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Feuilleton Kunst Lifestyle 15. März 2016

Begegnungen mit Sebastian Pohl

Street Art ist angesagt wie noch nie. So werden Arbeiten von Größen der Bewegung, wie beispielsweise dem britischen Künstler und Aktivisten Banksy, auf dem internationalen Kunstmarkt in Millionenhöhe gehandelt. Danach zieren sie meist als Dekoration die Wände von Hollywoodstars wie Brad Pitt und Angelina Jolie. Was steckt aber hinter dem Hype? Ist Street Art schlicht hübsch anzusehen und ein netter Versuch, trübselige urbane Bausubstanz aufzuwerten?

Für Sebastian Pohl, künstlerischer Leiter des gemeinnützigen Kunstvereins Positive-Propaganda e.V., ist Street Art viel mehr als das. Dafür ermöglicht und realisiert der Verein langfristige, großflächige Kunstwerke mit renommierten Street-Art-Künstlern im öffentlichen Raum. Als urbane Galerie für jedermann frei zugänglich, stellen die so geschaffenen Werke ein Zeichen für die Rückeroberung des öffentlichen Raums dar. Aktuell zeigt Positive-Propaganda die Ausstellung Victory is Peace, welche Werke der Street-Art-Legenden Shepard Fairey (OBEY) und NoNÅME präsentiert. Eröffnet wurde die Ausstellung mit einem exklusiven Akustik-Konzert der bekannten US-Polit-Punk-Band ANTI-FLAG.

Mehr zur Ausstellung und zu Street Art im Allgemeinen erzählte uns Sebastian exklusiv im Interview.

Positive-Propaganda / Shepard Fairey aka. OBEY GIANT / Streetart in München © Hanna Sturm / Positive-Propaganda
Positive-Propaganda / Shepard Fairey aka. OBEY GIANT / Streetart in München © Hanna Sturm / Positive-Propaganda

Wie kamst du auf die Idee zu Positive Propaganda?

Die Idee kam Freunden und mir als Reaktion auf das, was sich als fehlinterpretierte Reaktion auf Banksys Film „Exit Trough the Gift Shop“ – Eine geniale Parodie, wie Kunst und Kunstmarkt bzw. Kunst und Kommerz funktionieren – weltweit etabliert hat. Denn anstatt zu erkennen, dass es in dieser „Aktivisten-Bewegung“ um mehr als schrille Bildchen im Stencil-Look mit bunten Farbspritzern geht, wurde für viele anscheinend genau dieser, im Film parodierte„Brainwash“, zum Sinnbild für Street-Art. Was sich hinter dem Phänomen genau verbirgt, war und ist für die meisten „Street-Art-Begeisterten“ bis heute egal. Jedes Graffiti, jeder Sticker, jede banale Spray-Schablone an einer Hauswand hat für die Presse und Publikum das Potenzial zum nächsten Banksy. So war es für uns beinahe schon eine logische Konsequenz, selbst eine gemeinnützige Institution, die sich dem Thema fundiert annimmt, zu gründen. Als dann noch die ersten Münchner Kunst-Galerien zu diesem Thema eröffneten, sich aber wenig differenziert mit der Materie beschäftigten, war die Entscheidung klar. Unser Kunstverein widmet sich als gemeinnützige Initiative transparent und reflektiert dem Thema Street Art als zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum.

Positive-Propaganda / Shepard Fairey aka. OBEY GIANT / Streetart in München - work in progress (c) Hanna Sturm / Positive-Propaganda
Positive-Propaganda / Shepard Fairey aka. OBEY GIANT / Streetart in München © Hanna Sturm / Positive-Propaganda

Was verstehst du unter Street Art?

