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Deutschland Europa Personal 16. November 2015

Nächste Ausfahrt: Balkanroute

Nach einem Aufruf in München kommen fünf Tonnen Hilfsgüter für Flüchtlinge zusammen. 16 Freiwillige machen sich daraufhin auf den Weg, um die Spenden dahin zu bringen, wo es derzeit brennt. Einer davon ist mein Freund Mathias Junkert. „Die einzige relevante Frage bei der Sache ist für mich, ob wir Menschen helfen wollen, die in Not sind, oder nicht.“ So meinte er damals zu mir als die politischen Diskussionen um den Zustrom der Geflüchteten einen ersten Höhepunkt erreichten. Für beide von uns war die Antwort auf diese Frage ganz klar: Wir helfen. Mathias ließ nun vor kurzem Taten sprechen und begleitete einen Hilfskonvoi von Freiwilligen auf den Weg nach Slowenien, um Spenden zu den Flüchtlingen zu bringen – in eine Gegend, wo vor 20 Jahren schon einmal ein Exodus stattfand. Für Blog Bohème hat der studierte Politikwissenschaftler und Kommunikationsexperte seine Erlebnisse nun aufgeschrieben. Entstanden ist eine spannende Reportage zum Nachdenken und Nachmachen, die wir euch ab heute in mehreren Teilen präsentieren.

Auf dem Weg nach Slowenien (Foto: Mathias Junkert)
Die Hilfsbereitschaft ist groß: Ein Teil der Hilfsgüter am Sammelplatz (Foto: Mathias Junkert)

Teil 1: Die Reise beginnt (Text: Mathias Junkert)

Ein nebliger Morgen Ende Oktober 2015. Lagebesprechung in der Geschäftsstelle der Wohnhilfe e. V. in Ramersdorf, einem Stadtteil im Münchner Südosten. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern hat Helmut Berger, Chef des Vereins, einen Spendenaufruf für Flüchtlinge gestartet, nachdem sich die Situation auf der so genannten Balkanroute in den vergangenen Wochen erheblich zugespitzt hatte. Die Spendenbereitschaft ist enorm, zusätzliche Wagen werden organisiert und um Mitfahrer geworben. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir innerhalb der kurzen Zeit auf so viel Hilfsbereitschaft stoßen würden“, sagt Berger. Jetzt wollen Mitarbeiter und Freunde der Wohnhilfe, die in München unter anderem eine Jugendpension und zahlreiche soziale Wohngruppen betreut, die Spenden persönlich zu den Flüchtlingen bringen. Dorthin, wo es am nötigsten ist.

Eine bunte Truppe jeden Alters hat sich zusammengefunden. Ihr Ziel: das Grenzgebiet zwischen Slowenien und Kroatien. Die Motivation der freiwilligen Helfer ist einfach. Man müsse angesichts des humanitären Notstands auf der Balkanroute etwas tun. Einige sind dankbar, dass überhaupt jemand die Initiative ergriffen hat. Dass eine Fahrt wie diese zustande kommt und man sich anschließen kann. Manch einer hat schon länger überlegt, wie er sich einbringen kann. Werner engagiert sich sonst in seiner Heimat für die „Flüchtlingshilfe Vorderer Hunsrück“ und ist kurzentschlossen samt Anhänger nach München gekommen. Andere wiederum sind schon seit Monaten ehrenamtlich aktiv, zum Beispiel als Helfer am Münchner Hauptbahnhof. Mit dabei sind auch Christoph, Veronika und Nicolai: Die drei jungen Münchner haben gemeinsam mit den hiesigen Nachtclubs eine Spendenaktion initiiert – und wollen nun wie versprochen die Spenden zu den Empfängern bringen.

Der Konvoi auf dem Weg (Foto: Mathias Junkert)
Der Konvoi auf dem Weg (Foto: Mathias Junkert)

Spielfeld, Maribor oder Brežice: Die Situation verändert sich stündlich

Das Briefing an diesem Morgen ist kurz. „Wir wissen nicht, was uns erwartet“, sagt Helmut Berger, der den Hilfskonvoi koordinieren wird. Man stehe in Kontakt mit einer Nichtregierungsorganisation, die sich vor Ort auskennt. Empfohlene Ziele sind die Orte, an denen es in den Wochen zuvor besonders brenzlig zuging: der steierische Grenzort Spielfeld, Maribor in Slowenien und Brežice an der Grenze zu Kroatien. Erst wenige Tage vorher waren dem Journalisten Hans-Ulrich Jörges Tränen gekommen, als er in einer Talkshow von seinem Besuch im Lager Brežice berichtete. Aber die Situation ist unübersichtlich und verändert sich mitunter stündlich, warnen die Leute der NGO. In jenem Moment sei nicht klar, wo was am meisten gebraucht werde. „Das einzige, was wir derzeit wissen, ist die Unterkunft, wo wir heute Abend schlafen werden“, sagt Berger. In der Nähe von Brežice sind für die 16 Mitfahrer sicherheitshalber Zimmer reserviert.

