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Feuilleton Literatur 27. Dezember 2016

Literarisches Sixpack mit Ilija Trojanow

Ein Mann, der weiß, wie ein Sixpack geht. So antwortete uns jüngst der Autor Ilija Trojanow auf unsere Anfrage zu einem Literarischen Sixpack prompt mit einem Auszug aus seinem letzten Buch „Meine Olympiade. Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen“, in dem er den Versuch schildert, während der Olympiade 2012 alle achtzig Olympia-Sommer-Einzeldisziplinen zu trainieren und am Ende halb so gut abzuschneiden, wie der jeweilige Goldmedaillien-Gewinner. Diese witzige Passage wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten:

„Kriemhild achtete auf jede Veränderung an mir. Nach einem Jahr Training klatschte sie in die Hände und rief begeistert aus: »Du hast ja einen Twopack.« »Was soll das denn sein?« »Ein Drittel eines Sixpacks.«

Ich fühlte mich gehörig geschmeichelt und sah mich vor meinem inneren Auge auf dem nächsten Cover von Men’s Health: »Twopack in sechs Monaten. Das neue Wundertraining.« Vom Ehrgeiz gepackt, eilte ich in die nächste Buchhandlung und kaufte mir das jüngst erschienene Werk »Sixpack in 66 Tagen«. Ich hatte die Wahl zwischen »Sixpack in 6 Wochen«, »Sixpack in 90 Tagen«, »Die Sixpack-Strategie« sowie einer Vielzahl anderer Sixpackiana. (»Ohne die Sixpack-Bücher«, vertraute mir die Buchhändlerin an, »hätte ich den Laden schon längst dichtmachen können.«) Alle diese Werke, unabhängig davon, ob sie eher gymnastisch fokussiert oder ernährungsphysiologisch-stoffwechseltechnisch versiert sind, erteilen in der Quintessenz ein und dieselben Ratschläge:

1. Weniger essen.
2. Richtiger essen.
3. Mehr trainieren.
4. Richtiger trainieren.

Das sind sie, die vier Geheimnisse des Sixpack-Mysteriums, meine Urformel des Waschbrettbauchs, die mich in den Ratgeberolymp katapultieren wird.“

In der Welt zuhause

Zugegeben: Es wäre ganz schon platt, einen so erfolgreichen Autor und Verleger auf sein Expertenwissen in Sachen Waschbrettbauch zu verkürzen. So zählt Trojanows Œuvre (z.B. „Der Weltensammler“, „Macht und Widerstand“, „Wissen und Gewissen“) bestehend aus Sachbüchern und Romanen unserer Meinung nach nicht nur zum vielseitigsten, was die Deutsche Buchlandschaft aktuell zu bieten hat, auch der Schriftsteller selbst hat uns schwer beeindruckt.

Als Kind flüchtete er Anfang der 1970-er Jahre mit seinen Eltern aus Bulgarien über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo die Familie politisches Asyl erhielt. Später sollte Trojanow immer mehr in der ganzen Welt zuhause sein, wo er beispielsweise bei seinen mehrjährigen Aufenthalten in Kenia, Nairobi und Mumbai die Kulturen Afrikas und Indiens in sich aufsog und seitdem in seine Bücher einfließen lässt. Super beeindruckend auch: seine Pilgerreise nach Mekka, die er in einem eigenem Reisebericht („Zu den heiligen Quellen des Islam“) veröffentlichte und so einen spannenden sowie persönlichen Einblick in den Islam gewährt.

Trojanow wurde mit verschiedenen Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter z.B. der Marburger Literaturpreis 1996 und der Berliner Literaturpreis 2007. Seine Bücher wurden in 30 Sprachen übersetzt.

Wir freuen uns, den Schriftsteller und Weltensammler für dieses Literarische Sixpack gewonnen zu haben.

1.) Heinrich Mann: Der Untertan

Der unterschätzte Mann, der beste deutschsprachige Roman und aktuell wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr, in Zeiten, in denen die Untertänigkeit und die Ängstlichkeit wieder zunehmen, die zwei überragenden Eigenschaften des schwächlichen Diederich Heßling, typischer deutscher Spießer, Philister und Arschkriecher.

2.) Rohinton Mistry: Das Gleichgewicht der Welt

Das große Epos Bombays, eine überwältigende Saga von Armut und menschlicher Widerständigkeit, ausufernd und zugleich präzise.

3.) Gail Jones: Sechzig Lichter

Sensibel sich an die Realität herantastend, lehrt uns die Australierin Gail Jones neu zu sehen und dadurch anders zu fühlen.

4.) Augusto Roa Bastos: Ich, der Allmächtige

Ob Putin, Erdogan oder Trump,wer die Psychopathie des Herrschers verstehen will, muss diesen Roman aus Paraguay lesen, vielleicht die beste literarische Beschreibung von Macht und Allmacht aller Zeiten.

5.) Nuruddin Farah: Bruder Zwilling

Weltliteratur aus Somalia. Das Politische im Netz- und Räderwerk eine Familie, die komplexen Widersprüche zwischen Tradition und Moderne, Respekt und Aufbruch, Eigensinn und Gemeinsinn.

6.) James Joyce: Ulysses

Schwierig: ja. Anspruchsvoll: oh ja. Intensiv: und wie! Aber: lebensverändernd, kopfdurchpustend, alles in Frage stellend, Staat und Kirche auseinander nehmend, die Sprache neu kalibrierend. Und stets mit wütender Liebe geschrieben.

Mehr Informationen zum Autor und seinem Werk gibt es hier.

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