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Feuilleton Literatur 16. Juli 2015

Literarisches Sixpack mit Volker Keidel

Wanderschuhe an, Rucksack auf und ab geht’s: Pilgern und Wandern liegt im Trend. So dürfte wohl Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg“ zu den bekanntesten und bestverkauften literarischen Erzeugnissen zählen, die sich in jüngster Zeit mit der Lust am Unterwegssein – zu Fuß und ohne viel Chichi – beschäftigten. Neben den physischen Strapazen drehen sich Bücher wie diese oft um den Weg zu sich selbst – einer spirituellen Reise, bei der der Weg das eigentliche Ziel ist. Das lokale Ankommen ist dann oft nur noch Nebensache. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit dem bisherigen Lebensweg, der Zukunft und natürlich der alles entscheidenden Frage: Wozu das alles? Was will ich wirklich im Leben? Und: Gibt es da oben irgendwen, der den Masterplan hat? Anders, aber auf keinen Fall banal, verhält es sich mit der Pilgerreise unseres Literarischen Sixpacks, dem Autor Volker Keidel. Sein Plan: Pilgern für den HSV. Dieses Unternehmen beschreibt er in seinem schön bohèmen Wanderbericht Mein Ditmar Jakobsweg – benannt nach dem legendären HSV-Abwehrbollwerk Ditmar Jakobs. Keidels Ziel: Zum ersten Heimspiel der Saison will er seiner Lieblingsmannschaft eine symbolische Meisterschale ins Stadion tragen. Als Gegenleistung erwartet er einen Titel – und zwar noch zu Lebzeiten. Dafür lief er vor einem Jahr fast 900 Kilometer von München aus bis zum Hamburger Volksparkstadion und erlebte dabei allerhand Skurilles. Das unterhält und macht Laune.

Mein Ditmar Jakobsweg - 875 KM für den HSV © Werkstatt Verlag
Mein Ditmar Jakobsweg – 875 KM für den HSV © Werkstatt Verlag

Wir freuen uns, Volker für Blog Bohème gewonnen zu haben. Deshalb nun viel Spaß bei der Lektüre dieses „hoch vergnüglichen“ Literarischen Sixpacks. Ach, und übrigens: Wer Volker einmal live erleben möchte, kommt diesen Samstag, 18.07. zur Hugendubel Lesebühne. Diese findet im Rahmen der Kampagne des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern bookkuck außerplanmäßig am Wochenende statt.

1. Philippe Djian – Erogene Zone

Ich habe außer Schullektüre nichts gelesen, bis ich 19 war. Dann ließ meine Kommilitonin Claude im Bamberger Hainbad „Betty Blue“ neben mir liegen und ging Pommes essen. Ich las die ersten Seiten und dachte: „Aaaaalter, das gibt’s doch nicht!“ Weil es so unglaublich gut war. Allerdings war es kein Buch fürs Schwimmbad. Kein Buch, das man locker auf dem Rücken liegend lesen konnte. Mir machte jede Seite Spaß. Ich trank mit Djian, ich ging mit ihm einkaufen, ich hörte mit ihm Musik. Ich saß am Esstisch, wenn er kochte. Ich saugte jedes Wort auf. Ich wollte schreiben wie er. Wurde nix. Leider. Djian lesen mit Bier und Zigaretten – gerade die frühen Werke – mehr geht nicht. Unglaublicherweise war der zweite Band der Trilogie, „Erogene Zone“, noch besser. Philippe! Danke! Ich hätte hier auch sechs Djian-Bücher aufschreiben können.

2. Paul Auster – Mond über Manhattan

Auster ist der beste Geschichtenerzähler der Welt. Ich hab das Buch gerade nicht vorliegen, kann nicht googeln und erinnere mich nur noch bruchstückhaft an die Handlung. Ich muss es wieder mal lesen. Ein junger Student erbt 1492 Bücher von seinem Onkel und fühlt sich verpflichtet, sie alle von der ersten bis zur letzten Seite durchzulesen. So ähnlich war es. Aber das ist nur eine der tausend Geschichten in diesem Roman. Der Typ ernährt sich möglichst günstig, isst jeden Tag nur eine Scheibe Brot und ein Ei. Glaube ich. Mehr weiß ich nicht. Es ist trotzdem mein Zweitlieblingsbuch. Na, hab ich euch jetzt richtig hot gemacht auf das Buch? Nein? Kauft es euch trotzdem. Bei Nichtgefallen erstatte ich den Kaufpreis.