Als ehemaliger Graffiti-Writer erkannte ich Street Art schon immer als politisch und gesellschaftskritisch motivierten Kunst-Aktivismus. Graffiti, Street Art und Urban Art sind allesamt Kunstformen im öffentlichen Raum, die sich jedoch – und das ist vor allem auch den einzelnen Akteuren wichtig – inhaltlich und formal klar voneinander unterscheiden. So beinhaltet Urban Art beispielsweise Themen, die Spaß machen, unterhalten aber nicht wirklich wehtun. Auf mich persönlich wirkt sie oftmals wie moderne Werbung. Das ist bei Street Art anders. Diese rüttelt auf, regt zum Nachdenken und Dialog an, stellt Fragen und setzt gesellschaftspolitische Statements. Das Zusammenspiel mit dem öffentlichen Kontext ist essenziell, geht es bei Street Art schließlich auch um die Rückeroberung des öffentlichen Raums aus den Fängen von Konsum und Werbung. Größen der Bewegung wie beispielsweise Banksy, Shepard Fairey, BLU oder seit längerem auch NoNÅME machen vor wie es geht, wenn sie durch ihre unterschiedlichen Arbeiten etwa auf soziale Ungerechtigkeiten oder die Allmacht von Wirtschaft und einem neoliberalen Finanzsystem hinweisen.

Positive-Propaganda / BLU / Streetart in München/Germany (c) Hanna Sturm / Positive-Propaganda
Positive-Propaganda / BLU / Streetart in München/Germany © Hanna Sturm / Positive-Propaganda

Was ist das Ziel von Positive-Propaganda?

Wir fördern und fordern Denkanstöße. Dabei ist unser Anliegen die Betrachter unabhängig ihres Alters sowie der sozialen Herkunft mit inhaltlich relevanter Kunst, sowohl Fragen als auch Statements zu sensibilisieren, inspirieren und zu begeistern. Als Mittel zur Rückeroberung des öffentlichen Raums kann es mithilfe von Street Art gelingen, Wohnraum wieder in Lebensraum zu verwandeln.

Positive-Propaganda / Mark Jenkins / Streetart in Munich/Germany (c) Hanna Sturm / Positive-Propaganda
Positive-Propaganda / Mark Jenkins / Streetart in Munich/Germany © Hanna Sturm / Positive-Propaganda

Die aktuelle Ausstellung „Victory is Peace“ entstand gemeinsam mit den Street-Art-Superstars Shepard Fairey und NoNÅME sowie der bekannten US-Punk-Band ANTI-FLAG. Wie fühlt es sich an, eine Ausstellung wie diese auf die Beine zu stellen?

Positive-Propaganda, und speziell ich als künstlerischer Leiter, möchten Ausstellungen und Projekte realisieren, die für den Betrachter eine inspirierende und avantgardistische Alternative zu dem bieten, was uns eine kleine Elite unabhängig von tatsächlicher Qualität, Relevanz oder Inhalt vorgibt. Oder ist es ein Zufall, dass vom Voyeurismus getriebene Kunstformen wie „Performance“ der letzte Schrei sind? Bei meiner Arbeit ist daher vor allem die Suche nach Inspiration und die damit verbundene Neugier ein wichtiger Antrieb. Dafür reise ich auch seit Jahren durch ganz Europa. Banksys Dismaland zu dem ich persönlich eingeladen wurde, war so ein Highlight für mich – aber nicht wegen des Namens, sondern aufgrund der Idee, der Qualität der Künstler und des Konzepts, das sich dahinter verborgen hat. Ich würde mir wünschen, dass sich Leute die dort waren, nicht nur unterhalten sondern auch inspirieren haben lassen und es in Zukunft vielleicht mehr Ausstellungen dieses Formats geben wird. Solange übernehme gerne ich das. Zumal ich ja viele der Künstler persönlich kenne, ist es meiner Meinung nach nur konsequent, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun und Leuten Kunst zu zeigen, die internationales Niveau besitzt. Und das in einem Kontext, der offen ist und nicht elitär. Bei Positive-Propaganda musst du kein Kunsthistoriker sein, um unsere Ausstellungen zu besuchen. Die Einladung richtet sich an alle, die sich mit Kunst im urbanen Raum und deren Inhalten auseinandersetzen wollen.