Sieben Lkw und Transporter sind bis an den Rand gefüllt. Die Münchner haben sich erneut spendabel gezeigt. Hunderte Säcke Kleidung, Decken und Zelte, Schlafsäcke, unzählige Isomatten, Windeln in allen Größen, Babynahrung, ein paar Rollstühle und Krücken, etwas Spielzeug für die Kleinsten. Fünf Tonnen Ladung. Überlebenswichtige Starthilfe in eine ungewisse Zukunft.

Blick ins Lager (Foto: Beate Kirchner)
Blick ins Lager (Foto: Beate Kirchner)

Was geschieht da gerade in Europa?

Wenige Stunden später ziehen herbstliche Bergwälder und die österreichischen Alpengipfel vorbei. Genug Zeit zum Nachdenken, über das, was einen „da unten“ erwartet. Wird es Chaos sein, das pure Elend, das so oft über die heimischen Bildschirme flimmert? Oder ist alles ganz anders? Wird man die Möglichkeit haben, mit den Flüchtlingen in Kontakt zu kommen, mit den Helfern vor Ort? Wie reagieren die Sicherheitskräfte und Behörden? Immer wieder auf der Fahrt und an den Raststätten ergeben sich Gespräche, die deutlich machen, was viele in der Gruppe umtreibt. Das zentrale Thema ist häufig eine Welt, von der deutsche Medien sagen, sie sei aus den Fugen geraten. Der aktuelle „Spiegel“ schlägt Alarm und diagnostiziert gar den „Kontrollverlust“ in Deutschland. Was geschieht da gerade in Europa? Bei der Frage, wer Schuld ist an der Lage in Syrien, ist man schnell bei der zweifelhaften Rolle der USA. Aber was ist mit Iran, den Saudis, Putin? Und die Türkei? Dann der immer wieder aufflammende Nahostkonflikt, deutsche Waffenexporte in Krisenregionen, TTIP, der Klimawandel, VW und schließlich der Hunger in der Welt – alles scheint mit allem zusammen zu hängen. Immer wieder die Suche nach Erklärungen – und das simple Eingeständnis, das es einfach keine schnell Lösung gibt. Was bleibt, ist das Engagement im Moment, als Einzelner, als Zivilgesellschaft, wenn sich die Politik von Landes- bis Europa-Ebene in Lagerdenken übt und dabei selbst das Nötigste unterlässt. Etwa die zugesagten Beiträge an den UNHCR zu überweisen, um die Flüchtlingscamps rund um Syrien menschenwürdiger zu machen. Doch wie so oft in diesen Tagen bleibt es bei Erklärungsversuchen.

Ankunft des Hilfskonvois im Lager (Foto: Mathias Junkert)
Ankunft des Hilfskonvois im Lager (Foto: Mathias Junkert)

Unterdessen mutiert Bergers Wagen zum Büro auf Rädern. Abwechselnd telefoniert er mit der Koordinatorin aller Hilfsorganisationen in Slowenien und der „InterEuropean Human Aid Association“, der Nichtregierungsorganisation vor Ort. Am Grenzübergang zu Slowenien bei Spielfeld dann der erste Kontakt mit der Balkanroute: Die Flüchtlinge befinden sich in einem kleinen Tal unterhalb der Grenzstation. Von oben beobachten Kamerateams die Entwicklung unten im Niemandsland, in dem sich Tage zuvor dramatische Szenen abspielten, als panische Menschen Absperrungen durchbrachen, um sich auf eigene Faust durchzuschlagen. Jetzt bestätigt sich, was morgens schon befürchtet wurde: Es gibt scheinbar gerade keinen Bedarf für Hilfsgüter in Slowenien, schon gar nicht für die fünf Tonnen aus München, heißt es. Überprüfen lässt sich das nicht. „Der Kommunikationsfluss hier ist eine Katastrophe“, sagt Berger. „Es klingt, als würde man uns hier gar nicht wollen.“ Tage später wird „Die Zeit“ in ihrer Online-Ausgabe erneut über menschenunwürdige Zustände in den slowenischen Camps berichten. Mit dem Konvoi eigenmächtig nach Flüchtlingskolonnen zu suchen, um die mitgebrachten Sachen zu verteilen, erscheint aber ebenfalls wenig praktikabel. Also weiter in Richtung Brežice an die kroatische Grenze, nachdem klar ist, dass auch in Maribor nichts angenommen wird.

Beim Abendessen gibt es neue Informationen: In Opatovac in der Nähe der Stadt Vukovar, im äußersten Südosten Kroatiens an der Grenze zu Serbien, sind die Vorräte an Hilfsgütern fast aufgebraucht. Noch einmal 400 Kilometer ostwärts. Aber die Stimmung kippt nicht: Jetzt sind wir hier, jetzt bringen wir unsere Ladung dahin, wo sie gebraucht wird, so der Tenor. „Ich möchte mir auf keinen Fall sagen lassen, dass es keinen Sinn hat. Ich bin dafür, dass wir morgen weiterfahren“, sagt Helferin Beate.

Fortsetzung folgt.

Zum Autor:

Mathias Junkert ist Texter und Kommunikationsstratege. Er liebt das Reisen, am liebsten auf Inseln, und hält es mit Eleanor Roosevelt: „Small minds discuss people, average minds discuss events, great minds discuss ideas.“

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