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Feuilleton Kunst Literatur 23. Februar 2016

Literarisches Sixpack mit Tobi Dahmen

„Ich hab‘ jetzt einfach Bücher ausgewählt, die für mich auf meinem Weg als Zeichner und Geschichtenerzähler wichtig waren. Bücher, deren Nachhall ich immer noch in meiner Arbeit wieder finde, ohne dass ich Ihnen wahrscheinlich jemals das Wasser reichen werden kann.“

So schrieb uns Autor und Comic-Zeichner Tobi Dahmen, als er uns sein „Literarisches Sixpack“ mailte. Schöner lässt sich Inspiration wohl kaum beschreiben. Uns selbst hat Tobis letztes Werk „Fahrradmod“ ebenfalls inspiriert. Deshalb widmet sich dieses Literarische Sixpack ganz dem Thema „Graphic Novels“ – eine literarischen Gattung, die schon lang nicht mehr nur etwas für Comic-Freaks ist. Zuvor möchten wir euch Tobis „Fahrradmod“ vorstellen – ein Buch, dass ich einmal begonnen, zu lesen, so schnell nicht mehr weglegen konnte.

Tobi Dahmen „Fahrradmod“

Talkin‚ ‚bout my generation„. Wer den Film „Quadrophenia“ gesehen hat, weiß, dass Parkas, Roller und Pilzköpfe nicht nur distinktives Erkennungszeichen für die Brit-Pop-Bewegung der 90er Jahre gewesen sind. Bands wie Oasis und Blur knüpften in Sound und Stil an eine Bewegung an, die wesentlich älter ist und von britischen Bands wie etwa The Who maßgeblich geprägt wurde: Die Mod-Kultur. Tobi Dahmen erzählt in seinem autobiographischen Coming-of-Age-Graphic-Novel, von der Zeit, als die britische Independent-Subkultur seine niederrheinische Heimat Wesel erreicht. Er beschließt ein Teil davon zu werden und wird Mod – mit allem was dazu gehört. Dabei stellt er fest, dass die Übergänge zu anderen Subkulturen wie den Skinheads, Scooterboys oder Rudeboys fließend und gefährlich sind….

„Fahrradmod“ ist ein unterhaltsames und informatives Buch über Musik, Subkulturen und Freunde. Tobi gelingt mit seiner Liebeserklärung an die Mods ein spannendes Porträt seiner Generation. Ein Muss für jeden Mod, Graphic-Novel- und Pop-Kultur-Fan.

Cover zu "Fahrradmod" (c) Carlsen
Cover zu „Fahrradmod“ (c) Carlsen

Aber nun Vorhang auf für Tobis „Literarisches Sixpack“:

Mawil „Wir können ja Freunde bleiben“

Mawils Buch  war für mich eine große Entdeckung seinerzeit. Da erzählte jemand mit einem unglaublich treffenden und charismatischen Strich und bildete das ganze Elend jugendlicher Liebe ab, und obwohl das einerseits so weh tut, muss man doch die ganze Zeit darüber schmunzeln. Dass diese Geschichte aus Deutschland kam, hat die Faszination seinerzeit nur noch grösser gemacht. Danach wollte ich auch ‚was längeres‘ erzählen, nicht mehr nur die Kurzgeschichten für Anthologien, eine lange Geschichte, ein richtiges Buch.

Chris Ware „ Jimmy Corrigan – The Smartest Kid On Earth“

Chris Ware’s Bücher zu lesen, ist wie wenn man zum ersten Mal ein Buch in den Händen hält. Jedes seiner Werke noch bis ins kleinste Detail durchgestaltet, man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Eine  seiner Geschichten kommt sogar in einer Schachtel daher, darin befinden sich dann die unterschiedlichsten Formate, die alle zusammen eine komplette Geschichte ergeben. Man kann vor diesem Mann einfach nur niederknien. Sein berühmtestes Werk ist Jimmy Corrigan, The Smartest Kid on Earth. Das ich zum Glück schon entdeckt hatte, bevor es als Gesamtausgabe erschien. Die Einzelhefte/bücher dürften heutzutage schwierig zu bekommen sein, allerdings ist die Gesamtausgabe ebenso jeden Cent wert. Die Geschichte um den Mitdreißiger Jimmy und seinen Vater, die einander nie kennengelernt haben und im Laufe der Geschichte versuchen, eine Beziehung zueinander aufzubauen, zählt wohl zu den traurigsten Geschichten, die es in der Comicwelt gibt. Aber neben der eigentlichen Story, die auch in einer Parallelgeschichte um den Grossvater Jimmys gespiegelt wird, ist es vor allem die Art und Weise, wie Chris Ware erzählt. Er tut dies mit Rückblenden, Traumsequenzen und Metaphern und bedient sich grafischen Stilmitteln wie Infografiken oder Bastelbögen. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Chris Ware mit jedem seiner Bücher den grafischen Horizont der Comics erweitert. Dass der Berliner Verlag Reprodukt es überhaupt geschafft hat, dieses komplexe Werk zu übersetzen, ist Ihnen hoch anzurechnen.