VICTORY IS PEACE 2016 / Vernissage mit ANTI-FLAG (c) Hanna Sturm / Positive-Propaganda
VICTORY IS PEACE 2016 / Vernissage mit ANTI-FLAG © Hanna Sturm / Positive-Propaganda

Was verbirgt sich hinter dem Titel „Victory is Peace“?

Auf den Titel kam ich zusammen mit dem Künstler Eugenio Merino im Rahmen unserer letzten gemeinsamen Ausstellung mit Peter Kennard. Dabei ging es um die Doppeldeutigkeit des bekannten Peace- bzw. Victory-Handzeichens, das Frieden und Sieg gleichermaßen bedeuten kann und oft missverständlich benutzt wird. Das zeigen auch schön die in der Ausstellung präsentierten Arbeiten von NoNÅME, der damals zusammen mit Merino in Madrid an diversen Entwürfen zu diesem Thema gearbeitet hat und deren Ergebnisse in diesem Jahr bei uns zu sehen sind. Auf der anderen Seite bedeutet Frieden leider auch oft den Sieg der einen Partei über die andere. Die Interessen der Gesellschaft treten dabei meistens in den Hintergrund und es geht ausschließlich um die der Sieger. Diese können in unterschiedlichen Formen auftreten wie etwa multinationale Konzerne, die unsere Politik, Gesellschaft, Kriege und schließlich uns als Menschen beeinflussen. Die Ausstellung thematisiert Aspekte wie diese und stellt essenzielle Fragen: Möchte ich beispielsweise in einer oft von der Industrie propagierten „besseren Welt“ – durch etwa neue Technologien – leben oder sollte unser Ziel nicht vor allem eine gerechtere Welt für alle sein? Ich selbst würde lieber in einer gerechteren Welt leben, da nur diese besser für alle sein kann. Oft wird uns ja suggeriert, dass etwa gratis W-Lan-Hot -Spots in einer Stadt wie München, wo Millionen Menschen, die selbst auf der Straße lieber in ihre Smartphones starren als in das Gesicht eines anderen zu blicken, zu einer schönen, neuen Welt gehörten. Gleichzeitig gibt es selbst in einem reichen Industrieland wie Deutschland immer mehr bedürftige Menschen, die auf öffentliche Suppenküchen angewiesen sind. Diese Diskrepanz finde ich schockierend.

VICTORY IS PEACE 2016 / Protest / Make Art Not War (c) Hanna Sturm / Positive-Propaganda
VICTORY IS PEACE 2016 / Protest / Make Art Not War © Hanna Sturm / Positive-Propaganda

Was kommt als nächstes?

Nach der Ausstellung kommt erstmal ein Haufen Bürokratie auf uns zu, um als gemeinnütziger Verein weitere Projekte anstoßen zu können. In den kommenden Jahren planen wir in Zusammenarbeit mit den wohl wichtigsten Akteuren der Street-Art Bewegung, die Veröffentlichung des ersten inhaltlich und wissenschaftlich fundierten Buches über Street Art, öffentliche Führungen sowie eine große Museumsausstellung auf internationalem Niveau. Natürlich haben wir auch einige Ideen für neue Street-Art-Projekte im öffentlichen Raum, die wir aktuell auch gemeinsam mit diversen Künstlern für die kommenden Jahre entwickeln und dann auch umsetzen wollen. Nur so viel sei gesagt – es geht hoffentlich bald wieder los. Auch eine weitere Ausstellung ist bereits in Planung.

Die Ausstellung „Victory is Peace“ ist noch bis zum 1. April geöffnet.

Weitere Informationen zur Ausstellung und dem Verein gibt es unter www.positive-propaganda.org
Mehr zu Street Art und Kunst im urbanen Raum auch auf Sebastians Blog.

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