrwertsteuer, also wir tragen den Mehrwert) in Tausch-Kredit oder ⅓ des Ladenverkaufspreises in bar. Der Tausch-Kredit kann auch auf die 1213card geladen werden, welche 2 Jahre gültig ist. Kunden können also innerhalb von 2 Jahren in den Laden kommen und mit ihrem Tausch-Kredit shoppen.

Wie gesagt, wir wollten etwas machen, dass sowohl meinen als auch Caitlin’s Hintergrund vereint. Unser Ziel war es, etwas von Bedeutung zu schaffen. Wir wollten eine Plattform für Diversität in der Mode schaffen, gerade in Berlin, wo die Vielfalt der Stadt in gewissen Modekreisen nicht unbedingt immer repräsentiert ist. Nachhaltigkeit und ethische Praktiken waren uns auch immens wichtig. Ich finde, heutzutage muss man in der Geschäftswelt Stellung beziehen. Dann haben wir uns überlegt, welches Konzept könnte das ermöglichen? Welches Konzept erlaubt uns, verschiedene Preispunkte anzubieten, Nachhaltigkeit zu fördern, und generell einen positiven Beitrag zu leisten? Wir hatten also gewisse Ziele, die wir verfolgen wollten, und wir hatten vor, unsere Erfahrung aus LA mit einzubringen und für den Berliner Markt anzupassen.

Während „Mode“ immer schneller und beliebiger wird, oftmals sogar nach wenigen Waschgängen in der Tonne (Stichwort Primark) landet , ist 1213bst genau das Gegenteil von der entsetzlichen Wegwerfgesellschaft. So wie ich Dich einschätze, ist euer Laden bisher „nur“ der Anfang einer ganzen Bewegung. Gibt es schon Pläne für die Zukunft? 

Alles was wir hier aufbauen ist skalierbar, und unsere Idee kann eigentlich nur dann wirklich eine Wirkung haben, wenn es sich ausweitet, z.B. in andere Städte Deutschlands. Die positive Resonanz hier in Berlin ist vielversprechend. Menschen freuen sich, dass sie sich für, sagen wir mal, 15 – 250 Euro etwas Einzigartiges und Trendiges in einem Laden in Berlin-Mitte leisten können. Wir bekommen auch positive Reaktionen von Kunden aus Hamburg, München, Stuttgart, und Köln.

Wir haben außerdem zwei Innovationen eingeführt, ein Custom Inventory System und unsere 1213card. Die Kunden freuen sich sehr über die 1213card, da sie es ihnen erlaubt, ohne Druck zu bummeln und nur dann etwas zu kaufen, wenn sie es wirklich möchten, d.h die 1213card kann auch Fehlkäufe vermindern. Das Buy-Sell-Trade-Konzept reduziert auch unseren Müll im Laden extrem. Bei Weltenbueger hatten wir so 8-10 Kartons voller Müll pro Tag. Bei 1213bst bekommen wir vielleicht eine Haushaltstonne Müll pro Woche zusammen.

Wir bieten Kunden übrigens auch an, direkt über unseren Instagram-Account (@1213bst) und unsere Facebook-Seite (1213bst) zu shoppen. Wir posten so gut wie täglich Fotos von neuem Inventar, und wenn Leute einen Artikel sehen, der ihnen gefällt, können sie uns sogleich eine Nachricht schicken, per PayPal bezahlen, und ihren Wunschartikel zugesendet bekommen. So können auch Menschen außerhalb von Berlin etwas Schönes von 1213 ergattern. Wir haben uns für diese im Vergleich zu einem traditionellen Online-Store vielleicht etwas ungewöhnliche Methode entschieden weil Instagram und Facebook schon im Alltag vieler integriert ist und Leute so nicht noch die extra Hürde aufnehmen müssen, einen Online-Store im Browser aufzurufen. Außerdem ermöglicht es ihnen, leicht zu sehen, was wir so im Laden haben, gerade auch wenn sie selber Sachen verkaufen oder eintauschen möchten.

Wir überlegen ebenfalls, Stofftaschen einzuführen und mit karitativen Einrichtungen zu kollaborieren. Leute bringen uns oft so viele tolle Sachen, die wir nicht nehmen können, und manche möchten einfach diese einem gutem Zweck zugute kommen lassen. Diese Kunden würden wir gerne weiterleiten können, daher suchen wir gerade aktiv nach karitativen Partnern, um das Community Konzept abzurunden. Sollte sich die Möglichkeit ergeben, möchten wir in der Zukunft auch eventuell Veranstaltungen halten, die sich näher mit Themen wie Nachhaltigkeit oder Diversität in der Mode befassen.

Kommentaren

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.