Manu Larcenet „Der alltägliche Kampf“

„Der alltägliche Kampf“ dreht sich um den Fotografen Marco, der unzufrieden ist mit seiner Arbeit und aufs Land zieht, um dort nach etwas zu suchen, was seinem Leben neuen Sinn gibt. Tatsächlich wird er zunächst fündig, aber natürlich hält das Leben weiterhin neue Aufgaben und Konflikte parat. Ich merke gerade, dass ich es sehr schwierig finde, in ein paar Worten zusammenzufassen, worum es in diesem Buch geht. Larcenet schafft es mit seinem cartoonesken, aber sehr ehrlichen und melancholischen Strich, eine grosse Geschichte über das Leben an sich zu erzählen. Vielleicht eins der wichtigsten Bücher aller Zeiten, nicht nur für Comicleser. Also einfach in die Hand nehmen und immer und immer wieder lesen. Sein letzter grosser Epos „Blast“ hat mich ebenfalls umgehauen. Auch diese Geschichte ist ganz grosse Kunst, und zeigt menschliche Abgründe, wie es vorher noch nie jemand getan hat.

Katsuhiro Otomo „Akira“

Tja, das ist eine Buchreihe aus meiner Jugend. Ich muss gestehen, dass es lange her ist, dass ich es gelesen habe. Ich weiss nicht, ob mich heute die Geschichte noch sehr reizen würde, allerdings war es für mich seinerzeit eine Offenbarung, dass man Comics mit der Rasanz eines Films erleben kann. Akira war meine erste Berührung mit Mangas, und hat mich sehr beeindruckt, wie man das Tempo einer Geschichte orchestrieren kann.

Winshluss „Pinocchio“

Diese Buch nehme ich mal als Beispiel für eine Neuinterpretation von klassischen Stoffen, die ja in den letzten Jahren für viel Furore sorgen. Pinocchio von Winshluss ist eine bitterböse Neuadaption der klassischen Geschichte von Collodi, allerdings sehr zeitgemäss übersetzt in unsere Zeit. Ein Buch, dass, obwohl man die Geschichte natürlich sehr gut kennt, gerade dadurch immer wieder überrascht. Pinocchios Welt ist nicht weniger als ein einziger Alptraum, gleichzeitig finden sich darin zahllose Statements zur Verkommenheit dieser unserer Welt. Ein bitterböses Buch, dass nichtsdestotrotz auch zum Lachen einlädt, nur um einem kurz danach wieder die Kehle abzudrücken. Das ganze kommt fast gänzlich ohne Text aus. Also nur etwas für starke Nerven, aber die braucht man ja sowieso heutzutage.

Jeff Lemire „Essex County Trilogy“

Als letztes möchte ich noch die Essex County-Trilogie von Jeff Lemire nennen. Darin geht es um drei verschiedene Schicksale innerhalb einer kleinen Stadt, den Halbwaisen Lester, den ehemaligen Eishockeystar Lou und der Krankenschwester Anne. Jeff Lemire zeichnet mit grobem Strich unglaublich tiefgründige und anrührende Portraits seiner Figuren und erzählt damit eine wunderbare Geschichte über Familie und das Leben auf dem Land. Selten erlebt man es, dass man mit den Protagonisten so mitfühlt. Ich habe dabei über den drei Geschichten nicht nur eine Träne vergossen.

Fahrradmod
Tobi Dahmen
Hardcover, 480 Seiten, schwarzweiß
Preis D: 29,99 € / A: 30,90 €
ISBN 978-3-551-76308-2

Ein Kommentar

  1. […] die Stripdagen zum ersten Mal zehn Tage statt, das wird also spannend. Diese Woche ist auch das Literarische Sixpack erschienen auf dem Blog Boheme, wo man mich zu meinen Lieblings-Comics befragt hat. Bei meinem […]

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