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Feuilleton Fotografie Personal 13. Juni 2017

Begegnungen mit Bernd Kolb

„Wer und was sind wir?“ Mit dieser zentralen Frage setzt sich Bernd Kolb in seiner aktuellen Ausstellung „Brahman“ auseinander. Gewiss keine leichte Aufgabe, denn nahezu schon immer, mindestens aber über Jahrtausende hinweg, stellte sich die Menschheit jene Frage und fanden im Lauf der Zeit ganz unterschiedliche Antworten darauf. So richtig aus der Mode ist das Thema glücklicherweise nie gekommen, auch wenn man in den letzten Jahren zunehmend das Gefühl bekommt, dass sich stellenweise die Werte unserer Gesellschaft in eine andere Richtung verschieben: Konsum statt Reflexion, Egozentrismus statt Gemeinwohl, (digitale) Bewusstlosigkeit statt Bewusstsein, Kontrolle statt Autonomie.

Kommen wir aber zurück zu Bernds Fotografien. Prof. Gerald Hüther schreibt in seinem Vorwort zu „Brahman“ folgendes: „Was sind das für faszinierende Aufnahmen. Ich schaue in diese Gesichter und begegne darin etwas, das mich mit diesen mir völlig fremden Menschen auf tiefste Weise verbindet. So beginne ich zu begreifen, was Menschsein wirklich bedeutet.“ 

Was bedeutet aber nun eigentlich Menschsein, frage ich mich? Und von welcher tiefer Verbundenheit spricht Prof. Gerald Hüther an dieser Stelle? Ich weiß es nicht. Und vermutlich wäre es auch viel zu einfach, wenn man es wirklich verstehen könnte.

Doch: Der tiefe Blick in die Augen der Portraitierten lässt einen ganz automatisch über sich selbst nachdenken und bringt einen  zum Grübeln. Wieso versucht man sich ständig selbst zu optimieren? Wieso haben materielle Dinge in unserer westlichen Welt so einen hohen Stellenwert? Warum ist Besitz wichtiger als ein „inneres Wohlgefühl“? Warum leben wir so zerstörerisch – gegenüber uns selbst, der Natur, unseren Mitmenschen und dem großen Ganzen?

„Brahman“ liefert, wie man sich denken kann, keine Antwort auf all jene zentralen Fragen des Lebens, ist jedoch der kluge Versuch, ein Gefühl zu vermitteln, das alles mit allem zusammenhängt. Und die Erinnerung an uns selbst.

© Bernd Kolb

Indien ist die Heimat des Veda, der ältesten dokumentierten Weisheitslehre der Menschheit. Wohl eines der ältesten und schönsten indischen Mantras aus den vedischen Upanishaden lautet: „Om Asato Maa Sat Gamaya, Tamaso Maa Jyotir-Gamaya Mrtyor-Maa Amrtam Gamaya, Om Shaantih Shaantih Shaantih“. Es bedeutet so viel wie „Führe uns vom Unwirklichen zur Wahrheit, von der Dunkelheit ins Licht, von der Identifikation mit dem Vergänglichen zur Erfahrung des Ewigen!“ 

© Bernd Kolb

Sie saß in Varanasi, der ältesten noch bewohnten Stadt der Welt, auf den Steintreppen am Ufer des Ganges und schaute mich an. Ich setzte mich zu ihr. „Wer bist Du?“ fragte mich ihr Gesichtsausdruck. Als ich mich unaufgefordert mit Namen und Beruf vorgestellt hatte, lächelte sie und schüttelte den Kopf. Da verstand ich ihre Frage und begann mich darauf einzulassen, in mir selbst nach der Antwort zu suchen.

© Bernd Kolb

„Baba“, ähnlich unserem „Papa“, ist die respektvolle Anrede für Väter, aber auch für die weisen, heiligen Männer und spirituellen Meister Indiens, die noch heute in der indischen Gesellschaft hoch verehrt werden. Zumeist besitzlos, leben sie von Spenden und Gaben. An den heiligen Orten Haridwar, Rishikesh und Varanasi bin ich ihnen begegnet, mit einigen verbrachte ich viel Zeit. Sie waren meine „Lehrer“, wurden nie müde, meine vielen Fragen zu beantworten und luden mich ein, mit ihnen zu „meditieren“. Auf die Nennung ihrer Namen habe ich verzichtet, denn ihnen selbst sind Namen nicht wichtig. Der Baba auf diesem Bild wurde mein Begleiter in Rishikesh, er brachte mich an die heiligen Stätten, stellte mir andere Babas vor und hatte diesen tiefen, inneren, unerschütterlichen Frieden, der alles Verstehen übersteigt. Ich spüre diese starke Verbindung noch heute.

© Bernd Kolb

Einer der zentralsten Begriffe des Kejawen, der uralten javanischen Weisheit, ist das „Sumarah“. Auch wenn ich heute genau weiß, was damit gemeint ist, fällt es mir dennoch schwer, es „richtig“ zu übersetzen. Sumarah meint das „Ein-Verständnis“ mit allem, was ist. Aber nicht Gleichgültigkeit, sondern Akzeptanz des Moments, des Augenblicks, den wir Leben nennen. Leben ist nie vor oder nach dem jetzigen Augenblick. Durch das Hadern mit Vergangenem oder die Sorge über das Künftige lenkt uns unser Verstand ab von diesem Augenblick, in dem immer alles ist, wie es ist. In der völligen Hingabe an diesen Moment ohne Gedanken an das „Davor“ oder „Danach“ vermeiden wir die Entstehung von Emotionen wie Groll (über das, was war) oder Angst (vor dem, was vielleicht kommt). Dieses Loslassen, das Ein-Lassen auf das JETZT ist der Schlüssel zum inneren Frieden.

Smadhi – der Begriff aus dem altindischen Sanskrit heißt wörtlich „Versenkung“ und wird oft als der Zustand der Erleuchtung bezeichnet. Wenn man ihn im Zusammenhang mit BRAHMAN versteht, ist es die fundamentale Selbst-Erkenntnis. Das Erkennen des wahren Selbst (Atman) als untrennbarer Teil des Ganzen (Brahman). Der Baba auf dem Bild macht gerade diese tiefste Erfahrung von Bewusstsein: Die Erfahrung des Eins-Seins mit Allem.


Die Ausstellung ist vom 01.06- 30.09.2017 in der Malzfabrik Berlin zu sehen.

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