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Best Of Literatur Travel 29. August 2017

Freiheit oder warum ein Roadtrip ein gebrochenes Herz heilen kann

„Ich gehe, um irgendwann einmal irgendwo bleiben zu können. Vielleicht hier, vielleicht am Ende der Welt. Aber bis ich wirklich irgendwo bleibe, schaue ich mir alles an. Und ist es nicht kostbar zu wissen, dass es abseits dessen, was man kennt, eine vielleicht noch schönere Alternative gibt?“, schreibt Anika Landsteiner und trifft damit genau unseren Geschmack.

Reisen spielt schon seit den Anfängen von Blog Bohème eine große Rolle: mal in die Großstädte dieser Welt, mal in die Karibik, mal in den Indischen Ozean oder auch ungewöhnlichere Destinationen wie die Balkanhalbinsel Montenegro, die uns dieses Jahr völlig durch ihre Schönheit und Einzigartigkeit überrascht hat. Neben dem Reisen spielt auch Literatur eine wichtige Rolle auf Blog Bohème. Zahlreiche Autoren wie z.B. Andreas Altmann, Sibylle Berg und Benedict Wells  haben uns unter dem Titel „Literarisches Sixpack“ ihre Lieblingsbücher verraten.

Ein Buch, das wir Euch empfehlen möchten, trägt den Titel „Gehen, um zu bleiben. Wie ich in die Welt zog, um bei mir anzukommen.“ von Anika Landsteiner. Anika, hat uns einen Textausschnitt geschickt, den wir Euch nicht vorenthalten möchten. Viel Spaß beim Lesen.

Freiheit oder warum ein Roadtrip ein gebrochenes Herz heilen kann (USA, August 2010)

Wenn mich jemand, damals wie heute, fragen würde, was mich wirklich glücklich macht, dann würde ich Folgendes antworten: ein Roadtrip mit einem Menschen meines Vertrauens in einem Ford Mustang Cabrio V8 Baujahr 67, einem verdammt guten Woodstock-Mixtape und einem Ziel: Kalifornien.
 Diesem Bild, meinem persönlichen Sinnbild von Freiheit, bin ich im Sommer 2010 ziemlich nahe gekommen. Zwar fuhr anstelle des schicken Oldtimers ein beliebiger Geländewagen vor, dafür saß aber eine gute Freundin darin, was bedeutete: Zwei gebrochene Herzen auf dem Weg von Los Angeles nach San Francisco. Es war der vielleicht kürzeste Roadtrip der Welt, ein Tag Freiheit, und doch veränderte er so viel in mir. Weil er den Grundstein legte für alle Reisen, die noch folgen würden, und in mir die Leidenschaft für das Aufbrechen weckte.

Lisa schmiss den Motor unseres Mietwagens an und wir bogen auf den Highway. Ließen den Sumpf von Los Angeles hinter uns und tauchten gleichzeitig ein letztes Mal in ihn ein. Unser Auto wurde eins von vielen, von oben betrachtet waren wir lediglich eine von unzähligen Ameisen. Lisa stellte ein Bein auf dem Sitz ab und lenkte lediglich mit ihrer rechten Hand. Ich machte ein Foto von ihr beim Fahren. Als ich abdrückte, tauchten im Hintergrund drei Palmen auf. Es war, als könnte ich das Glück einfach festhalten, weil es bei solchen Roadtrips einfach mit im Auto sitzt. Ich musste dem Glück nicht mehr hinterherjagen, es stieg freiwillig ein. 
Wir überholten Trucks, die ich bisher nur aus Filmen kannte. Vorne drin saß immer ein dicker Fahrer mit Bart. Er hieß John oder Bob, meistens Bob, und allen winkte ich zu, wohin auch mit meiner Energie, wohin mit meinen Händen. Sie lachten immer zurück. Ich glaube, sie sind nette Jungs, die Bobs dieser Welt.

Die kalifornischen Radiosender machten uns die Auswahl schwer. Sie konkurrierten mit den besten Songs der Rockgeschichte um die Wette und wir klickten uns durch die Rolling Stones, Bruce Springsteen, Aerosmith, Journey und Pearl Jam. Alles, was ich von meinem Vater als die richtige Musik erklärt bekommen hatte, dröhnte nun in meinen Ohren und ich wünschte mir, dass heute noch jemand solche Musik machen würde, die so perfekt einfängt, was wir an diesem Tag fühlten. Musik war alles bei dieser Fahrt, denn ohne sie wäre es kein richtiger Roadtrip gewesen, dann wären wir lediglich von A nach B gefahren. Doch so wurde der Weg unbeschreiblich schön und das Ziel schien so unwirklich, dass wir die Straße, gesäumt mit all den Glücksgefühlen am Wegesrand, brauchten, um uns darauf vorzubereiten.

Die Sonne ging unter, wir waren fast da, und mussten feststellen, dass wir überhaupt nicht vorbereitet waren. Plötzlich lag San Francisco in dichten Nebel gehüllt vor uns. Es war eine unwirkliche Szene, nachdem wir gerade den ganzen Tag durch diese staubtrockene, heiße Landschaft gefahren waren, wo Tumbleweeds über die Straßen fegten und Mundharmonikas in den Ohren nachklangen. 
Lisa drehte den Radiosender lauter. Ich hielt zusätzlich die Luft an. Den Song kannte ich. Die Abfolge dieser Gitarrengriffe, das lange Intro. Die Härchen auf meinen Armen stellten sich auf und ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper: „Wish you were here“ von Pink Floyd. Der Nebel lichtete sich und da war sie auf einmal, die verdammt schönste Brücke der Welt. 
„Ach du scheiße“, sagte ich, und krallte meine Finger ins Leder des Sitzes. 
„Verdammt, ich muss fahren, ich will nicht fahren, ich will gucken“, rief Lisa neben mir und ich griff nach ihrer Hand. „How I wish, how I wish you were here, we’re just two lost souls swimming in a fish bowl year after year“, kam es aus dem Radio.

Wir fuhren über die Brücke und saugten das Gefühl vollkommener Freiheit ein und es war egal, ob wir wirklich frei waren, denn wir fühlten uns so und das war alles, was zählte. Wir schlossen einen Pakt, nicht mehr zurückzuschauen, denn dieser Moment fühlte sich richtig an. Alles hatte wieder seine Ordnung und was wehtat, war plötzlich aus dem Rahmen herausgefallen. Ich hatte die Trümmer meiner Beziehung abgeschüttelt, mein Bild zurechtgerückt. Am Ende war es gar nicht so schwer gewesen. Vielleicht, weil ich es endlich einfach wollte.


Anika bloggt auf anidenkt. „Was raus muss, muss raus. Über das Reisen und über alles dazwischen.“ In den nächsten Wochen stehen u.a. Lesungen in München und Berlin an. Wir verlosen ein Leseexemplar unter allen Lesern von Blog Bohème. Schickt uns einfach eine E-Mail mit dem Betreff „Reiselust“ bis zum 30.09.2017 und ihr seid im Lostopf.

„Gehen, um zu bleiben “ Anika Landsteiner © Goldmann

2 Kommentare

  1. Danke für das tolle Review 😉 Glaub das ist genau das richtige für mich

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