3. Albert Sanchez Piñol – Im Rausch der Stille

Anfangs ein ganz normales, sehr gut geschriebenes Buch. Bis plötzlich die Froschmenschen angreifen. Vom Gefühl her vergleichbar mit dem Moment in „From Dusk till Dawn“, als die Zombies ins Spiel kommen. Die Froschmenschen verändern alles, es offenbaren sich menschliche Abgründe. Dieses Buch hat mich sehr verstört. Nach der letzten Seite blieb ich noch eine halbe Stunde sitzen und überlegte. Ich empfahl es später einem Freund. Als er aus seinem Brasilien-Urlaub zurückkehrte, sagte er nicht „Hallo“, sondern „Volker, lass uns über dieses Buch reden. Du spinnst ja wohl!“

4. Tommy Jaud – Millionär (Hörbuch)

Ich kenne definitiv kein lustigeres Buch. Da lästern sie immer, die Möchtegern-Intellektuellen, dass Jaud-Romane Schund seien. Ich dagegen möchte nichts mit Leuten zu tun haben, die nicht zumindest den „Millionär“ gut finden. Mich regen Menschen auf, die laut lachend in der S-Bahn sitzen. Als ich das von Christoph Maria Herbst gesprochene Buch in der Bahn hörte, schrie ich vor Lachen, ich weinte, mir lief der Sabber aus dem Mund. Ich hätte mich gehasst, wenn ich neben mir gesessen hätte.

5. Selim Özdogan – Mehr

Selim Özdogan ist der Autor, der mir am meisten aus der Seele spricht. Nach jedem dritten Satz lehne ich mich zurück und denke: „Genau so ist es. Warum ist mir das nicht eingefallen? Warum kann ich nicht so gut schreiben?“ Und vor allem: „Warum gehört Özdogan nicht zu den richtig erfolgreichen Autoren in Deutschland? Merkt das denn keiner außer mir, wie gut dieser Typ ist?“ Ich schlage jetzt einfach mal dieses Buch vor mir auf und schreibe den erstbesten Satz hin, um seine Genialität zu beweisen. Achtung, jetzt: „Irgendwo bellte ein Hund.“ Naja, okay, keine Sensation, dieser Satz, aber auch nicht schlecht. „Irgendwo bellte ein Hund.“ Find ich gut.

6. Christoph Biermann – Die Fußball-Matrix

Seit ich 8 Jahre alt bin, beschäftige ich mich mit Fußball, mittlerweile schreibe ich sogar darüber. Jede Ausgabe der „11 Freunde“ lese ich komplett durch. Jeden Buchstaben. Ich habe selbst 25 Jahre Fußball gespielt. Mit überschaubarem Erfolg. Aber ich dachte immer, ich hätte Ahnung von dem Sport. Bis ich Biermanns Buch in die Finger bekam und in drei Stunden mindestens genau so viel lernte wie in den Jahrzehnten zuvor. Witzig ist es zudem. Messi erzählt, dass er sich manchmal auf der Playstation spielen sieht und dann im richtigen Spiel versucht, die Tricks des virtuellen Messi nachzumachen. Weltklasse!

Ein Kommentar

  1. Ich hätte fast die gleiche Geschichte mit „Verraten und Verkauft“ erzählen können … Ein Buch, welches ein Leben verändern kann … seltsamerweise habe ich danach nie wieder ein Buch von Djian gelesen …

    Erogene Zone kommt auf jeden Fall auf die Leseliste. Vielen Dank für den Tipp! … mal sehen ob der Zauber einen nach der Pubertät noch erreicht …

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